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Endlich mal erklärt
Ist Betonarchitektur klimaschädlich?

Stahlbeton ist ein grandioser Baustoff – er macht fast alles möglich, er ist wie Knetmasse in den Händen von Architekten. Aber die Betonarchitektur verbraucht auch Ressourcen und Energie. Ist Beton also schädlich für das Klima?

Von Nikolaus Bernau | 12.06.2020
Der Wohnkomplex "Il Quadrilatero" in im Stadtteil Rozzol Melara in Triest, Italien.
Utopie in Beton: Der Sozialwohnungsbaukomplex Il Quadrilatero in Triest (Paolo Mazzo )
Man kann schlank und rank mit ihm bauen, aber auch massig und schwer. Beton ist ohne Zweifel das wichtigste Baumaterial der Gegenwart. Die in den Zement und in seine "Zuschläge" wie Sande und Kiese eingelegten Stahlbahnen nehmen die Zugkräfte auf, der Beton selbst die Druckkräfte. So sind atemberaubende Brücken- oder Dachkonstruktionen überhaupt erst möglich geworden. Die gesamte Architektur der Moderne ist nur mit Stahlbeton denkbar. Beton ist außerdem der Baustoff der aufstrebenden Wirtschaften schlechthin; China hat in den vergangenen fünf Jahren mehr Beton verbraucht als die USA seit Beginn des Betonzeitalters.
Klimakiller
Doch Stahlbeton ist auch ein Klimakiller. Je nach Berechnung sind zwischen acht und 15 Prozent aller weltweit menschlich verursachten CO2-Ausgasungen direkt mit der Betonbaukultur verbunden. Das ist mehr, als die Wirtschaften der Niederlande und Großbritanniens zusammen produzieren. Gut die Hälfte dieser CO2-Menge entsteht, während der Zement, der die Sande und Kiese des Betons zusammenhält, abbindet. Die andere Hälfte entsteht bei der Produktion der Grundstoffe des Zements, besonders dem Brennen des Kalks, das vor allem mit fossilen Brennstoffen bewerkstelligt wird.
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Beton ist aber nicht nur wegen der Produktion von CO2 schädlich. Auch wegen der oft katastrophalen Umweltfolgen des Sandabbaus, die inzwischen zu einer internationalen Sandkrise geführt haben: Nordkorea wird beschuldigt, sein Atomwaffenprogramm mit illegalen Sandexporten nach China zu finanzieren, Sardinien hat inzwischen strengste Exportverbote erlassen. Nicht jeder Sand kann nämlich für Beton verwendet werden. Sand aus dem Meer muss aufwändig von Salzen gereinigt werden; Wüstensande sind rundgeschliffen und können sich deshalb nicht verhaken, außerdem sind sie zu fein. Außerdem muss der Sand transportiert werden.
Jeder Betonbau ist kostbar
Dazu kommt der hohe Energieeinsatz bei der Produktion von Stahl. Und je besser die Baustähle sind, je mehr Zugkräfte sie aufnehmen können, desto mehr Energie muss auch für ihre Produktion aufgewandt werden. Das vierte große Klimaproblem von Stahlbeton ist seine geringe Nachhaltigkeit: Wenn er einmal verbaut wurde, kann er kaum wiederverwendet werden. Allenfalls als Schottermaterial wird Beton nach dem Abriss üblicher Weise noch genutzt.
Auch deswegen wird seit langem nach Alternativen gesucht, werden etwa Kunststoff- und Glasfasern, sogar Textilien statt des Stahls in den Beton eingelegt, werden neue Zuschlagstoffe und Wiederverwendungsmöglichkeiten gesucht. Bis sie sich aber durchgesetzt haben, wird es noch einige Zeit dauern. Bis dahin heißt es: Jeder einmal gebaute Betonbau ist kostbar. Er sollte umgebaut und umgenutzt, aber nicht abgerissen werden.