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Energie-Politiker: Liberalisierung hat erst begonnen

Jorgo Chatzimarkakis, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Europäischer Parlament und Mitglied im Ausschuss Wirtschaft, Technologie und Energie, hat angesichts der Diskussion um die steigenden Preis im Energiesektor das Fehlen einer funktionierenden Strombörse kritisiert. Um einen europäischen Binnenmarkt zu erreichen, müsse es mehr Verbindungen zu anderen europäischen Energiemärkten geben.

Moderation: Christina Janssen |
    Janssen: Strom und Gas werden teuerer. Der Düsseldorfer Energiekonzern E.On hebt die Preise für Privatkunden zum Jahreswechsel um bis 10 Prozent an. RWE, der zweite große Energieversorger, hatte kürzlich schon ähnliche Pläne bekannt gegeben. Heftige Kritik. Verbraucherschützer sprechen sogar von einer Kriegserklärung.

    Am Telefon ist jetzt Jorgo Chatzimarkakis zugeschaltet, parlamentarischer Geschäftsführer der Liberalen im Europaparlament und Mitglied im Ausschuss Energie, Forschung und Industrie. Guten Tag!

    Chatzimarkakis: Guten Tag Frau Janssen!

    Janssen: Herr Chatzimarkakis, seit fast zehn Jahren ist der Strommarkt in Deutschland liberalisiert. Seitdem sind die Preise gestiegen. Brauchen wir wieder mehr Regulierung durch den Staat statt weniger?

    Chatzimarkakis: Na ja, die Liberalisierung hat begonnen. Aber wir haben ja gesehen, dass es zunächst einmal eine Vielzahl von Anbietern gegeben hat. Das ging ja 1996 los. Dann hat sich der Markt konsolidiert und es bildeten sich die vier, wenn Sie so wollen, Besatzungszonen. Wir haben ja in Deutschland vier große Einflusszonen, E.On, RWE, ENBW und Vattenfall, und da bildete sich dann eben statt eines örtlichen Monopols wenn Sie so wollen ein Oligopol. Es ist zwar kein Kartell. Es hat verschiedentlich Durchsuchungen gegeben, wie Sie vielleicht ja auch wissen. Die EU-Kommission hat versucht, über Preisabsprachen sich Kenntnis zu verschaffen, und hat tatsächlich die Büros durchsucht. Das konnte nicht nachgewiesen werden, aber gleichwohl: es gibt eine Börse, eine Energiebörse, aber die ist eigentlich nicht so recht funktionierend.

    Das heißt: wir haben einen Schritt hin auf die Liberalisierung gemacht. Sie funktioniert aber noch nicht ganz, weil noch haben wir zum Beispiel nicht genügend so genannte Interkonnektoren, also Verbindungsstücke zu den anderen Energiemärkten in Europa, damit es einen wirklichen europäischen Binnenmarkt gibt. Da sind wir noch nicht und das ist der Schritt, der jetzt von der EU-Kommission vorgeschlagen wird.

    Janssen: Sie haben gerade gesagt, wir sind quasi vom Monopol zum Oligopol gekommen. Was ist denn da politisch schief gelaufen beziehungsweise was wäre jetzt noch vonnöten?

    Chatzimarkakis: Was jetzt noch vonnöten ist - und die Europäische Kommission hat ja diesen Vorschlag gemacht. Interessanterweise kurz vor der deutschen Ratspräsidentschaft, im Dezember, kam dieser Vorschlag auf den Tisch. Damals hat sich Herr Glos, ich glaube auch die Bundeskanzlerin so ein bisschen heftig dagegen gewehrt. Dann wurde Deutschland Ratspräsidentschaft und war zur Neutralität verpflichtet und hat diesen Vorschlag dann mit weiterentwickelt.

    In dem Vorschlag steht drin, dass zum Beispiel ein Energieproduzent - sei es über Atomkraft oder sei es eben anders, Kohlekraftwerke -, wo Strom produziert wird, nicht gleich sein darf mit einem Netzbetreiber, denn der Netzbetreiber hat ja ein hohes Interesse daran, dass seine Energie, die er selber hergestellt hat, den Kunden erreicht zu seinem Preis und eben nicht zum Beispiel billiger russischer Strom, wenn der denn irgendwann mal produziert wird. Das heißt die EU-Kommission sagt, wir wollen, dass die Eigentümerstruktur geändert wird, dass also der Produzent nicht gleich sein kann mit dem Netzbetreiber. Wir nennen das die Entflechtung oder die so genannte Eigentumsentflechtung, das Ownership-Unbundling, und das war ein durchaus mutiger Vorschlag der Kommission.

    Die Bundesregierung hat sich am Anfang gewehrt und jetzt ist sie nicht mehr in der Ratspräsidentschaft; jetzt wehrt sie sich auch. Und sie hat auch einen kleinen Punkt, denn Sie müssen sehen: es gibt ja eine völlig unterschiedliche Entwicklung in Europa. In Deutschland haben wir eine sehr hohe Netzsicherheit. Das heißt die Ausfälle, die so genannten Blackouts, Stromausfälle, sind die niedrigsten in der ganzen Welt. Das hängt auch damit zusammen, dass eben die Netzbetreiber, die gleichzeitig die Produzenten in Deutschland sind, sehr viel investiert haben in dieses Netz. Insofern gibt es schon einen Punkt zu sagen, die vollständige Entflechtung, die ja eigentlich irgendwo einer Enteignung gleich kommt, auch wenn die Betreiber dafür Geld bekommen - sie werden nicht enteignet, sondern sie müssen verkaufen -, das ist aber schon ein Eingriff in eigentumsrechtliche Fragen. Insofern hat die Bundesregierung dort einen kleinen Punkt, aber es gibt Zwischenlösungen und genau bei diesen Zwischenlösungen hapert es im Moment. Da sind wir noch nicht.

    Wir brauchen einen europäischen Regulator, der zum Beispiel die so genannte informatorische Entflechtung und die operative Entflechtung regelt. Das heißt ENBW oder RWE gründet eine andere Gesellschaft, die das Netz betreibt, darf aber dann keine Informationen mehr austauschen. Das heißt es ist eine andere Gesellschaft, die zwar eine Verbindung zu der Ursprungsgesellschaft hat, aber sie müssen anders operieren und sie müssen bei Informationen so eine Art chinesische Mauer dazwischen haben.

    Janssen: Herr Chatzimarkakis, bevor wir dort noch weiter ins Detail gehen. Es gibt ja für das, was Sie vorschlagen, für die Trennung beziehungsweise die Überwachung, dass die Netze sozusagen zu fairen Wettbewerbsbedingungen verteilt werden und von allen Stromanbietern genutzt werden können, eine Institution in Deutschland, die genau das überwachen soll, nämlich die Bundesnetzagentur. Ist diese Agentur für ihre Aufgabe denn zu schwach? Ist sie nicht mit genügend Möglichkeiten ausgestattet, denn dann könnte man ja sozusagen den Zwischenschritt, den Sie jetzt fordern, auf dieser Ebene schon einmal gehen?

    Chatzimarkakis: Man könnte in der Tat Zwischenschritte einbauen und das ist auch das Anliegen. Ich glaube, dass in der Tat die Netzagentur in der Vergangenheit zu schwach war, denn sie hätte sich schon viel früher einschalten können. Wir erleben ja im Moment eine große Mediendebatte, die durch die Preissteigerungen hervorgerufen wurde, was in Ordnung ist und was auch dazu geführt hat, dass die Debatte geführt wird, dass die Netzagentur stärker involviert wird. Was wir aber brauchen ist natürlich bei einer vollständigen Liberalisierung einen europäischen Regulator, oder man kann Teilmärkte einrichten, dass man Europa in vier große Teilmärkte teilt - Deutschland wäre im Übrigen in allen vier Teilmärkten drin - und würde dann vier europäische Regulatoren haben.

    Ich glaube schon, dass das Instrument des Regulators in der Vergangenheit zu schwach ausgeprägt war, dass hier einfach mehr Kraft in die Hände des Regulators gelegt werden muss. Wir dürfen gleichwohl nicht vergessen: ein Großteil der Energieaufpreise kommt natürlich auch durch die veränderte Weltmarktsituation. Das darf man alles nicht vergessen. Darauf beruft sich jetzt Herr Bernotat. Darauf berufen sich die großen Energiebetreiber. Das weiß ich.

    Janssen: Genau, wobei Herr Bernotat sich ja vor allen Dingen auf die deutsche Bundespolitik beruft und sagt, der einzige Preistreiber in Sachen Energie sei der Staat. Damit meint er vor allen Dingen die steigenden Abgaben für erneuerbare Energien und die Mehrwertsteuer. Ist das denn wirklich so einfach?

    Chatzimarkakis: Herr Bernotat hat einen gewissen Punkt. In der Tat kamen insbesondere in der rot-grünen Regierung sehr, sehr viele zusätzliche Abgaben dazu. Wir haben die Debatten damals geführt und im Grunde leiteten sie über in das, was wir jetzt bekommen: die große Klimawandel-Diskussion, die CO2-Vermeidungsdiskussion. Es macht insofern schon Sinn, Energie, die fossil gewonnen wird, also auf fossilen Energieträgern beruht, teuerer zu machen. Ein Großteil - laut Herrn Bernotat zirka 30 Prozent - der Kosten sind der Staat. Da finden Sie in anderen Staaten günstigere Preise.

    Aber, um Ihnen mal die Paradoxie aufzumalen und auch zu zeigen, warum die Liberalisierung manchmal zu steigenden Preisen führt. Wenn ein deutscher Energiebetreiber, ein Energieproduzent die Möglichkeit hat, auf andere Märkte zu gehen, dann wird er natürlich seinen Strom dort verkaufen, wo er mehr Geld bekommt. Im Moment erzielen sie die höchsten Preise in Italien. Da es Interkonnektoren gibt zwischen Deutschland und Italien, wird das genutzt und was passiert: in Deutschland ist eine Stromknappheit und dann steigen die Preise. Das heißt das ist eine völlig normale Marktsituation und Reaktion. Das heißt wir brauchen mehr Interkonnektoren. Wir brauchen aber vor allem eben die Möglichkeit, dass nicht mehr der Netzbetreiber in der gleichen Hand liegt wie der Produzent. Das allein wird schon einiges ändern. dass der Staat draufknallt an Steuern und Abgaben, das war schon immer so. Das ist in der letzten Zeit mehr geworden. Es wird auch nicht weniger. Durch die Klimawandel-Diskussion wird das Thema uns noch sehr lange verfolgen.

    Janssen: Herr Chatzimarkakis, Sie haben gerade schon einen kleinen Ausblick in die anderen europäischen Länder gegeben. Wo funktioniert es denn besser als in Deutschland?

    Chatzimarkakis: Das komplette Unbundling, also die komplette eigentumsrechtliche Entflechtung haben wir in Großbritannien erlebt. Ich halte Großbritannien für einen Sonderfall, weil die natürlich auch eigenes Öl haben und insofern sich einen eigenen Weg erlauben konnten. Fakt ist, dass durch die eigentumsrechtliche Entflechtung britische Unternehmen vom Markt vertrieben sind. Das wäre eigentlich eine Situation, die würde ich mir für Deutschland nicht wünschen. Deswegen habe ich mich ja auch gerade für diese abgeschwächte Form der Entflechtung eingesetzt. Das hat dazu geführt, dass es nur noch ausländische Anbieter sind, die in Großbritannien den Energiemarkt beherrschen. Die Preise sind zum Teil zurückgegangen - das ist beobachtbar -, aber nicht in dem starken Maße, wie man sich das erwartet hat.

    Janssen: Der Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis. Vielen Dank für das Gespräch!

    Chatzimarkakis: Danke Ihnen, Frau Janssen!