
Unser modernes Leben ist auf Beton gebaut. Wohnhäuser, Brücken, Fundamente und mehr bauen wir aus dem stabilen und leicht formbaren Baumaterial. Doch damit der Beton hält, braucht es als Bindemittel bisher meist Zement und Zementproduktion ist technisch unvermeidbar mit CO2-Ausstoß verbunden.
Die Bundesregierung möchte der Zementindustrie daher erlauben, das CO2 abzufangen und unterirdisch für die Ewigkeit zu lagern, damit es das Klima nicht weiter anheizt. Doch die Hürden auf dem Weg zur sogenannten „Carbon Capture and Storage“-Technologie sind groß – und Kritiker halten sie ohnehin für eine Scheinlösung.
Inhalt
- Warum sind die Emissionen bei der Zementherstellung schwer zu vermeiden?
- Wie möchte die Zementindustrie klimaneutral werden?
- Warum ist die Zeit für den Umbau der Industrie knapp?
- Warum ist Carbon Capture and Storage (CCS) umstritten?
- Verzögert CCS den Umstieg auf klimafreundliche Technologien?
- Welche Alternativen zu CCS gibt es?
Warum sind die Emissionen bei der Zementherstellung schwer zu vermeiden?
Damit aus Kalkstein und weiteren Zutaten Zement wird, muss das Gestein auf über 1400 Grad Celcius erhitzt werden. Das Problem dabei: Kalkstein enthält CO2 und dieses CO2 wird im Brennprozess aus dem Gestein freigesetzt. Das lässt sich technisch bisher nicht verhindern, diese Emissionen gelten daher als “schwer vermeidbar“.
Etwa zwei Drittel der Emissionen der Branche kommen aus dem Kalkstein, das restliche Drittel wird überwiegend durch das Brennmaterial verursacht. Beim Brennmaterial hat die Zementindustrie schon einige Schritte zur Klimaneutralität gemacht. Während 1990 noch fast zu 80 Prozent fossile Brennstoffe verbrannt wurden, häufig Kohle, ist dieser Anteil inzwischen auf etwa ein Vierteil reduziert. Stattdessen verbrennen Zementwerke heute unter anderem Plastikmüll, Altreifen, Klärschlamm oder Sägespäne.
Die Emissionen der Zementindustrie sind auch deshalb schwer vermeidbar, weil wir Zement an so vielen Orten nutzen: Über 300 Kilogramm Zement werden jährlich pro Kopf in Deutschland verbaut. Weltweit liegt der durchschnittliche Verbrauch pro Kopf sogar bei über 500 Kilogramm, die Zementindustrie verursacht damit acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen.
Wie möchte die Zementindustrie klimaneutral werden?
Weil die Emissionen aus dem Kalkstein nach heutigem Stand technisch nicht zu vermeiden sind, möchte die Zementindustrie das freiwerdende CO2 abfangen, damit es nicht in die Atmosphäre gelangt. Die Technik heißt Carbon Capture and Storage (CCS). Das klimaschädliche Gas soll dann von den Zementwerken über Pipelines, Züge und Schiffe zu Endlagern gebracht werden.
Warum ist die Zeit für den Umbau der Industrie knapp?
Die EU will bis 2050 klimaneutral sein, für die europäische Industrie gilt aber durch den Europäischen Emissionshandel ein viel engerer Zeitplan.
Wenn eine Industrieanlage CO2 ausstößt, dann muss das Unternehmen dafür CO2-Zertifikate vorlegen. Momentan bekommen die Zementhersteller die Verschmutzungsrechte noch größtenteils kostenlos zugeteilt, das will die EU ab 2026 zurückfahren. Danach möchte die EU die Zahl der Zertifikate Stück für Stück reduzieren.
Nach 2040 wird es planmäßig nur noch sehr wenige Zertifikate geben – entsprechend hoch dürften die Preise dafür dann sein. Den regulären Betrieb eines Zementwerks wird man darüber wohl nicht abdecken können. Heißt: Es bleiben weniger als 15 Jahre für den Umstieg.
In dieser Zeit muss eine völlig neue Infrastruktur entstehen. Es braucht Anlagen, um das CO2 am Werk abzuscheiden. Es braucht Pipelines, um den Kohlenstoff zu transportieren. Und Orte, in denen die Industrie das abgeschiedene CO2 sicher lagern kann. Bisher gibt es fast nichts von dieser Infrastruktur. Kann das rechtzeitig funktionieren?
Der Zeitplan könne eingehalten werden, sagt Georg Holtz, der am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie zum klimaneutralen Umbau der Zementindustrie forscht. Aber: „Es muss sehr vieles sehr gut laufen.“
Der Verein Deutscher Zementwerke hat eine Studie vorgelegt, die die Planungen der Branche umreißt. Die Transportinfrastruktur für das abgefangene CO2 müsse bis 2035 fertig gebaut sein – spätestens. Das Unternehmen Open Grid Europe, das die Pipeline in Deutschland bauen soll, geht hingegen davon aus, wichtige Standorte der Zementindustrie „frühestens Mitte der Dreißiger“ mit Rohren zu erreichen.
Es gibt also keinen Puffer für Verzögerung – dafür reichlich Potenzial für Verzögerung. Das beginnt schon bei der Rechtslage. Denn bisher darf die Industrie ihr CO2 gar nicht über CCS entsorgen. Die Technik ist in Deutschland nur zu Forschungszwecken zugelassen. Die Ampelregierung wollte das ändern, ein Gesetzesentwurf lag vor, dann fiel die Regierung auseinander. Fast ein Jahr später arbeitet die neue Regierung nun an der gesetzlichen Grundlage für CCS. Noch vor der Sommerpause 2025 soll ein Gesetzesentwurf durch das Kabinett gehen.
Die Rechtslage ist nur die erste von vielen Hürden: Die Verfahren zur CO2-Abscheidung in der Zementindustrie sind noch nicht im industriellen Maßstab erprobt. Die CO2-Pipelines quer durch Deutschland müssen Genehmigungsverfahren durchlaufen, wobei mit lokalen Protesten zu rechnen ist. Und irgendwo muss das CO2 dann auch gespeichert werden: An zahlreichen Standorten laufen Projekte. Doch bisher sind kaum Speicher erschlossen.
Warum ist Carbon Capture and Storage (CCS) umstritten?
Die Technologie ist insbesondere aus zwei Gründen umstritten:
Sicherheitsbedenken an Pipelines und Speichern
Erstens gibt es Bedenken wegen der Sicherheit. Wenn CO2 aus einer Pipeline austreten würde, könnte das verheerende Folgen haben. Vor fünf Jahren ist genau das in den USA passiert. Dutzende Menschen wurden verletzt.
Eine Recherche von WDR und Correctiv hat jüngst infrage gestellt, ob die geplanten Pipelines durch das dichtbesiedelte Ruhrgebiet sicher sein werden. In den geplanten Pipelines soll CO2 aus verschiedenen Industrien zusammenlaufen, jeweils in etwas anderer Zusammensetzung mit Begleitstoffen gemischt. Das berge ein erhöhtes Risiko von Korrosion, was zu Rissen führen könnte, sagte Karin Arnold, Co-Leiterin des Forschungsbereichs Systeme und Infrastrukturen am Wuppertal Institut gegenüber WDR und Correctiv.
Martin Frings, der die Planungen für die CO2-Pipeline von Open Grid Europe betreut, betont, dass der sichere Transport von CO2 möglich sei. Dass die Mischung der Stoffe die Pipeline nicht gefährden, sei auch im Interesse des Unternehmens: „Wir wollen Infrastrukturen hinlegen, die perspektivisch 50 Jahre funktionieren oder länger.“
Neben der Sicherheit der Pipelines betonen Umweltschutzorganisationen auch Risiken für die Natur durch die Speicherung. „CCS ist mit negativen ökologischen Folgen sowie mit schwer abschätzbaren Risiken für Mensch und Umwelt verbunden“, schreibt auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Es bestehe ein Risiko für Austritte von CO2 aus Lagern, die aktuell unterhalb des Meeresbodens geplant sind. Austretendes CO2 würde dann zum einen dem Klima und auch den lokalen, marinen Ökosystemen schaden.
CCS führt dazu, dass eine Technologie, die eigentlich sehr klimaschädlich ist, weiterlaufen kann. Das CO2 wird abgefangen, Problem gelöst? Kritiker sagen, dass so die Suche nach grundlegenderen Lösungen ausgebremst werde. Das gelte für die Zementindustrie, aber insbesondere auch für andere Industrien.
Die Bundesregierung will CCS auch an Gaskraftwerken zulassen. Grüne und Linke kritisieren: Die Energiewende werde so verschleppt, fossile Geschäftsmodelle fortgesetzt. CCS dürfe nur für technisch unvermeidbare Restemissionen eingesetzt werden.
Doch es gibt einen wirtschaftlichen Anreiz, die Technologie stärker zu nutzen, als für den Klimaschutz sinnvoll: Denn in der Infrastruktur gibt es gigantische Skaleneffekte: Ein größeres Rohr macht die Pipeline kaum teurer. Je mehr CO2 fließt, desto günstiger wird es pro Tonne.
Welche Alternativen zu CCS gibt es?
Es müsse darum gehen, Alternativen zum Bauen mit Beton zu fördern, heißt es von Greenpeace und anderen Umweltschutzorganisationen. Beton dürfe nur dort verbaut werden, wo er zwingend notwendig sei, beispielsweise in Brücken und bei tragenden Gebäudeteilen. An anderen Stellen müsse stärker mit Holz oder auch Lehm gebaut werden. Außerdem brauche es Anreize für Sanierungen und Kreislaufwirtschaft im Bau.
“Man könnte den Verbrauch von Zement, wenn der Wille denn da ist, radikal reduzieren”, sagt Dorothee Hildebrandt, die sich in der Organisation Endcement engagiert.
Auch Linke und Grüne betonen die Bedeutung einer Bauwende. Wir verwenden viel mehr Zement, als nötig wäre, ordnet auch der Weltklimarat IPCC ein. Georg Holtz vom Wuppertal Institut schätzt, dass man den Bedarf bis 2040 um etwa die Hälfte reduzieren könnte. Doch für den benötigten Zement sei CCS dann die beste Lösung.
Zwar gibt es heute schon Ideen für klimaneutralen Beton und Zement. Doch ob mit diesen Verfahren tatsächlich ausreichende Mengen hergestellt werden können, ist noch höchst unsicher.
Natürliche CO2-Senken nutzen
Die Partei die Linke wirbt für einen anderen Weg: Statt das CO2 der Zementindustrie abzufangen und zu speichern, sollen beispielsweise Wälder oder wiedervernässte Moore zum Ausgleich CO2 aus der Luft holen.
Diesen Weg hält auch das Umweltbundesamt für machbar. Es brauche eine Offensive für Wälder und Moorböden, damit diese ausreichend CO2 binden können. CCS könne die Ökosystemleistungen dieser natürlichen Kohlenstoffsenken nicht ersetzen. Stattdessen könne man die Technologie ergänzend einsetzen, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 abzusichern. Das Umweltbundesamt empfiehlt den Einsatz der Technologie an Abfallverbrennungsanlagen, dort sei die Gefahr am geringsten, neue klimafreundliche Lösungen auszubremsen.