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Endlich mal erklärt
Was ist ein Trompe-l’œil?

Gemalte Weintrauben, nach denen echte Vögel picken. Oder barocke Deckengemälde, die Kuppelgewölbe vortäuschen: Trompe-l’œil bedeutet "Augentäuschung" und bezeichnet eine illusionistische Kunst, die die Wahrnehmung herausfordert und dazu einlädt, über das Verhältnis zur Wirklichkeit nachzudenken.

Von Kathrin Hondl | 27.03.2020
Trompe-l’œil in Paris
Street Art in Paris (dpa/ picture alliance/ MAXPPP)
Die Faszination für illusionistische Malerei und andere künstlerische Täuschungsmanöver hat eine lange Geschichte. Schon Plinius der Ältere berichtete von einem Wettstreit der antiken Maler Zeuxis und Parrhasios: Dem einen gelang es, Weintrauben so naturgetreu zu malen, dass leibhaftige Vögel danach pickten. Der andere malte einen Vorhang, den die Betrachter zur Seite ziehen wollten, weil sie dahinter ein bzw. das Bild vermuteten. Trompe-l’œil-Kunst spielt mit der Wahrnehmung und den Erwartungen ihrer Betrachterinnen und Betrachter.
Direktverbindung zum Himmel
Künstlerische Augentäuschungen dienten nicht allein dem Beweis handwerklicher Meisterschaft - wie in der antiken Geschichte von Zeuxis und Parrhasios. Die katholische Kirche nutzte zur Zeit der Gegenreformation die illusionistische Überzeugungskraft der Malerei. Die Gemälde in vielen barocken Kirchen zeugen davon: Trompe-l’œil-Effekte lassen simple Decken als gewaltige Kuppeln erscheinen, wie zum Beispiel in der Wiener Jesuitenkirche. Oder sie schaffen visuelle Direktverbindungen zum göttlichen Himmelreich. Das Deckenfresko von Andrea Pozzo in der römischen Kirche Sant’Ignazio ist ein Höhepunkt der barocken Illusionsmalerei - im Zentrum: Christus, Herr des Lichtes, hoch oben im Himmel.
Tafelmalerei
Im Wortsinn herausragend ist in der Kunstgeschichte des Trompe-l’œil auch die illusionistische Tafelmalerei des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden. Die Künstler machten optische Forschungsarbeit und brachten es zu beeindruckender Perfektion: Papiere, Glasscheiben oder drapierte Stoffe scheinen aus den Gemälden herauszuragen – zum Greifen nah. Eine Form der Illusion, mit der auch Gegenwartskünstler wie Gerhard Richter oder Thomas Demand arbeiteten.
Aber auch über die Welt der Kunst hinaus gehört das Trompe-l’œil bis heute – und vielleicht mehr denn je - zum Alltag. Virtual Reality, Fake News, mit Filtern geschönte Fotos - visuelle Täuschungsmanöver aller Art fordern dazu auf, genau hinzuschauen. Was ist real? Und was ist nur eine Täuschung der Sinne?
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