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Endlagersuche in Deutschland
Das Atomlager Gorleben wird abgebaut

Jahrzehntelang war das Bergwerk Gorleben als Endlager für Tonnen von hoch-radioaktivem Müll gehandelt worden. Fast zwei Milliarden Euro wurden investiert. Dann die Wende. Bis Ende 2017 sollen die Anlagen zurückgebaut werden – um eine "weiße Landkarte" zu schaffen. Alles nur Symbolhandlungen?

Von Axel Schröder | 17.11.2016
    Die Endlagersuche wird neu gestartet.
    Der Salzstock in Gorleben. Die Suche nach einem Endlager beginnt von vorne. (Deutschlandradio / Axel Schröder)
    In Gorleben rollen die Bagger. Aber hier, im äußersten Nordosten Niedersachsens, wird nicht neu gebaut, sondern demontiert. Als erstes haben die Baggerkrallen den Asphalt der weiten Parkplätze vor dem sogenannten Endlagererkundungsbergwerk weggerissen, auch die schweren Grubenfahrzeuge stehen längst zum Abtransport bereit. Und sogar die Stacheldraht bewährte Fünf-Meter-Mauer rings um diese seit 30 Jahren von AKW-Gegnern belagerte Trutzburg soll fallen, erklärt Monika Hotopp vom BfS – dem Bundesamt für Strahlenschutz:
    "Die Umfassungsmauern der Außenumfriedung mit Toranlagen sowie der Erdwall werden zurückgebaut. Und durch gesonderte Sicherheitseinrichtungen an den betriebsnotwendigen Anlagen ersetzt. Und der Maschendrahtzaun wird zurückgebaut."
    Weil die Endlagersuche in Deutschland neu aufgerollt wird, soll im Gorlebener Salzstock in den nächsten Jahren die Arbeit ruhen. Das Bergwerk wird nicht zugeschüttet, sondern – wie der Bergmann sagt – offengehalten. So lange, bis ein weiterer Standort gefunden ist, dessen Geologie sich mit der Gorlebens vergleichen lässt. Das ist der Plan und nach Berechnungen des BfS auch die günstigste Lösung. Einen Standortvergleich findet auch Peter Ward richtig, der Betriebsrat der Gorlebener Bergleute. Nur den rigorosen Rückbau kann er nicht verstehen:
    "Das wird natürlich tragisch sein, traurig sein für uns. Es ist schwer genug den eigenen Arbeitsplatz selber zurück zu bauen. Wenn man sieht, dass die Bagger anrollen und Gebäude abgerissen werden. Das ist schon eine bittere Pille zu schlucken."
    In naher Zukunft sollen Peter Ward und seine einhundert Kollegen dann ihre rot verklinkerten Bürogebäude räumen. Das Ziel der Übung: die sagenhafte "weiße Landkarte", mit deren Hilfe die Endlagersuche neu starten soll. Auf dieser Karte gibt es kein Bergwerk in Gorleben mehr, in das in den letzten 30 Jahren schon fast zwei Milliarden Euro geflossen sind. Monika Hotopp vom BfS:
    "Mit der Überführung in einen reinen Offenhaltungsbetrieb soll sichergestellt werden, dass bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle Gorleben weitestgehend eine neutrale Rolle einnimmt."
    Bagger vor dem Gelände des Endlagererkundungsbergwerks Gorleben.
    Bagger vor dem Gelände des Endlagererkundungsbergwerks Gorleben. (Deutschlandradio / Axel Schröder)
    Nur Symbole statt Tatsachen?
    Aber genau diese "neutrale Rolle", die Idee einer weißen Landkarte sei eine Illusion und reines Wunschdenken, findet Peter Ward:
    "Das hat alles Symbolwirkung. Es kostet viel Geld. Ich weiß nicht, wie dieses Symbol ankommt unter den Gorleben-Gegnern. Ich glaube, sie sind schlau genug zu wissen, dass es nur Symbole sind und keine Tatsachen!"
    Und da liegt Peter Ward genau richtig:"Für uns ist das Oberflächen-Kosmetik! Denn im Kern bleibt dieses Bergwerk erhalten. Auf der Oberfläche sieht es aus wie eine normale Industrieanlage, wenn dieser Rückbau so vollzogen wird. Aber man hält diesen Standort im Standby-Verfahren!"
    Das erklärt Wolfgang Ehmke, der Sprecher der "Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg". Im Gorlebener Forst, so scheint es, wird eine Art Potemkinsches Dorf errichtet. Besser gesagt: ein Potemkinsches Nicht-Bergwerk. Ohne Mauern, ohne Zäune, fast ohne Bergleute. Dabei stehen die Chancen ziemlich gut, dass in Gorleben auch nach einem Standortvergleich weiter erkundet wird. Das glaubt neben Wolfgang Ehmke auch Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation "ausgestrahlt":
    "Der Suchprozess hat drei Stufen. Erst eine Suche nach bestimmten Gebieten nach Aktenlage. Zweitens dann eine obertägige Erkundung mit Bohrungen und drittens eine Erkundung mittels eines Bergwerks. Und Gorleben ist jetzt schon in der dritten Runde, da gibt es dieses Bergwerk schon. Und in Wirklichkeit ist es eben weiter mit im Spiel."
    Am besten sollte das Bergwerk gleich ganz dicht gemacht werden. Denn der Salzstock sei völlig ungeeignet als Ewigkeitsgrab für hochradioaktiven Müll aus deutschen Atomkraftwerken.
    Die Illusion von der "weißen Landkarte"
    Nach den Maßgaben des Standortauswahlgesetzes wird Gorleben weiter im Rennen bleiben. Weil es, so dessen Lesart, eben doch möglich sein könnte, dass der Salzstock im Wendland als Atommülllager geeignet ist. Müssen die Bergleute bis zu einer endgültigen Entscheidung trotzdem in Container umziehen? Obwohl genügend Gebäude verfügbar sind? Monika Hotopp vom Bundesamt für Strahlenschutz erklärt die Linie der Behörde:
    "Wir prüfen einfach, ob es Interessenten aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg gibt, die Interesse daran haben, diese Anlagen weiterhin zu nutzen."
    Vielleicht zieht demnächst ja die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg dort ein, mit einem Büro im Herzen der einstigen Bergwerks-Trutzburg, deren oberirdische Anlagen nach 30 Jahren Widerstand schon eingenommen werden konnten. So weit wird es wohl nicht kommen, aber die Illusion von der "weißen Landkarte" bei der Endlagersuche wäre ein bisschen perfekter. Das einzige, was dann noch stört, sind die über einhundert Castorbehälter, die 500 Meter entfernt in einer mächtigen Halle lagern. Insgesamt rund 9.000 Tonnen hochradioaktiver Strahlenmüll – schwerwiegende Fakten, die an Ort und Stelle bleiben.