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"Emotion, Empathie und Entschlossenheit"

Der US-Präsident Barack Obama sei immer noch der absolute Charismatiker und ein fantastischer Rhetoriker, sagt die Kunsthistorikerin Lydia Haustein. Außerdem sei er ein perfekter Inszenator, auch von geplanter Spontanität.

Lydia Haustein im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Beatrix Novy: Vor anderthalb Stunden beendete Barack Obama seine Rede am Brandenburger Tor, im Hemd, sein Jackett hatte er wirkungsvoll abgelegt, auch das gehörte zur Schau, die so eine Rede neben ihrem Inhalt ja ist. Dazu befragt haben wir Lydia Haustein, sie forscht zurzeit in Berlin, am Institute for International Performance Studies – und eine Performance war die Rede des Präsidenten ja auf jeden Fall. Das gilt auch ganz allgemein für so einen bedeutungsgeladenen Besuch, schon der Vorlauf war ja eine Gesamtinszenierung mit Pressebeteiligung. Frage an Lydia Haustein: Wie hat das auf Sie gewirkt?

    Lydia Haustein: Die Presse hat ganz klar in der Symbolbildung mitgespielt, indem sie Akzente verlagert hat. Um nur kurz ein Beispiel zu erwähnen: Es wird berichtet, wie Michelle Obama mit ihren Töchtern durch das Holocaust-Denkmal geht. Es wird aber weniger auf den historischen, doch sehr, sehr tiefen und sehr bewegenden Inhalt rekurriert, sondern man stützt sich eher darauf, was sie trägt, wie sie sich inszeniert und wie sie in den Sommerferien mit ihren Töchtern ein historisches Programm absolviert. Das heißt, man stützt sich auf Oberflächen und auf weniger das, was realita an Analyse notwendig wäre.

    Novy: Und für den Rest hat man ja zwei absolute Referenzpunkte, nämlich einmal Obamas Rede von 2008 zum ersten Vergleich, das andere ist die Rede von Kennedy seinerzeit, der einzige Präsident, der sich in der Beziehung sozusagen messen kann auf dieser Ebene. Wie würden Sie jetzt seine Rede von heute in Bezug zu seiner eigenen vor fünf Jahren sehen?

    Haustein: Ich finde, dass es fast eine dialektische Spannung gibt: auf der einen Seite schon die Inszenierung, sehr emotional vor der Siegessäule, in einem Meer von 200.000 Zuschauern, die ihm zujubeln, und nun das symbolische Brandenburger Tor, er als Präsident, nicht mehr als Kandidat, der sich analytisch ganz anders verhalten muss, der in seiner Performance weniger auf das Emotionale abhebt, sondern sein Charisma von dem Bildhaften auf eine Art inszenierte Spontanität verlegt und vor diesem symbolträchtigen Ort eher die Rhetorik, als die Bilder beschwört.

    Novy: Die Rhetorik, die eigene Rhetorik?

    Haustein: Zum einen die eigene Rhetorik, aber auch sich sehr darüber im Klaren ist, dass es hier um eine Verlagerung rhetorischer Bezüge geht. Also, natürlich ist die Rede von John F. Kennedy – aber er hat auch unter anderem Martin Luther King erwähnt – präsent und ikonografisch sehr wichtig, Sätze, die immerhin Weltgeschichte geschrieben haben, sind ihm bewusst. Aber er ist klug genug, um jetzt nicht den Spruch von Kennedy aufzunehmen, ich bin ein Berliner, sondern im Gegenteil, über das Diktum von Peace und Justice sich ganz im Sinne von Kennedy zu inszenieren, ohne ihn aber zu imitieren.

    Novy: Das heißt, sein Charisma mehr pragmatisch zu präsentieren?

    Haustein: Genau. Er ist immer noch natürlich der absolute Charismatiker, er ist ein fantastischer Rhetoriker, was viele mehr als bei seiner Rede auch bei der Beantwortung der Journalistenfragen gelernt haben, also im Bundeskanzleramt, dass ja dann letztendlich mitgedacht werden muss bei seiner Rede am Brandenburger Tor. Dieses Charisma Emotion, Empathie und Entschlossenheit, das sind drei Meilensteine, die den ganzen Nachmittag oder eigentlich den ganzen Tag über in den Vordergrund traten, durchbrochen von Gesten der Freundschaft und von Gesten, die sozusagen das Staatsmännische runterbrechen sollen auf den Menschen, wenn er zum Beispiel sein Jackett auszieht und sagt, wir sind unter Freunden, bitte ziehen Sie auch Ihr Jackett aus und wir reden jetzt unter uns.

    Novy: War das auch eine Erinnerung an Kennedy?

    Haustein: Es war in der Weise eine Erinnerung an Kennedy, dass er selbst in seiner Rede sagt, Kennedy konnte die Früchte der Bemühungen um Frieden, um Freiheit nicht mehr erleben, aber er wird uns in Erinnerung bleiben als ein junger Mann, und indem er selbst, Obama, als der jugendlich Ungestüme, ohne Jackett, ohne die offizielle Rolle, ohne die offizielle Uniform auftritt, stellt er sich natürlich in eine gewisse Genealogie.

    Novy: Das war natürlich eine Geste, an der man fühlen konnte, dass sie geplant und vielleicht quasi innerlich geprobt war. Schadet ihr aber nicht?

    Haustein: Überhaupt nicht. Ich glaube, dass er ein perfekter Inszenator auch der geplanten Spontanität ist. Es war mir auch manchmal ein bisschen zu viel, wenn diese Jugendlichen applaudierten und Fähnchen schwenkten. Da hatte man fast das Gefühl, als wäre da ein bisschen eingeübt und nachgeholfen worden an bestimmten Stellen. Das empfand man eher als künstlich als die Spontanität, die er selber ausstrahlt.

    Novy: So sieht die Kunsthistorikerin Lydia Haustein Präsident Obamas Auftritt in Berlin.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.