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Ektodermale Dysplasie
Gefährliche Hitzeempfindlichkeit

Selten, aber gefährlich: Jedes Jahr sterben in Deutschland einige Kinder mit Ektodermaler Dysplasie an Überhitzung. Die Erkrankung verhindert, dass im Körper Schweißdrüsen ausgebildet werden, die für Abkühlung sorgen. Doch eine neuartige Therapie macht Hoffnung.

Von Thomas Liesen | 24.07.2018
    Ein Baby mit einem großen Sonnenhut liegt auf dem am Bauch auf einer Decke auf einer Wiese im Sommer.
    Wenn Kleinkinder häufig einen roten Kopf bekommen und sich zu warm anfühlen, ohne einen Infekt zu haben, könnte es an einer krankhaften Hitzeempfindlichkeit liegen (imago / McPWOD)
    Lukas ist eigentlich ein ganz normaler Junge. Er ist aufgeweckt, spielt gerne Fußball, hat viele Freunde.
    "Ich habe jetzt nicht den Aha-Effekt gehabt in meiner Kindheit "aha, ich bin anders", sondern es hat sich eben so entwickelt."
    Zunächst sein Äußeres. Auf Lukas Kopf wachsen nur spärliche dünne Borsten statt einer normalen Haarpracht wie bei seinen Freunden. Tatsächlich geht er fast nie zum Friseur, es ist einfach nicht nötig. Dann seine Haut. Sie ist häufig gerötet, sehr trocken und schuppig. Schließlich - und besonders auffällig - seine Zähne.
    "Bei mir sind eben nur acht Zähne vorhanden, ein Zahn im Unterkiefer und sieben im Oberkiefer."
    Körper ohne Schweißdrüsen
    Sie sind alle zudem auffällig spitz. Der mittlerweile 20jährige Lukas selbst bezeichnet sein Äußeres als "markant". Doch sein Körper hat noch eine andere Eigenart: Er kommt kaum mit Hitze klar. Schon als Kleinkind sucht er gerne kühle Keller auf oder legt sich auf kühle Böden, und wenn er mal in der Sonne tobt, läuft er sofort puterrot an. Dass er eine seltene Erkrankung in sich trägt, ahnt Lukas damals noch nicht. Er und seine Eltern versuchen einfach, sich irgendwie an die Umstände anzupassen. Das heißt zum Beispiel: Sport weitgehend vermeiden. Lukas hat Probleme mit zu großer Hitze
    "Im jungen Altern von sechs, sieben Jahren habe ich dann mit meinem Bruder einen Sport angefangen, der nennt sich Ai-Kampf. Das ist ein Kampfsport, also eine Selbstverteidigungs-Sportart, die findet bei uns in der Gegend im Keller statt, weil da eben so ein Trainingsraum ist und da herrschen auch im Sommer noch angenehme Temperaturen."
    Erst Jahre später wird Lukas auf Professor Holm Schneider treffen, den Leiter des Zentrums für die so genannte Ektodermale Dysplasie an der Uniklinik Erlangen. Dieser Fachbegriff steht für eine Erbkrankheit, die jedes Jahr etwa 20 bis 30 Neugeborene in Deutschland betrifft. Sie alle haben ähnliche Symptome wie Lukas, vor allem diese Anfälligkeit für Hitze. Holm Schneider:
    "Das führt eben auch Eltern mit einem Neugeborenen dann zu mir in die Kinderklinik mit der Schilderung, das Kind schreit immer, das Kind bekommt leicht einen roten Kopf und fühlt sich warm an, das normale Fieber scheint es nicht zu sein, denn einen Infekt hat es zur gleichen Zeit nicht, aber es kriegt aus unerklärlichen Gründen immer einen roten Kopf."
    Was Eltern zunächst nicht wissen können: Diese Hitzeempfindlichkeit ist das schwerwiegendste Symptom der Ektodermalen Dysplasie. Und ihr liegt eine Fehlbildung des Körpers zugrunde: Menschen mit dieser Erbkrankheit besitzen keinerlei Schweißdrüsen. Sie können tatsächlich keinen Tropfen schwitzen. Fast praktisch, mag man unwillkürlich denken. Doch der Komplettausfall der körpereigenen Klimaanlage ist in Wahrheit eine ständige ernste Bedrohung, erst recht in der warmen Jahreszeit.
    Überwärmung ist lebensbedrohlich
    "Wenn sie zum Beispiel in einem Raum sitzen müssen, beispielsweise im Schulunterricht oder irgendwo in einer Sporthalle, dann kann es eben sehr schnell zur Überwärmung kommen. Und Überwärmung, die nicht ausgeglichen wird, ist lebensbedrohlich."
    Jedes Jahr sterben daher hierzulande einige Kinder mit Ektodermaler Dysplasie den Hitzetod. Denn jede körperliche Anstrengung führt automatisch zu einer Art Fieber.
    "Wir haben das mal in einer kleinen Studie untersucht, wir haben mal eine Reihe Jugendlicher aufs Fahrrad gesetzt und haben sie für einen Zeitraum von nur 20 Minuten fahren lassen und dieser kleine Zeitraum hat genügt, um die Körpertemperatur um zweieinhalb Grad ansteigen zu lassen. Das geht also sehr schnell und kann eben auch sehr schnell in bedrohliche Bereiche führen."
    Gegen den Kollaps hilft dann nur Kühlung von außen. Lukas hat da mittlerweile seine eigenen Rezepte.
    "Die typische Käppi, ein bisschen Wasser reinschütten und dann die nasse Käppi auf den Kopf setzen oder eben wenn es sehr warm wird das T-Shirt nehmen, ins Wasser halten und das nasse T-Shirt anziehen."
    Neue Hoffnung durch ungewöhnlichen Heilversuch
    Ansonsten gab es bisher keine Therapie. Und auch keine Medikamente. Ganz aktuell gibt es dennoch Hoffnung. Denn Holm Schneider und seine Erlanger Kollegen haben einen einzigartigen Heilversuch unternommen. Die Forscher kannten bereits die eigentliche molekulare Ursache der Krankheit: Den Kindern fehlt nur ein einziger Baustein im Körper, ein Eiweiß namens Ektodysplasin. Doch es nützt nichts, dieses Eiweiß einfach bei Kindern oder Erwachsenen zu ersetzen, zum Beispiel durch ein Medikament. Denn Ektodysplasin muss schon sehr früh während der Embryonalentwicklung des Ungeborenen vorhanden sein. Nur dann entstehen Schweißdrüsen und Körperhaare und normale Zähne.
    "Das Ganze passiert aber schon im Mutterleib, zu einem Zeitpunkt, zu dem also normalerweise keine Arzneimittel verabreicht werden. Und deswegen mussten wir uns einen Trick überlegen, um das Kind in Mutterleib zum richtigen Zeitpunkt mit dem Medikament zu erreichen."
    Behandlung schon im Mutterleib
    Die Lösung der Erlanger Forscher: Sie koppelten das benötigte Eiweiß an einen Antikörper. Der brachte nun den dringend benötigten Baustein per Huckepack-Verfahren in den Blutkreislauf des Embryos. Bei zunächst drei schwangeren Frauen testeten die Forscher ihr Verfahren. Das Medikament injizierten sie jeweils direkt in die Gebärmutter. Ein Gentest hatte zuvor ergeben, dass die Kinder betroffen sein werden. Die drei Kinder wurden schließlich geboren, sind heute zwei Jahre alt. Das Ergebnis: Sie alle haben normale Schweißdrüsen.
    "Wenn Schweißdrüsen einmal vorhanden sind, dann bleiben sie bestehen und funktionieren auch - wir hoffen, ein Leben lang."
    Ein ungewöhnlicher, vorgeburtlicher Therapieansatz, der nun auch in der Fachwelt für Aufsehen sorgt. Doch so erfolgreich er verlaufen ist, Holm Schneider dämpft zu große Erwartungen, denn drei Patienten sind zu wenig für eine abschließende Erfolgsmeldung, er möchte die Therapie nun im Rahmen einer Studie an mehr Patienten testen.
    "Im Moment suchen für noch nach einer soliden Finanzierungsmöglichkeit für diese Studie. Solche klinischen Studien sind sehr teuer und gerade für seltene Erkrankungen gibt es wenig Unterstützung von der Pharmaindustrie.
    Für Menschen mit Ektodermaler Dysplasie sind die Arbeiten der Erlanger Forscher in jedem Fall ein Hoffnungsschimmer, auch wenn sie selbst nicht von einer Behandlung profitieren können, dafür aber vielleicht irgendwann ihre Nachkommen.
    "Grundlegend finde ich das super. Die Zahngeschichte oder ähnliches ist sehr gut behandelbar inzwischen, aber gerade das Schwitzen ist etwas, das kann ich ja bisher nur durch externe Faktoren sage ich mal beeinflussen. Und wenn das eben durch eine Herbeiführung im Mutterleib möglich ist - warum nicht? Ich bin da sehr positiv und offen."