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Energie für Sibirien
Schwimmendes AKW sticht in See

Atomkraft gilt in Russland als solide Energiequelle – die Atomindustrie betrachtet sich weltweit als führend und will nun ein neues Produkt auf den Markt bringen: Ein schwimmendes AKW soll es ermöglichen, eine Siedlung in Sibirien mit Strom zu versorgen – und strategische Vorteile bei der Ausbeutung der Arktis sichern.

Von Thielko Grieß | 23.08.2019
28.06.2019, Russland, Mumansk: Das erste schwimmende Atomkraftwerk mit dem Namen Akademik Lomonossow liegt am in einem Hafen in der Stadt Murmansk. Moskau investiert immer mehr in Atomenergie. So soll das erste schwimmende Akw bald eine abgelegene Stadt in Sibirien mit Strom versorgen. Foto: Claudia Thaler/dpa | Verwendung weltweit
Das erste schwimmende Atomkraftwerk soll ab 2020 die Stadt Pewek mit Energie und Wärme zu versorgen (dpa)
Dmitrij Aleksejenko kennt nahezu jedes technische Detail dieses schwimmenden Atomkraftwerks. Er hat es als stellvertretender Direktor einer Unterfirma von Rosatom mit entworfen und seinen Bau übersehen. Er nennt die wichtigsten Zahlen: "Die Länge des schwimmenden AKW beträgt 144 Meter, die Höhe über der Hauptebene 43 Meter, die Breite 30 Meter." Über Gänge und Metalltreppen führt der Ingenieur hinein zu einem Herzstück der Anlage, die den Namen eines der bekanntesten russischen Wissenschaftler trägt: Lomonossow. "Vor uns sehen wir die technische Ausstattung: In der Hauptsache Turbinen und einen Generator", sagt er.
An diesem Freitag soll das schwimmende AKW von Murmansk durch das Nordmeer in Richtung Pewek geschleppt werden, die Ankunft dort ist für die zweite Septemberhälfte vorgesehen. Es hat keinen eigenen Motor und ist deshalb auf Schlepper angewiesen. Im Herbst, wenn das Nordmeer im Nordosten schon wieder zufriert, folgen weitere Tests und vor allem der Anschluss an das Netz des Ortes mit seinen 5.000 Einwohnern. Ungefähr zum Jahreswechsel sollen die zwei Reaktoren mit ihren je 35 Megawatt Leistung beginnen, Pewek mit Energie und Wärme zu versorgen. Ihre Bauart ähnelt der auf Atom-Eisbrechern der russischen Nordmeerflotte.
Strom für 100.000 Menschen
Die Anlage ist überdimensioniert, denn sie könnte eine Stadt von 100.000 Menschen erleuchten lassen. Aber im äußersten Nordosten will Rosatom demonstrieren, zu was es nach zehn Jahren Bauzeit imstande ist. "Das Projekt sagt viel aus, über die Wichtigkeit der Arktis für Russland, über Technologieentwicklung in Russland, über die Industrieentwicklung in Russland."
Mitarbeiter sitzen in einem Raum mit Bildschirmen
Von der Schaltzentrale aus werden die Reaktoren gesteuert (Deutschlandradio/ Thielko Grieß)
Benutzte Uran-Brennstäbe werden im AKW gekühlt und gelagert und alle drei Jahre ausgetauscht. Nach zwölf Jahren ist eine Generalüberholung vorgesehen, die Lebensdauer ist auf 40 Jahre angesetzt. Ingenieur Aleksejenko hält alle Risiken für beherrschbar. Es sei so gebaut, "dass das Objekt durch einen Hubschraubabsturz nicht gefährdet wird, das Deck wird nicht durchschlagen. Es ist vor Zusammenstößen und vor dem Aufsetzen auf Sandbänken geschützt."
Für den Fall, dass eine Tsunami-Welle über das schwimmende AKW hinweg rolle, verfüge das AKW über eine autonome Kühlung, die reiche 24 Stunden. Aus Fukushima habe man gelernt, heißt es.
Diese Annahmen hält Raschid Alimow von Greenpeace Russland für viel zu optimistisch, auch weil Rosatom seine Überlegungen zu Katastrophenszenarien nur sehr verknappt öffentlich gemacht hat. "Bei Sturm und schwerem Wetter hat es keine Möglichkeit, dem zu widerstehen. Wenn es sich von den Leinen löst, oder wenn es auf Felsen geschleudert wird. Außerdem sind andere Gefährdungen möglich, durch Terrorismus oder Piraterie."
China zieht nach
Das drohe vor allem dann, wenn Rosatom seine nach eigenen Angaben bereits begonnenen Verkaufsverhandlungen mit anderen Staaten erfolgreich abschließt und schwimmende Atomkraftwerke aus russischer Produktion vor den Küsten etwa afrikanischer Staaten Energie produzieren. Der Konzern will an ihrem Bau, an der Uran-Belieferung und Dienstleistungen während des Betriebs verdienen.
Russland bietet zwar nun als erstes Land die Technologie an, aber China will schon in zwei Jahren nachziehen. Bei Rosatom, so heißt es in Murmansk, wird schon ein Nachfolgemodell der "Akademik Lomonossow" entworfen. Es soll kleiner und günstiger ausfallen als das Modell-Exemplar, das rund eine halbe Milliarde Euro gekostet haben soll.
Während der Uran-Brennstoff schon an Bord ist, wurde gestern Abend noch Wichtiges für die Mannschaft geladen: Mehl in großen Säcken und Früchte in Holzkisten. Kajüten besitzt das Mini-AKW für 74 Menschen.