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Eklat in der Knesset
Früherer Israel-Botschafter Dreßler rügt Schulz-Rede

Es sei von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz nicht professionell gewesen, die Frage eines palästinensischen Jugendlichen ungeprüft an die Knesset-Abgeordneten weiterzugeben, sagte der frühere deutsche Israel-Borschafter, Rudolf Dreßler, im Deutschlandfunk. Gerade als Deutscher hätte er mehr Solidarität mit Israel zeigen müssen.

Rudolf Dreßler im Gespräch mit Friedbert Meuer |
    Friedbert Meurer: Es war ein Eklat, ein großer, vielleicht auch nur ein kleiner. Jedenfalls hielt der deutsche EU-Parlamentspräsident Martin Schulz gestern eine Rede vor der Knesset. Das ist das israelische Parlament in Jerusalem. Während der Rede standen Abgeordnete der Regierungsfraktion der Siedler auf und verließen unter lautstarkem Protest den Saal. Schulz hatte gerade einen palästinensischen Jugendlichen zitiert, den er während seines Besuchs getroffen hatte.
    Zitat Martin Schulz: "Es kam eine Frage der jungen Leute, die ich, ohne dass ich verifizieren kann, ob die Daten stimmen, Ihnen auch weitergeben möchte. Ein junger Mann hat mich gefragt: Wie kann es eigentlich sein, dass ein Israeli 70 Liter Wasser am Tag benutzen darf, ein Palästinenser nur 17 Liter."
    Meurer: Wütende Reaktionen hier an dieser Stelle, das mit dem Wasser stimme nicht. Es ist immer eine besondere Auszeichnung, wenn ein ausländischer Politiker vor dem Parlament des Gastgeberlandes sprechen darf. Diese Ehre wurde jetzt Martin Schulz zuteil, deutscher Europaabgeordneter der SPD, Präsident des Europaparlaments. Dann aber kommt es zum Eklat. Mehrere Abgeordnete der Partei der Siedler, die zur Regierung gehört, reagieren erbost und aufgebracht, verlassen den Raum. Andere applaudieren am Ende, auch das muss man sagen, stehend der Rede von Martin Schulz. Nach dem Eklat von gestern, den es in der Knesset gegeben hat, Fragen jetzt an den früheren deutschen Botschafter in Israel, Rudolf Dreßler. Guten Tag, Herr Dreßler.
    Rudolf Dreßler: Ich grüße Sie.
    "Das was er gemacht hat, halte ich nicht für professionell"
    Meurer: Alexander Graf von Lambsdorff, FDP-Abgeordneter im Europaparlament, sagt: "Schulz hat sich wie ein Elefant im Porzellanladen verhalten". Hat er das wirklich?
    Dreßler: Man kann es so nennen, wenn man auf die, ich sage mal, sensiblen Dinge zwischen Europa, Israel und in Sonderheit Deutschland und Israel achten soll. Das was er gemacht hat, halte ich nicht für professionell, ich halte das auch nicht für einen Akt von internationaler Souveränität. Sich auf den amerikanischen Botschafter zu beziehen in seiner Rechtfertigung, auch Kerry habe von den konservativen reaktionären Kräften im israelischen Parlament Widerstand erlebt, das zeugt nicht von Eigenständigkeit. Das muss ich mal sagen.
    Meurer: Was genau ist unprofessionell gewesen?
    Dreßler: Unprofessionell ist für mich, wenn der Präsident eines Parlaments erklärt in Zahlen, die Israelis verbrauchen 70, die Palästinenser 17 Liter, hat mir ein Jugendlicher erzählt, ich habe das nicht verifiziert und ich frage sie, die israelischen Abgeordneten, stimmt das oder stimmt das nicht. Das ist nicht professionell, wenn man Gast in einem solchen Parlament ist und dann noch eine deutsche Staatsangehörigkeit hat.
    Meurer: Der Parlamentspräsident hat davon gesprochen, Israelis verbrauchen viermal so viel Wasser wie Palästinenser. Im Beitrag hören wir jetzt, es ist dreimal so viel Wasser. Darf man dieses Faktum, hätte er es ansprechen dürfen, nur dann mit der richtigen Zahl?
    Dreßler: Er kann es ansprechen, wenn er die Daten genau kennt. Es gibt ja eine Untersuchung der UNO-Organisation für humanitäre Angelegenheiten aus dem Jahre 2012 und danach, nach diesem Bericht der UNO, wird den Israelis vorgehalten, sie verbrauchten täglich 300 Liter Wasser - da sind natürlich die Getreidewässerungen enthalten - und die Palästinenser brauchten 70 Liter. Das heißt, seit zwei Jahren ungefähr ist dieser Tatbestand bekannt. Während meiner Zeit in Israel hat das Problem Wasserverbrauch für Israelis und für Palästinenser etwa im besetzten Gazagebiet damals - dort haben ungefähr 6000 Siedler Platz genommen im Gazabereich -, hat dieses Problem Wasser, vielfacher Verbrauch der Israelis auf palästinensischem Gebiet, nämlich in den besetzten Gebieten des Gazastreifens, eine große Rolle gespielt. Was da nun sensationell von seiner Seite aus, Schulz‘ Seite aus vorgebracht werden sollte, bleibt mir völlig schleierhaft.
    "Schulz hat innenpolitische Situation in Israel außer Acht gelassen"
    Meurer: Martin Schulz sagt, Herr Dreßler, das war eine pro-israelische Rede gewesen. Darf man in einer Rede vor der Knesset - allzu oft darf das ein deutscher Politiker nicht -, darf man da keine Kritik äußern?
    Dreßler: Aber natürlich darf man das und das machen ja auch andere. Das Problem ist, dass Schulz völlig außer Acht gelassen hat, dass er zurzeit in Israel ist in einer Situation, in der die Israelis innerstaatlich vor großen Problemen stehen, nämlich vor der Rahmenvereinbarung, die der amerikanische Außenminister ihnen aufdrücken will, vor der Drohung des Boykotts der Europäer an Israel, wenn ihr dem nicht zustimmt, dann gibt es eine Boykott-Diskussion in der Europäischen Union, und drittens, dass 58 israelische Geschäftsleute von besonderer Größe einen offenen Brief an den Premierminister Netanjahu geschickt haben, und sie haben gewarnt vor wirtschaftlichen Konsequenzen innerstaatlich, falls dieses nicht mit Kerry zu einem Vertrag mit den Palästinensern führen würde. Und in dieser Lage mit einer solchen Argumentation in der Knesset als Deutscher aufzutrumpfen, das halte ich nicht für professionell.
    Meurer: Diejenigen, die aufgestanden sind, sind Mitglieder der rechtsradikalen Siedlerfraktion.
    Dreßler: Das wusste er doch! Das war jedem klar! Das ist ja nicht das erste Mal, dass ein solches Theater ist.
    Meurer: Aber muss man vor denen Rücksicht nehmen?
    Dreßler: Ich muss Ihnen sagen, wenn ich eingeladen werde, in der Knesset zu reden, als Deutscher, auch wenn ich europäischer Parlamentspräsident bin, dann muss ich immer noch berücksichtigen, dass ich auch die deutsche Nationalität habe, und das hat er offensichtlich weggedrückt.
    Meurer: Er kann nicht argumentieren, ich rede ja für ganz Europa, für die EU?
    Dreßler: Ich glaube nicht, dass er für ganz Europa reden kann. Mit einer solchen Begründung, das hat mir ein Jugendlicher gesagt und ich gebe die Frage an Sie weiter, da kann man nicht für ganz Europa in einem solchen Parlament sprechen.
    "Es geht ja gar nicht darum, israelische Produkte zu boykottieren"
    Meurer: Martin Schulz ist während seiner Reise häufiger gefragt worden, ist er für oder gegen Boykott israelischer Produkte, die in besetzten Gebieten in Siedlungen hergestellt werden, und da sagt er immer "Nein". Loben Sie das?
    Dreßler: Ich habe Bedenken, was diese Fragen betrifft, aber der Sachverhalt, der ist ja seit Jahren in der Diskussion, und es geht ja nicht darum, israelische Produkte zu boykottieren, sondern es geht darum, Produkte, die in den palästinensisch besetzten Gebieten von Israelis produziert worden sind, mit dem Herstellerort kenntlich zu machen. Das ist der eigentliche Konflikt, nicht ein Boykott israelischer Produkte, und dieses hätte er ja zum Beispiel erklären können. Das hat er ja auch nicht gemacht.
    Meurer: Das finden Sie okay?
    Dreßler: Ja, aber selbstverständlich!
    Meurer: Der Herstellerort sollte genannt werden, dann kann jeder Verbraucher selber entscheiden?
    Dreßler: Aber natürlich! Selbstverständlich! Das ist seit Jahren europäische Position!
    Meurer: Ganz kurz noch. Martin Schulz hat Deutsch geredet in der Knesset. Irgendein Problem, dass er das getan hat?
    Dreßler: Ich sehe das nicht. Diejenigen, die dagegen waren in Israel, die waren damals schon dagegen, als Frau Merkel gesprochen hat. Sie waren dagegen, als Johannes Rau gesprochen hat, der als ausgesprochener Israel-Freund gilt. Übrigens in diesem Zusammenhang: Martin Schulz ist nie mit antiisraelischen Bemerkungen aufgefallen. Deshalb verstehe ich erst recht nicht, wie er sich anlässlich eines solchen Besuches so, ich sage mal, fast schon unprofessionell verhalten hat. Diese Form, dass jemand in Israel im Parlament Deutsch spricht, die hat es immer gegeben und daran kann sich ein deutscher Politiker wirklich nicht orientieren, sondern das ist in Israel überwiegend akzeptiert.
    Meurer: Der frühere deutsche Botschafter in Israel, Rudolf Dreßler, zur Rede gestern von Martin Schulz, dem Parlamentspräsidenten der EU. Danke schön, Herr Dreßler, auf Wiederhören.
    Dreßler: Auf Wiederhören!
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