Sonntag, 28. April 2024

Kinder und Social Media
Das Warten auf den TikTok-Account

Smartphone schon in der Grundschule? Und ab wann Social Media? Für Eltern sind Fragen rund um den digitalen Umgang ihrer Kinder zu zentralen geworden. Eine Diskussion in Hamburg zeigt: Einfache Antworten gibt es bei diesem Thema kaum welche.

Von Magdalena Neubig | 17.10.2023
Ein Mädchen hält ein Smartphone in der Hand
Spielen, Chatten, Posten: Mit dem Smartphone ist viel mehr möglich als reines Telefonieren (picture alliance / dpa-tmn / Christin Klose)
Im Körber-Forum in der Hamburger Hafencity sind fast alle Plätze besetzt. In der ersten Reihe warten drei 12-Jährige darauf, dass die Veranstaltung losgeht. „Warum seid ihr denn heute hier?“, frage ich sie. Die Kinder lachen: "Weil unsere Eltern das wollen!".
Die drei hätten gerne einen TikTok-Account. Ihre Mutter möchte allerdings, dass sie damit noch etwas warten. Und damit ist sie nicht der einzige besorgte Elternteil, der heute Abend im Körberforum sitzt. Auch viele Großeltern sind da und wollen sich informieren.
"Ich denke, dass ich schon bei meinem Sohn damals nicht richtig eingegriffen hab, dass ich das habe so laufen lassen. Ich verstehe nichts davon und das möchte ich bei meiner Enkelin, ehrlich gesagt, kundiger begleiten können."

Psychologe plädiert für Verbote an Schulen

Auf der Bühne diskutieren die "Mama-Bloggerin" Darleen Besmann und der Professor für Molekulare Psychologie von der Uni Ulm, Christian Montag. Bloggerin Darleen Besmann hält nichts davon, Kinder von Smartphones komplett abzuschotten. Ihre zwei sechs und acht Jahre alten Söhne dürfen die Handys ihrer Eltern nutzen.
"Aber es ist uns ganz wichtig, dass das nicht ihre Smartphones sind. Die dürfen sie in ihrer festgelegten Medienzeit. Da gibt's gewisse Apps drauf, die sie benutzen können, gewisse Spiele, die wir für sinnvoll erachten. Aber es ist ganz wichtig, dass das von den Eltern überwacht wird."
Professor Christian Montag hält das für den richtigen Ansatz. An Schulen hingegen befürwortet er Smartphone-Verbote: "Ich spreche mich da sehr klar für ein Smartphone-Verbot aus, zumindest eben an Grundschulen, da auf jeden Fall. Die Studien zeigen doch relativ eindeutig, dass das Ablenkungspotenzial gewaltig ist durch die Geräte."

Wo Süchte drohen

Ein Smartphone-Verbot heiße nicht, dass Kinder und Jugendliche kein Smartphone zur Hand nehmen dürften, aber dass ihr Umgang damit reguliert werde, um eine exzessive Nutzung zu verhindern. Denn es stehe einiges auf dem Spiel:
"Wir haben natürlich einen Verlust der Privatsphäre. Wir haben ein Daten-Geschäftsmodell, was zumindest in Kauf nimmt, dass so etwas wie Sucht entstehen kann. Und dann haben wir ja schon heute gehört, dass natürlich Kinder dort auch mit zahlreichem, nicht altersadäquatem Material konfrontiert werden."
Außerdem müsse sichergestellt werden, dass Smartphones Kinder nicht davon abhalten, sich um ihre Schulaufgaben zu kümmern und ausreichend körperlich zu bewegen. Ganz grundsätzlich sei aber nicht das Smartphone das Problem, sondern bestimmte Anwendungen darauf - wie etwa soziale Netzwerke und Messenger-Dienste, sagt Psychologe Christian Montag. "Ich spreche mich hier dezidiert dafür aus, dass die sozialen Medien de facto vor dem dreizehnten Lebensjahr nicht stattfinden sollten. Also das, was aktuell die Gesetzgebung vorschreibt."
Gerade soziale Netzwerke seien so designt, dass ihre Nutzerinnen und Nutzer völlig in sie abtauchen und nicht mehr die Finger davonlassen können. Da sei kein individuelles Problem, sondern die sozialen Netzwerke an sich seien keine "gesunden" Produkte. Auch kostenlose Gaming-Apps könnten gerade bei jungen Menschen treibende Suchtfaktoren sein.

Eltern bleiben in der Verantwortung

Und es gebe noch weitere Problemfelder: "Gerade bei jungen Mädchen kommt es durchaus zu Körperunzufriedenheit, zu Essstörungen, wo wir zumindest sehen, dass es Zusammenhänge gibt, gerade mit der Nutzung auch von bildgebenden Plattformen."
Auch deshalb müssten Plattformen stärker gezwungen werden, die Altersbeschränkungen einzuhalten, fordert Professor Christian Montag. "Mama-Bloggerin" Darleen Besmann glaubt, dass auch die Eltern mehr Verantwortung übernehmen müssen.
"Ich glaube, ganz viele Eltern sind sich dessen nicht bewusst, weil man halt auch vielleicht aus der eigenen Kindheit das noch gewohnt ist. Da hat man den Fernseher angemacht am Nachmittag, da wusste man, da läuft jetzt kein Porno im Fernsehen, da wusstest du, da kannst du die Kinder mal davorsetzen. Und mit so einer naiven Einstellung kann man heutzutage zum Beispiel nicht mehr an Instagram rangehen. Da sind zum Teil sehr krass explizite Videos, die angezeigt werden."
Psychologe Christian Montag empfiehlt Eltern deshalb, zu Beginn ehrlich interessiert gemeinsam mit ihren Kindern auf den Plattformen unterwegs zu sein, um Vertrauen zu schaffen. Das ist auch, was bei den anwesenden Eltern nach der Veranstaltung hängenbleibt. "Wichtig ist natürlich, dass man sich selber auch an die Nase fasst, kommuniziert mit dem Kind und aufpasst und - das fand ich ein sehr guter Hinweis - dass man sich eben mit den Kindern zusammen auch mal hinsetzt und schaut, was die schauen."
Irgendwann müsse man die Kinder dann aber auch gehen lassen, warnt der Psychologe Christian Montag noch. Am Ende seien soziale Netzwerke wie TikTok eben auch ein Teil Jugendkultur.
* Die Körber-Stiftung hat am 16.10.2023 in Kooperation mit dem „Stern“ die Diskussion unter der Überschrift "Tatort TikTok" veranstaltet.