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Elternpanik und Kinderfrust
Die Suche nach der perfekten Schule

Eltern tricksen vor der Schulanmeldung mit vermeintlichen Trennungen und Scheinwohnsitzen, damit das Kind in die Schule ganz in der Nähe darf. Andere klagen, um den Eintritt in die vermeintliche Wunschschule zu erzwingen. Forscher sprechen von "Bildungspanik" und fordern mehr Transparenz.

Von Armin Himmelrath | 04.02.2019
    Schüler einer dritten Klasse in Frankfurt am Main betrachten ihre Zeugnisse.
    Schüler einer Grundschule betrachten ihre Zeugnisse zum Schulwechsel - ihre Eltern haben meist schon genaue Vorstellungen über die neue Wunschschule. (dpa/A. Dedert)
    Große Pause an einem Hamburger Gymnasium. Irgendwo im Gewusel der Kinder ist auch der zehnjährige Tim unterwegs. Vor ein paar Tagen hat der Fünftklässler sein erstes Halbjahreszeugnis auf dem Gymnasium bekommen. Tim heißt in Wirklichkeit anders, und auch seine Mutter - nennen wir sie Susanne - möchte auf gar keinen Fall erkannt werden.
    Dass Tim hier zur Schule gehen kann, das stand bis ein paar Tage vor Beginn des Schuljahres noch gar nicht fest. Denn nachdem Susanne ihren Sohn vor ziemlich genau einem Jahr angemeldet hatte, bekam sie eine Absage. Und erst nach langen Auseinandersetzungen mit der Schulbehörde und nachdem sie einen Anwalt eingeschaltet hatte, durfte Tim hier in die fünfte Klasse gehen. Susannes Aussagen sind deshalb nachgesprochen worden.
    "Es gibt noch zwei andere Kinder bei uns in der Straße. Tim und die beiden sind befreundet. Und alle drei haben sich am Gymnasium angemeldet. Und die beiden anderen haben kurz danach eine Zusage bekommen. Nur wir haben von der Schule einen Brief bekommen, dass es für Tim keinen Platz gibt. Dass er auf eine andere Schule muss, obwohl die viel weiter entfernt ist. Dabei wohnen wir von den drei Familien am nächsten zur Schule."
    Platz an der Wunschschule eingeklagt
    Ein Fehler, dachte die Familie zunächst und meldete sich bei der Schule. Doch schnell war klar: Es handelte sich nicht um einen Fehler.
    "Es waren zu viele Kinder angemeldet für die 84 Plätze. Dann haben sie ausgelost, und Tim war auf Platz 85. Da haben Sie Pech gehabt, hat der Schulleiter gesagt. Wir haben dann gehofft, dass noch jemand absagt, damit wir auf Platz 84 aufrücken. Aber das war nicht der Fall."
    Es blieb dabei: Tim sollte auf die andere, viel weiter entfernte Schule gehen. Seine Mutter Susanne wollte sich damit nicht abfinden. Sie forschte nach und stellte fest: Ein anderes Kind, das viel weiter weg wohnte, war vorgezogen worden, weil dessen Familie angeblich seit ein paar Wochen einen neuen Wohnsitz in unmittelbarer Nachbarschaft des Gymnasiums hatte. Doch dabei handelte es sich nur um eine Scheinadresse, fand Susanne heraus. Ihr Anwalt sorgte dann dafür, dass das andere Kind den Schulplatz nicht bekam und stattdessen Tim auf das Gymnasium wechseln durfte.
    "Diese andere Familie wollte ihr Kind einfach hier auf der Schule haben. Ich finde das unverschämt, die hätten meinen Sohn dafür rausgedrängt auf eine andere Schule, weg von seinen Freunden. Die haben überhaupt nicht darüber nachgedacht, was das für andere bedeutet."
    Das Trauma der "Bildungspanik"
    Für ihr Vorgehen wurde Susanne von einigen anderen Eltern als "Verräterin" beschimpft. Bis heute, sagt Susanne, sei die Erinnerung an den monatelangen Kampf um den Schulplatz für Tim für sie eine Belastung. Ein Einzelfall? Wohl eher nicht, denn wenn in diesen Tagen bundesweit die Viertklässler ihre Halbjahreszeugnisse erhalten, dann gibt es in vielen Familien kaum ein anderes Thema als die weitere Schulwahl. "Bildungspanik" hat der Soziologe Heinz Bude das genannt: Die Angst, für das eigene Kind nicht die besten Optionen ermöglicht, die beste Schule ausgesucht zu haben. Bettina Kubanek-Meis ist Schulleiterin der Gesamtschule in Wuppertal-Barmen. Sie kennt den alljährlichen Kampf um die Schulplätze aus langjähriger Erfahrung als Direktorin. Und sie kennt die Gründe, die Eltern dafür anführen, dass ihr Kind unbedingt auf diese eine Schule gehen muss und auf gar keinen Fall auf irgendeine andere.
    "Es ist eigentlich die ganze Palette der Motivationen, von Leuten aus der Nachbarschaft, die einfach den bequemen Schulweg suchen, bis hin zu Leuten, die wirklich quer durch die ganze Stadt fahren, weil sie sich verschiedene Schulen angeschaut haben und zu einem sehr begründeten Urteil gelangt sind, diese Schule zu wählen, an der sie dann anmelden."
    Mehrere hundert Bewerbungen zuviel
    Vor drei Jahren hat die Gesamtschule Barmen den Deutschen Schulpreis erhalten. Beleg dafür, wie gut an dieser Schule gearbeitet und unterrichtet wird. Und mit ein Grund dafür, warum auch in diesem Jahr wieder viel mehr Bewerbungen bei Bettina Kubanek-Mais eingehen, als sie Plätze verteilen kann. 140 Schüler kann sie aufnehmen, mehrere hundert Bewerbungen liegen jedoch in manchen Jahren auf ihrem Schreibtisch.
    "Das kollidiert sogar sehr stark, weil natürlich die Eltern, die im unmittelbaren Umfeld einer Schule wohnen, sagen dann nach den Anmeldungen, wenn sie keinen Platz bekommen haben: Warum kommt jemand aus einem ganz anderen Stadtteil und darf hier einen Schulplatz einnehmen? Und ich, der ich quasi zwei Straßen weiter wohne, nicht? Das ist natürlich eine Brisanz, die so etwas in diesem Elternwillen steckt der freien Schulwahl, aber das ist zurzeit überhaupt nicht auszuschließen, da die Schulen vom Schulgesetz her zwar das Umfeld der Schule und die räumliche Nähe einbeziehen können in ihre Wahl, aber die freie Elternwahl steht sozusagen noch darüber."
    Freie Elternwahl führt zu starken Verwerfungen
    Anders gesagt: Weil Eltern aus ihrer subjektiven Sicht nur das Beste für ihr Kind wollen, sorgen sie für ziemliche Verwerfungen bei der Schulanmeldung. Sibylle Schwarz ist Rechtsanwältin in Frankfurt am Main. Sie hat sich auf Bildungsrecht spezialisiert, und dazu gehören auch die in diesen Tagen startenden Anmeldeverfahren für die weiterführenden Schulen.
    "Der Wechsel auf Klasse 5, das ist ein Riesenthema. Ich weiß von Familien, die fangen schon im Herbst, so September ungefähr, an und schauen sich Schulen an, verschiedene Schulen, und gehen auch mit ihrem Kind hin, sich die Schule ansehen. Das muss man sich vorstellen, dass dieses Vierte-Klasse-Kind auch bei der Schulwahl mitsprechen soll, und dann in Hessen so bis 5. März wird dann der Antrag, die Bewerbung für die weiterführende Schule abgegeben. Das ist ein Riesenthema. Und in Frankfurt war es so, dass im letzten Jahr ungefähr 600 Schülerinnen und Schüler ihren Platz an der Wunschschule nicht bekommen haben."
    Wenn der Scheinwohnsitz auffliegt
    600 Ablehnungen, 600 Mal Frust und Enttäuschung alleine in Frankfurt, weil es mit der Wahl der Wunschschule nicht geklappt hat. Viele Väter und Mütter scheinen das als so bedrohlich wahrzunehmen, dass sie sogar zu illegalen Mitteln greifen, um ihren Schulwunsch durchzusetzen.
    "Manche versuchen, von vornherein zu tricksen. Also, bei uns in der Praxis als auch das, was ich in Gerichtsentscheidungen lese: Der Scheinwohnsitz ist oft aufgefallen, und da haben sich die Eltern sehr blamiert, weil, man hat ja falsche Angaben in einem förmlichen Dokument gemacht, das man an den Staat schickt. Das ist also sehr nach hinten losgegangen. Aber es gibt immer wieder Eltern, die das versuchen."
    Klare Kriterien im Antrag entscheidend
    Scheinwohnsitz, das heißt: Kurz vor der Schulanmeldung trennen sich die Eltern angeblich, ein Elternteil und das Kind ziehen in die Nähe der neuen Schule. Oder es werden vermeintliche Betreuungspersonen für das Kind benannt, die zufällig ein paar Straßen weiter wohnen. Das sind die unsauberen Methoden, wie sie beispielsweise Susanne, die Mutter aus Hamburg, erlebt hat. Es kann aber auch gute und wichtige Gründe dafür geben, warum ein Kind eben doch auf eine bestimmte Schule gehen sollte, sagt Rechtsanwältin Sibylle Schwarz.
    "Deshalb ist es ganz wichtig, dass die Eltern sehr viel Ernsthaftigkeit und sehr viel Sorgfalt bei diesem Bewerbungsformular oder Antragsformular aufwenden. Das ist alles, was der Schulleiter hat. Und da muss alles drin sein. Auch in so einer Kürze, dass er es auch bei hunderten, bei tausenden von Bewerbungsformularen erfassen kann, schnell erfassen kann. Da machen die Familien die meisten Fehler, schreiben gar nichts rein. Wenn der Schulleiter das Kriterium Geschwisterkind, Sprachenfolge, ein bestimmtes Abitur, weil die Mutter Französin ist beispielsweise, französisches Abitur gewollt - diese ganzen Kriterien müssen auf diesen ein, zwei, drei Seiten des Formulars stehen, sonst weiß der Schulleiter, der die Entscheidung über die Aufnahme trifft, ja gar nicht, worum es geht. Also, da müssen die Eltern sehr, sehr sorgfältig arbeiten."
    Ursachenforschung für Betrug
    "Vielleicht hat es das schon immer gegeben, dass man versucht hat, eine bestimmte Schule für sich zu suchen, die man für die Beste gehalten hat. Aber ich glaube, was sich verschoben hat, dass diese Wahl der Schule halt das Bild der Eltern, vielleicht auch vermittelt über bestimmte Schulprofile, die alles selig machende Entscheidung dann irgendwo ist."
    Sagt Marcel Helbig, Sozialwissenschaftler und Professor für Sozialforschung am Wissenschaftszentrum Berlin. Marcel Helbig untersucht in seiner Forschung das Bildungssystem und seine Ungerechtigkeiten. Und die Gründe, warum einzelne Akteure - zum Beispiel Eltern - bestimmte Entscheidungen treffen.
    "Also man will keine Schule, wo der Migrantenanteil zu hoch ist; man guckt nach bestimmten, also wenn es um die weiterführenden Schulen dann geht, dass es eine musische Spezialisierung gibt, eine naturwissenschaftliche. Wobei das eigentlich relativ Blödsinn ist so früh, mit der fünften Klasse schon, die Entscheidung zu fällen, was quasi nun die Begabung meines Kindes dann schlussendlich sind."
    Schulwahl als systembedingtes Problem
    Marcel Helbig sieht in der starken Bedeutung der Schulwahl weniger ein individuelles als ein systembedingtes Problem. Nämlich dann:
    "… wenn die Schulwahlen dazu führen, dass wir extreme Ungleichheiten in den Schulen haben, dass wir bestimmte Schulen haben, die dann eher aus den ärmeren Kindern bestehen, und andere Schulen, wo sich eben die Akademiker ballen."
    Gerecht ist ein solches Bildungssystem mit unterschiedlich guten Schulen nicht. Damit aber müsse sich eine Gesellschaft nicht abfinden, sagt Andreas Schleicher, Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD. Schleicher ist unter anderem für die regelmäßigen Pisa-Tests verantwortlich.
    "Ich glaube, das Thema Schulwahl und Chancengerechtigkeit muss sich nicht selber im Wege stehen. Es gibt viele der erfolgreichen Bildungssysteme, die den Eltern eine Vielfalt an pädagogischen Ideen und Schulen zur Verfügung stellen, aber gleichzeitig sicherstellen, dass alle Schulen gut sind. Wo Schüler vielleicht unterschiedlich lernen, aber wo trotzdem die Qualität sichergestellt wird. Ich denke, dass Eltern die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen pädagogischen Ansätzen zu wählen - das ist eigentlich ein positiver Aspekt eines Bildungssystems."
    Im Gegenzug "sollen Eltern etwas leisten"
    Dass Eltern also die aus ihrer Sicht beste Schule für ihr Kind suchen, findet Schleicher gar nicht so schlimm. Auch nicht, dass die Eltern ein starkes Mitspracherecht haben bei der Auswahl der Schule. Aber dafür, sagt Schleicher, müssten die Eltern im Gegenzug auch etwas leisten.
    "Ich glaube, es ist wichtig, dass wir wegkommen von der Idee, dass Schule im Grunde genommen eine Konsumeinrichtung ist: Ich schicke meine Kinder da hin, und dann? Die Schule soll sich drum kümmern. Ich glaube, es ist schon wichtig, dass sich Eltern mit der Frage auseinandersetzen: Wer ist mein Kind? Wie lernt mein Kind? Wie kann ich dieses Kind geeignet unterstützen?"
    Berlin verfügt über "sehr detaillierte Schulprofile"
    Schleicher fordert damit nicht weniger, als die Bildung vom Kind her zu denken. In Deutschland jedoch laufen Auswahlprozesse für die Schule bisher eher anders herum: Welche Schule ist gut, welche hat einen guten Ruf? Die Kinder haben sich dann anzupassen. Dabei ist es gar nicht so einfach, eine gute Schule zu identifizieren, sagt Sozialwissenschaftler Marcel Helbig. Denn es fehle schlicht das Wissen darüber, wo gut unterrichtet wird und wo nicht.
    "Was ist die bessere Schule? Das sind ja auch Entscheidungen, die völlig im Dunkeln halt stattfinden. Wir haben kaum Bundesländer, die wirklich auf Schulebene Daten zur Verfügung stellen, auf deren Grundlage ich irgendwie eine informierte Entscheidung treffen kann! Das einzige Beispiel, was mir eigentlich einfällt, was so ein bisschen was mitgibt, ist Berlin, wo sehr, sehr detaillierte Schulprofile vorliegen."
    Abiturdurchschnitt nur bedingt aussagekräftig
    Aber ob sich Eltern wirklich die Arbeit machen, die Zahlenwerke zu durchforsten und aus den Kennzahlen eine Bewertung der Schule und ihrer pädagogischen Arbeit abzuleiten? Er könne diese Frage nicht seriös beantworten, sagt Marcel Helbig.
    "Da gibt es bisher wenig Untersuchungen, wie weit dann diese Schulprofile und die Merkmale, die es halt gibt, dazu führen, wie ausgewählt wird. Am ehesten wird noch dann nachgeguckt: Wie gut ist zum Beispiel die Abiturnote? Und das hängt natürlich - der Schnitt - sehr stark mit der sozialen Zusammensetzung zusammen. Und so habe ich dann so ein quasi sich selber reproduzierendes System, dass dann quasi wieder die, die sich wirklich interessieren, an die Schulen gehen, wo ohnehin quasi die höheren Schichten halt leben."
    Mit anderen Worten: Trotz der Daten aus den detaillierten Schulprofilen stützen sich Eltern dann doch wieder auf einige wenige, nur bedingt aussagekräftige Kennwerte wie den Abiturdurchschnitt. Sie leiten daraus die Schulwahl für ihr Kind ab, nach dem Motto: Diese Schule hat immer gute Abitur-Durchschnitte, also wird mein Kind dort ebenfalls ein gutes Abitur machen.
    Tränen - oder das Glück des Losverfahrens
    Wenn es dann doch keinen Platz an dieser Schule gibt, ist die Enttäuschung groß. Bis zu 200 Absagen verschickt etwa die Wuppertaler Schulleiterin Bettina Kubanek-Meis in manchen Jahren. Was rät man als Schulleiterin, wenn dann in Tränen aufgelöste Eltern im Büro sitzen und flehen, man solle doch für das eigene Kind eine Ausnahme machen?
    "Mit Raten ist dann natürlich schlecht. Im Grunde kann man dann fast nur noch trösten, zumal es wirklich für einige Eltern dann, weil sie selber berufstätig sind oder wie auch immer, eine rein pragmatische Ebene hat, die problematisch ist. Aber auch die Schulen selber - die meisten wählen das Losverfahren - können in dem Moment dann auch nichts mehr daran ändern."
    Das Losverfahren. Wie fair kann es sein, wenn der Schulbesuch vom Glück einer Verlosung abhängt?
    "Tja, ist ein Losverfahren gerecht? Es schafft eine scheinbare Gerechtigkeit, aber es gibt keine Alternative, wo man sagen könnte: Die führt zu gerechteren oder besseren Ergebnissen. Das ist leider so. Dass ein Losverfahren für ein Kind und für die Eltern völlig unbefriedigend ist, das ist uns natürlich klar," Marcel Helbig.
    Qualität und Chancengleichheit in den Niederlanden
    "Berlin geht ja in den weiterführenden Schulen so ein Stück weit diesen Weg der Verlosung. Das führt natürlich auch zu abstrusen Ergebnissen. Die werden dann sicherlich auch durch die Berliner Presse ein bisschen aufgebauscht, dass ein Kind dann von Zehlendorf nach Marzahn müsste oder so. Ja, es scheint doch, wenn man das wirklich fair gestalten will, dann ist das wohl eine Möglichkeit, die man gehen könnte. Aber man muss halt auch immer diesen ganzen anderen Aspekt, der wichtig ist, nämlich die Wohnortnähe, im Blick haben."

    In ein gut gestaltetes Mischverfahren, sagt Pisa-Forscher Andreas Schleicher, könne man auch den Elternwillen einbauen - vorausgesetzt, die Schulen bieten alle vergleichbar guten Unterricht.
    "Also, gute Beispiele sind in Europa die Niederlande, wo fast alle Schulen freie Schulen sind und die auch völlig unterschiedlich arbeiten. Die Regierung stellt dort aber sicher, dass die Qualität dieser Schulen gewährleistet ist. Alle Schulen leisten im Grunde gute Arbeit, es gibt dort im Grunde auch einen geringeren Einfluss von sozialem Hintergrund auf Bildungsleistungen, als man das in Deutschland feststellen kann. Also: Qualität, Chancengerechtigkeit sind dort gesichert, aber mit einer erheblich größeren Vielfalt an Ideen im Schulsystem, zwischen denen Eltern wählen können und müssen."
    Die Verantwortung des Staates
    Ohne eine aktive und informierte Rolle der Eltern geht es also nicht. Und hier, sagt Bildungsexperte Schleicher in Richtung der Kultusministerien und Schulbehörden, müsse auch der Staat seine Verantwortung wahrnehmen: Verantwortung für gute Schulen und für gute, verlässliche Informationen.
    "Nur ist auch wichtig, dass das Bildungssystem selber Eltern bei der Schulwahl unterstützt. Ansonsten ist es so, dass die Kinder aus günstigem sozialem Umfeld dann auch in die besten Schulen kommen. Und dann kann sogar Schulwahl noch soziale Unterschiede weiter verstärken. Also ist es schon wichtig, dass das Bildungssystem transparent ist, dass alle Schulen gute Leistungen bringen, dass also Schulwahl nicht bedeutet: Ich muss mich zwischen einer guten oder einer weniger guten Schule entscheiden, sondern zwischen Schulen mit verschiedenen Arbeitsweisen."
    Wenig Transparenz der Schulen
    Doch so transparent ist das Schulsystem in Deutschland längst noch nicht, sagt Rechtsanwältin Sibylle Schwarz.
    "In Hessen geben Eltern die Bewerbung an die Grundschule ab, und die geben sie an die Schule, die als Erstwunsch genannt ist. Was die Schulleitung mit dieser Bewerbung der Familie dann tatsächlich macht, das wissen wir eigentlich nicht. Und das halte ich auch für ein großes Problem. Es steht keiner daneben und guckt, dass die das wirklich ordnungsgemäß machen wie zum Beispiel bei der Lottozahlenziehung."
    Strittige Fälle, die später vor Gericht landen, sind zwar ein Teil ihrer Arbeit. Doch mit langwierigen juristischen Verfahren um die Schulwahl sei letztlich auch den betroffenen Kindern nur selten geholfen.
    Ahnungslose Eltern haben weniger Chancen
    Sibylle Schwarz sagt, Eltern sollten deshalb bereits bei der Anmeldung sorgfältig darauf achten, dass alle Namen und Daten stimmen, dass die richtige Fremdsprache angekreuzt ist und dass die relevanten Gründe für die Auswahl einer Schule klar benannt werden.
    "Sehr oft begegnen mir Eltern, die gar nicht wissen, was sie genau in dieses Formular, in diesen Antrag geschrieben haben. Ich bohre dann ziemlich nach - die können sich nicht erinnern. Eine Kopie haben sie nicht gemacht, Handyfoto haben sie nicht gemacht. Also die wissen gar nicht, haben sie eine Begründung reingeschrieben? Haben sie Kriterien hingeschrieben? Haben sie nur einen Satz reingeschrieben? Drei Worte? Bisschen ausführlicher? Sie können sich nicht mehr erinnern. Und auf dieser Grundlage können wir keine Verfahren führen. Weil, ich kann niemandem raten, in ein Verfahren zu gehen, wenn sich dann am Ende rausstellt: Die Eltern haben diese Kriterien gar nicht hingeschrieben."
    Einfach aufs Kind hören
    Manchmal aber, sagt Sibylle Schwarz, gebe es noch etwas viel Besseres als den Gang zum Anwalt, nämlich, dass Eltern auf ihre Kinder hören.
    "Ich habe auch erlebt, dass der erste Zorn, die erste Enttäuschung verraucht ist und dann diese eigentlich nicht gewollte Schule eigentlich dann doch ganz okay war. Ich habe also schon in der zweiten Instanz ein Verfahren dann zurückgezogen, weil das Kind nach Hause kam am vierten Schultag: Es hat jetzt eine neue Freundin, am Samstag wird gleich Übernachtungsparty gemacht, und dann war die glücklich auf der Schule, auf die eigentlich von Anfang an niemand wollte."
    Auch Schulleiterin Bettina Kubanek-Meis plädiert für Gelassenheit. Denn einerseits, sagt sie, würden die Kinder oft viel leichter mit der neuen Umgebung klarkommen als manche Eltern. Und andererseits sei das deutsche System, bei allen Unzulänglichkeiten, doch insgesamt auch gar nicht so schlecht.
    "Ich denke, die Abkehr von der - in Anführungszeichen - Willkür der Schulleiter, eben aufzunehmen, wessen Nase ihm passt, ist natürlich auch eine Entwicklung, die zu bevorzugen ist."
    Eine Errungenschaft, die der demokratischen Gesellschaft gut zu Gesicht steht: Dass grundsätzlich jeder Schüler und jede Schülerin in Deutschland die Chance hat, jede Schule zu besuchen.