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Elke Heidenreich: "Männer in Kamelhaarmänteln"
"Kleidung ist auch eine Art Respekt"

Welchen Einfluss hat Kleidung auf Menschen? Dieser Frage ist Elke Heidenreich in 77 Geschichten nachgegangen. Klamotten müssten zu einem Menschen passen, sonst sehe man aus „wie eine kranke Ratte, sagte Elke Heidenreich im Dlf. Und: Kleidung könne nicht nur geschmacklos, sondern auch respektlos sein.

Elke Heidenreich im Gespräch mit Gisa Funck |
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Glaubt, dass Kleidung viel über unsere Persönlichkeit verrät: Elke Heidenreich (Deutschlandradio / Jelina Berzkalns)
Gisa Funck: Liebe Elke Heidenreich, man kennt Sie eigentlich als burschikose Fernseh- und Literaturberühmtheit, die gern in Jeans und T-Shirt herumläuft. Umso überraschender liest man jetzt in Ihrem neuen Buch "Männer in Kamelhaarmänteln", dass Sie sich darin zu einer Leidenschaft für exquisite Kleider bekennen. Wie kam’s dazu?
Elke Heidenreich: Nun ja, an sich bin ich überhaupt kein Modefreak. Und es ist auch kein Buch über Mode, sondern es ist ein Buch über Kleider. Denn mir ist einfach aufgefallen, wie lange ich meine Klamotten immer habe – und wie sehr mich manche Sachen an gewisse Situationen erinnern. Und darüber wollte ich schreiben, weil ich glaube, dass es vielen Frauen so geht.
Funck: Beim großen französischen Romancier Marcel Proust, das wissen alle Literaturfans aus der "Suche nach der verlorenen Zeit", da ist es ja so, dass - wenn Prousts Erzähler an die Madeleine-Kekse seiner Kindheit zurückdenkt, das dann für ihn ist wie eine Reise in der Zeitmaschine. Er erinnert sich an die Madeleine-Kekse und fühlt sich sofort wieder in seine Kindheit zurückversetzt. Und ich hatte bei Ihrem neuen Buch nun auch den Eindruck, dass hier der Blick in den eigenen Kleiderschrank ganz ähnlich funktioniert: Dass Sie anhand ihrer alten Kleider noch einmal ihr Leben Revue passieren lassen und sich noch einmal zurück in die Vergangenheit versetzen können. War das so? Sind das so Erinnerungsspeicher, die Kleider für Sie?
"Ich wollte aufschreiben, was Kleider mit uns machen"
Heidenreich: Ja, ein bisschen ist das so. Aber ich habe natürlich meine Kinderkleider nicht mehr. Und auch mein Tanzstundenkleid, mein Abiturkleid, mein Konfirmationskleid – das alles habe ich nicht mehr. Aber ich habe eine alte Fotokiste. Früher hatte man ja noch solche Fotokisten, als man noch nicht mit dem Handy fotografierte. Und in dieser Fotokiste sehe ich auf Bildern alle diese alten [Kleider-]Sünden. Und das erinnert mich tatsächlich an vergangene Situationen, in denen ich diese Sachen anhatte. Oder ich beobachte auch bei anderen Frauen, was sie anhaben, und sehe dann manchmal, wie fatal das danebengeht. Und ich hatte einfach mal Lust, so was aufzuschreiben. Also darüber, was Kleider eigentlich mit uns machen.
Funck: Ihr Buch versammelt ja 77 Prosa-Miniaturen, so würde man es nennen, also kleine Texte ...?!
Heidenreich: Sehr kleine Texte, ja!
Funck: Auch sehr persönliche Texte oft. Man könnte es darum ja auch als eine verkappte Autobiografie von Elke Heidenreich lesen, oder?
Heidenreich: Nicht so ganz, dafür fehlt zu viel. Ganz vieles ist ja auch nicht drin. Drin sind ganz bestimmte Stationen meines Lebens, vor allem aus meiner Kindheit. Das sind Ereignisse, die mit meiner Biografie übereinstimmen. Zum Beispiel, dass ich auf eine Schule ging, an der ein Schild angebracht war, auf dem es hieß: "Die Hose zieret nur den Mann, drum Mädchen zieh’ ein Röcklein an!" Ich meine, was sind das für Sachen! Darum musste ich als kleines Mädchen auch immer ein Röcklein anziehen, auch im Winter! Meine Mutter hat mir dann da drunter immer noch eine Cordhose angezogen, unter das Röcklein, damit ich’s nicht, wie es hieß, "an der Blase kriege" Das sind meine eigenen Erinnerungen in dem Buch. Aber manche Ich-Geschichten darin sind auch frei ausgedacht. Und dafür sind andere, Dritte-Person-Geschichten wiederum doch eher meine, also es mischt sich ziemlich. Eine wirkliche Autobiografie ist es nicht, aber das Buch hat autobiografische Züge.
"Verrückt, wie lange Frauen Hosenverbot hatten!"
Funck: Weil Sie jetzt gerade auf die Hosen zu sprechen kommen, das taucht ja öfter auf. Sie sind 1943 geboren, gehören also noch zu einer Frauengeneration, die – man kann sich das heute kaum noch vorstellen, auch ich musste manchmal stocken, als ich das gelesen habe – aber es war ja früher tatsächlich so, in den 50er/60er Jahren, wenn Mädchen oder junge Frauen mit Hosen rumliefen, dann wurden die ausgeschimpft?!
Heidenreich: Ja, das ging nicht! Und Mädchen in Hosen wurden sogar oft rausgeschmissen! Sogar noch in den 60er-Jahren, aus einer Kneipe in London! Da durfte eine Frau in Hosen damals nicht rein! Oder ich erinnere mich daran, dass meine Freundin Senta (Berger) mal in einem Smoking von Yves Saint Laurent, nach irgendeinem Auftritt, in eine Bar wollte und sie dann nicht in der Hose rein durfte. Denn Frauen hatten gefälligst ein Kleidchen anzuhaben! Ist doch verrückt, wie lange es dieses Hosenverbot gab!
Funck: War und ist das vielleicht auch ein Grund, warum Sie selbst so oft Hosen tragen? Sie sind ja ziemlich berühmt für ihren Jeans-mit-T-Shirt-Stil, mit dem Sie auch oft im Fernsehen aufgetreten sind…?!
Heidenreich: Nee, damit hatte das nichts zu tun. Ich trug einfach Hosen, weil es praktisch ist. Und weil ich immer Tiere habe. Katzen, die auf meinem Schoß liegen und die einem immer die Strümpfe kaputtmachen. Oder Hunde, mit denen ich drei, vier Mal am Tag rausgehe. Dafür sind Hosen einfach praktischer. Ich habe eine ganze Menge schöner Röcke und Kleider, weil ich ja auch ein großer Operngänger bin, und dann ziehe ich auch mal gern andere Schuhe an und einen Rock, aber so im Alltag finde ich Hosen einfach wahnsinnig praktisch.
"Bei mir geht’s oft schief, wenn ich mich fein machen will"
Funck: Also, der Griff zur Hose war für Sie jetzt kein emanzipatorisches Signal?
Heidenreich: Nein, nein – gar nicht, sondern es ist einfach leichter, schnell morgens eine Jeans anzuziehen und mit dem Hund zu gehen, als sich in ein Röckchen und Strumpfhosen zu wurschteln. Und trotzdem sehe ich auf alten Fernsehaufnahmen, was für grässliche Sachen ich manchmal in Talkshows anhatte, als ich versuchte, mich fein zu machen! Bei mir geht’s fast immer schief, wenn ich versuche, mich fein zu machen.
Funck: Was genau läuft da schief? Oder anders gefragt: Ich hatte beim Lesen dieses Buch schon das Gefühl, dass Kleidung und Kleider für Sie mehr als nur Kleidungsstücke sind?
Heidenreich: Tja, es muss eben passen! Ich hatte zum Beispiel mal in einer Sendung Jil Sander als Gast. Ich glaube sogar, das war überhaupt ihr einziger Auftritt in einer Talkshow in den frühen 80er-Jahren. Und Jil Sander war damals wahnsinnig schüchtern und sehr nett, und sie kam mit einem Koffer voller Designklamotten an. Und aus dem kramte sie so einen goldenen Anzug, den ich für unseren Auftritt anziehen sollte. Sie hat mir den dann also angezogen, und ich war auch ganz stolz, einen Jil-Sander-Anzug zu tragen, fand ich toll! Aber als ich das Teil anhatte, kuckte sie mich an und sagte: "Nein, ziehen Sie bitte alles sofort wieder aus! Das sind Sie nicht!" Das war ich nicht. Und wenn ich’s nicht bin, bewege ich mich nicht natürlich. Und wenn ich mich nicht natürlich bewege, sondern nur so eine Anziehpuppe darstelle, dann funktioniere ich nicht. Dann kann ich nicht richtig denken und nicht richtig reden. Deswegen finde ich, Kleider müssen zu einem Menschen, der sie anhat, einfach passen. Dann ist es gut.
"Meine Lieblingshose habe ich für neun Mark gekauft"
Funck: Aber heißt das umgekehrt auch, dass Kleider eine ganz eigene Aura haben? Vielleicht sogar so etwas wie eine Kleider-Seele?
Heidenreich: Manche schon! Manche Mäntel trägt man ja wirklich 30 Jahre lang, weil man sich nicht von ihnen trennen kann. Weil man sie so liebt. Man lässt sie fünfmal neu füttern. Und andererseits habe ich mir einmal ein Ballkleid schneidern lassen für viel Geld und genau nach meinen Entwürfen, nach meinen Stoffen, nach meinen Ideen. Und dieses Kleid hängt trotzdem einfach nur an mir runter und ich sehe darin aus wie eine kranke Ratte! Und das hat so gar nicht das gewisse Etwas. Letztlich weiß ich auch nicht, warum man manche Sachen so liebt! Ich habe mir zum Beispiel auch mal im Kaufhof für 9 Mark eine Tigerfellhose gekauft, aus Plüsch. Lange her. Damals wurde noch in Mark gerechnet…,
Funck: O ja!
Heidenreich: Und ich kann mich nicht trennen von dieser Hose! Die muss ich vor 25 oder 30 Jahren gekauft haben - und ich trage diese Tigerfellhose noch immer. Und sie meine allerliebste Lieblingshose. 1000mal schon in der Waschmaschine gewaschen. Aber sie sitzt immer noch, sie ist immer noch schön, und das für neun Mark! Mehr kann man nicht verlangen! Diese Hose hat wirklich eine Aura.
Funck: Okay. Es gibt auch eine sehr schöne Episode in Ihrem Buch, in der Sie davon erzählen, wie Sie in einem Schaufenster in Venedig ein Kleid sehen, ein wunderschönes Kleid, sehr teuer und sehr klein. Nämlich Kleidergröße 34. Also ein Kleid, in das nicht reinpassen und das Sie in ihrem Leben wahrscheinlich nie tragen werden können. Trotzdem gehen Sie kurz entschlossen in den Laden und kaufen das Kleid sofort. Warum?
Heidenreich: Ja, das war aber wirklich eine einmalige Sache. So was mache ich nicht oft. Ich war vorher in der Oper gewesen. Und es war sowieso ein wunderschöner Tag. Ich kam raus aus der Oper, ich war glücklich und war in diesem Opernumfeld, La Fenice in Venedig, und da gibt’s so einen kleinen Laden, eine Boutique, die nur schöne Sachen in Samt und Seide führt. Und schon das Schaufenster war so toll. Ich blieb davor stehen, und da hing auf einem Bügel dieses Kleid. Und das war so schön! Es war wirklich das alte Venedig. Aus Samt und Seide, in ganz zarten Farben, und so schön genäht und so tolle, kostbare Stoffe! Ich bin dann einfach rein und habe es mir näher angekuckt, hab’s angefasst – und dann dachte ich, das ist ein Kunstwerk. Und das kaufe ich jetzt einfach! Egal, was ich damit mache. Und heute hängt das Kleid bei mir zuhause, und ich kucke es an und freu’ mich daran!
Funck: Dieses venezianische Kleid gibt also noch?
Heidenreich: Ja, ja. Das Kleid gibt’s, ja – klar! Und vielleicht werde ich ja mal eine kleine schrumpelige Oma, dann passe ich rein! Oder man legt mich in den Sarg und schneidet’s hinten auf, das sieht ja dann keiner wie bei den Nachthemden im Krankenhaus – und dann kann ich’s endlich anziehen irgendwann. Und wenn nicht, dann wird’s vererbt, an irgendein kleines Mädchen irgendwann.
"Das Kleid macht mich glücklich, obwohl ich’s nie tragen werde"
Funck: Wo es Ihnen auch egal ist, dass es ein sehr teures Kleid ist, das ist diese Episode, in der Sie von Nero Corleone erzählen, ihrem geliebten und berühmten Kater, den Sie 1995 mit ihrem gleichnamigen Buch geradezu unsterblich gemacht haben.
Heidenreich: Ja, der Nero hat ja auch mein Leben verändert! Dadurch, dass das Buch über ihn so berühmt wurde.
Funck: Und als Kater Nero dann nach acht Jahren leider starb und eingeschläfert werden musste, da haben Sie ihm – kann man jetzt nachlesen - kurzerhand ihr Designerkleid von Ungaro umgehangen … ?
Heidenreich: Ja, das war ein Ungaro-Kleid. Ein teures Seidenkleid, schwarz mit roten Erdbeeren und weißen Erdbeerblüten, wunderschön! Lange Ärmel, aber ein kurzes Kleid. Kein Abendkleid. Und ich habe mir damals überlegt, dass ich so viel Freude an diesem Nero hatte und durch dieses Buch über ihn finanziell sorgenfrei für den Rest meines Lebens wurde - so ein Knaller war dieses Buch! – und da habe ich ihn aus Dankbarkeit in dieses Kleid gewickelt und in eine italienische Weinkiste gelegt, dazu legte ich eine italienische Erstausgabe von "Nero Corleone", seine Spielsachen, seine Deckchen, seine Bällchen. Und mit diesem ganzen Kram habe ich ihn dann im Garten begraben. Und immer, wenn ich in diese Ecke kucke, wo er liegt, dann denke ich an dieses Ungaro-Kleid. Das Kleid hätte ich längst vergessen, wenn ich’s getragen hätte, bis es nicht mehr passt. So habe ich es nie vergessen, und es ist immer noch in meinem Bewusstsein. Auch dafür kann ein Kleid gut sein.
Funck: Ja, überhaupt war ich sehr überrascht, wie viel Kraft und Einfluss Sie den Kleidern ihres Lebens zuschreiben – oder auch generell den Kleidern im Leben von Menschen. Das gilt in Ihrem Episodenbuch allerdings auch im Negativen. Denn dreimal beschreiben Sie hier ja auch den Fall, dass Männer sozusagen das falsche Kleidungsstück wählen. Der eine schickte Ihnen geschmacklose Unterwäsche. Der zweite hatte ein schreckliches Jackett mit Goldknöpfen an ...
Heidenreich: Ja, da bin ich ganz allergisch, Goldknöpfe!
Funck: Und der dritte Angeschmachtete tauchte in einem scheußlichen, giftgrünen Poloshirt auf. Also, reicht für Sie tatsächlich schon ein Poloshirt, um eine Liebe ersterben zu lassen?
Der Heidenreich-Liebestöter? Ein Jackett mit Goldknöpfen
Heidenreich: Nein, okay, es wird natürlich nicht alles komplett verändern und nicht jedes Gefühl töten. Aber wenn man sich mit jemandem verabredet hat und der kommt – das kennen wir doch alle! – in unfassbar grauenvollen Klamotten daher! Eine jägergrüne Jacke mit Goldknöpfen und Einstecktüchlein? Das geht gar nicht! Oder man hat einen Mann sehr geliebt und sieht den nach Jahren wieder – und man sieht, der ist alt geworden. Man selbst ist auch alt geworden. Aber er sieht dann auch noch gar nicht mehr elegant aus, sondern er sieht jetzt aus wie ein alter Mann und zieht auch solche Klamotten an. Ich finde, das muss eigentlich nicht sein. Man muss nicht, nur weil man 60 ist, Beige mit Gummizug tragen!
Funck: Wogegen Sie auch hart ins Gericht gehen in Ihrem Buch, das ist der überall zu beobachtende Trend hin zur praktischen Funktionskleidung. Also: Jogginghose, Turnschuhe und vor allem die omnipräsenten Kapuzenpullover, die scheinen Sie sehr zu ärgern?!
Heidenreich: Ja, "hart ins Gericht" will ich nicht sagen, aber ich frage mich schon, warum alle so rumlaufen. Ich meine, wenn einer joggt, soll er eine Jogginghose anhaben und auch gerne einen Kapuzenpullover. Aber warum geht man mit einem Kapuzenpullover in die Oper? Erklären Sie mir das mal! Das geht nicht! Kleidung ist auch eine Art Respekt. Sie zeigt, dass man gegenüber gewissen Veranstaltungen und den Menschen gegenüber, die diese Veranstaltungen machen, Respekt hat – und dass man dann eben nicht in kurzen Hosen und Badeschlappen ins Theater geht oder in die Oper.
Funck: Das wäre dann Ihre Definition von Stillosigkeit?
Heidenreich: Ja, das ist stillos. Das ist geschmacklos. Und das ist auch respektlos, finde ich.
"Niemand kann Kamelhaarmantel so gut tragen wie mein Vater"
Funck: Sie erzählen in diesem Buch ja auch viel über ihre Eltern. Nicht zufällig heißt das Buch "Männer in Kamelhaarmänteln". Ein Titel, der auf ihren Vater zurückgeht, weil ihr Vater gern in einem eleganten Kamelhaarmantel rumgelaufen ist. Trotzdem lautet der allererste Satz dieser kurzen Erzählung: "Ich kann Männer in Kamelhaarmänteln nicht leiden". Warum?
Heidenreich: Ja, weil mein Vater seinen Kamelhaarmantel so unnachahmlich elegant und schön getragen hat. Und heute, wenn ich Männer in Kamelhaarmänteln sehe, dann sind das meistens so Mäntelchen. Denn die Männermantel-Mode ist ja furchtbar geworden! Früher waren die Mäntel weit, lang und elegant. Und man schmiss sie irgendwie über die Lehne. Heute sind das taillierte, kniekurze Mäntelein, in denen Männlein stecken. Das ist alles so fipsig geworden. So klein, so eng. Und das verträgt ein Kamelhaarmantel nicht. Der muss weit, weich und lässig sein. Und der muss um einen herumschwingen und nicht tailliert sein und am Knie schon wieder aufhören. Das kann ich nicht leiden!
Funck: Okay. Ich dachte mir aber auch, dass der Kamelhaarmantel im Buchtitel vielleicht auch auf die komplizierte Beziehung zu ihrem Vater anspielt?
Heidenreich: Ja, auch! Dass er so wunderbar aussah in seinem Kamelhaarmantel, dass ich seitdem immer denke: "Ach, ihr könnt’ ihm alle nicht das Wasser reichen!" Diese Geschichte ist auch eine etwas wehmütige Liebeserklärung an meinen Vater.
Funck: Apropos: Ältere Klamotten, die einem Kraft geben können. Die schönste Erzählung in Ihrem Buch, das war für mich die Erzählung, in der Sie von ihrer Moderation bei den Salzburger Festspielen erzählen....
Heidenreich: Ja, das ist auch meine liebste Erzählung!
Funck: Das war 2008, da sollten Sie die große Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen halten. Und Sie beschreiben das dann so hinreißend, wie Ihnen im Vorfeld langsam klar wird, was für eine Veranstaltung das eigentlich ist...
Heidenreich: Ja, ich war underdressed!
Funck: Denn Sie trugen an diesem Abend das alte Tupfenkleid ihrer Mutter.
Heidenreich: Ja, und das hatte Mottenlöcher und darüber hatte ich ein Jäckchen gezogen, dass man die nicht sah. Und ich habe vorher nicht gewusst, wie gigantisch dieser Event eigentlich ist. Ich dachte vorher, ich halt’ da eben mal eine kleine Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele vor den Honoratioren im geschmückten Barocksälchen am Blumenpul. Aber es war in der Felsenreitschule. Und da saßen an diesem Abend dann irgendwie 2000 Leute. Und unter denen waren unter anderem Neuenfels, Ann-Sophie Mutter, Zubin Metha, Barenboim - also, die ganze Veranstaltung hatte eine ganz andere Dimension, als ich vorher geahnt hatte! Und ich hatte dazu dieses Kleid meiner Mutter angezogen, um ihr irgendwie zu danken.
Es war von 1935, also ein ganz altes Kleid. Und es fiel schon auseinander, aber ich wollte es einfach anziehen, weil ich dachte, ach - für diesen einen Abend geht’s noch, und es wird mir Kraft geben. Ja, und dann habe ich kurz vor meiner Eröffnungsrede gemerkt, dass ich völlig falsch angezogen war.
Alle anderen Gäste waren totenelegant. Und ich stand da in diesem Fähnchen. Und in diesem Moment sagte ich mir: "Elke, darauf kommt’s nicht an, Hauptsache - die Rede ist gut!" Ich war mir sicher (und das Selbstbewusstsein habe ich dann) meine Rede war gut. Und dann habe ich die Rede gehalten, 45 Minuten lang, also eine richtig lange Rede. Und die war wirklich gut. Und am Ende habe ich Standing Ovations gekriegt. Und danach habe ich mich ganz schnell aufs Klo geflüchtet, zitternd natürlich, weil ich mich auch erholen musste von dem Schreck. Und ich saß dann hinter der verschlossenen Klotür und dachte: "Boah! Du hast es geschafft! Es ist gut gegangen." Und dann kamen zwei ganz schicke Wiener Damen rein, wie ich später sah, und sagten: "Also die Heidenreich, gescheit ist sie schon, aber fesch ist sie nicht!" Und in dem Augenblick bin ich raus gegangen aus meiner Kabine - und die beiden waren sehr erschrocken, dass ich ihr Gerede gehört hatte, und habe zu ihnen gesagt: "Aber schauen Sie: ‚Fesch sind doch Sie, meine Damen! Das reicht doch dann!’" Ja, und das war ein Riesentriumph für mich! Denn, wenn ich die Wahl habe, ist es halt doch so: Dann bin ich lieber gescheit als fesch!
"Alle waren totenelegant, nur ich stand da in diesem Fähnchen!"
Funck: Aber ich glaube die Pointe dieser Geschichte ist trotz allem: Das alte Tupfenkleid ihrer Mutter war zwar underdressed, es war motten-zerfressen, aber...
Heidenreich: Es hat mir geholfen!
Funck: Ja, es steht dieser Satz in Text: "Es gab mir Kraft!"
Heidenreich: Ja. Das war so, wie wenn man manchmal eine Lederjacke braucht, damit man sich traut, Widerworte zu geben.
Funck: Also hätten Kleider vielleicht doch eine Seele?!
Heidenreich: Sie haben die Seele, die wir Ihnen verleihen. Die Sachen sind so beseelt, wie wir sie sein lassen. Und wenn man das, was man um sich herum hat, liebt, dann ist es richtig. Dann hat’s eine Seele. Sonst hat’s einfach nur einen Preis!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Elke Heidenreich: "Männer in Kamelhaarmänteln. Kurze Geschichten über Kleider und Leute"
Carl Hanser Verlag, München. 224 Seiten, 22 Euro.