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Entführungsindustrie
Lukrative Propagandaschlacht

Geiseln nehmen und von deren Heimatstaaten Geld erpressen ist eines der lukrativsten und propagandistisch wirksamsten Geschäftsmodelle für Terrororganisationen. Je reicher das Herkunftsland und je bekannter die Terrorgruppe, desto höher die Erpressungssumme. Doch nicht nur die Terroristen verdienen an den Entführungen.

Von Bettina Rühl | 16.02.2015
    Mutmaßliche Kämpfer des Islamischen Staates hissen die Flagge der Miliz auf einem Hügel bei Kobane in Syrien.
    Jährlich werden bis zu 40.000 Menschen gekidnappt, der "Islamische Staat" sorgt zurzeit für die größten Schlagzeilen. (AFP / Aris Messinis)
    Auch ein Menschenleben hat seinen Preis. Branchenkenner sprechen sogar von einer "going rate", einem "Tageskurs". Gehandelt werden Geiseln, für deren Freilassung die Entführer immer höhere Summen verlangen. Der bisherige Rekord lag Ende Januar bei 200 Millionen Dollar für zwei Japaner. Die japanische Regierung zahlte nicht, und die Terrormiliz Islamischer Staat enthauptete ihre beiden Geiseln vor laufender Kamera.
    Die bislang unvorstellbare Grausamkeit im Umgang mit Geiseln und die propagandistische Verwertung dieser Brutalität haben ein Schlaglicht geworfen auf ein seit Langem existierendes Geschäft: den Handel mit Menschen. Seit Wochen machen brutale Hinrichtungen und grausame Videos der islamistischen Miliz Schlagzeilen. Aber denen, die in Risikoregionen arbeiten, ist die Gefahr einer Entführung schon lange bewusst.
    "Wir reden möglichst wenig über diese Dinge. Du weißt hier nie, wen du vor dir hast."
    Abubakar Mohamed Muhamud ist Kenianer. Er arbeitet in Dadaab, dem größten Flüchtlingslager der Welt. Der Ernährungswissenschaftler koordiniert dort die Projekte der internationalen Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen". An diesem Morgen wiegen die Helfer Säuglinge und Kleinkinder. Frauen in bunten afrikanischen Stoffen stehen Schlange, ihre Babys im Arm. Nacheinander kommen die Kleinen in die komfortable Hängewaage.
    "In dem Moment, in dem du deine Nase in Sachen steckst, die dich nichts angehen, machst du dich womöglich zum Ziel. Das Beste ist, den Mund zu halten und den Flüchtlingen einfach weiter zu helfen."
    Rund 360.000 Somalier leben in dem Flüchtlingslager Dadaab; die meisten seit mehr als 20 Jahren. Schon so lange ist in ihrer Heimat Krieg. Derzeit kämpfen dort al-Qaida-nahe Islamisten gegen die Regierung. Die somalische Grenze ist von Dadaab nur 80 Kilometer entfernt und kaum gesichert.
    Islamistische Kämpfer aus Somalia mischen sich unter die Flüchtlinge. Regelmäßig verüben sie Anschläge, mehrfach haben sie schon humanitäre Helfer gekidnappt. Darunter zwei spanische Mitarbeiterinnen von "Ärzte ohne Grenzen". Das war im Jahr 2011. Muhamud ist sich bewusst, dass auch er jederzeit entführt werden kann.
    "Mögliche Entführer wissen, dass ich Staatsbürger eines armen Landes bin. Deshalb bin ich wertlos. Selbst wenn sie mich nach Somalia verschleppten, würden sie für mich kein Lösegeld kriegen. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass die kenianische Regierung für mich nichts zahlen würde. Meine Familie genauso wenig, die könnte sich das gar nicht leisten. Denjenigen, die hier nach Entführungsopfern suchen, ist das klar. In deinem Fall ist das anders: Sie wissen, dass du als Weiße einen Gegenwert hast. Aus dir können sie Kapital schlagen. Statt dich umzubringen, würden sie dich deshalb lieber verschleppen und Lösegeld für dich verlangen. Sollte ich versuchen, dich davor zu schützen, würden sie mich einfach erschießen. Ich wäre in ihren Augen nur wertloser Ballast."
    Über Entführungen wird wenig berichtet - aus gutem Grund
    Die beiden spanischen Helferinnen blieben fast zwei Jahre lang in den Händen ihrer Kidnapper. Im Juli 2013 kamen sie frei. Die Entführer hatten tatsächlich versucht, ihr Leben in der Zwischenzeit nicht zu gefährden. Über die Umstände ihrer Befreiung wurde nichts bekannt. Auch nicht, ob Lösegeld gezahlt wurde. Offiziell würden solche Zahlungen fast nie bestätigt, sagt der Politikwissenschaftler Klaus Segbers:
    "Relativ viele Regierungen sagen offiziell, sie beteiligen sich an so was nicht, aber wirklich belastbar ist das eigentlich in der Regel nur bei Großbritannien und den USA so, und auch da gibt es Zweifelsfälle."
    Regierungen, Hilfsorganisationen und Unternehmen befürchten, dass Informationen über gezahlte Lösegelder noch mehr potenzielle Nachahmer auf den Plan rufen. Überhaupt wird über Entführungen möglichst wenig berichtet. Die Beteiligten wollen vermeiden, dass Medienberichte das Leben der Opfer zusätzlich gefährden.
    Die einzige Stellungnahme aus jüngerer Zeit datiert vom 25. August 2014. In der Regierungspressekonferenz fragten Journalisten nach dem Fall eines Deutschen. Er war in Syrien von der Terrormiliz "Islamischer Staat" entführt worden und wurde Berichten zufolge freigekauft. Laut Protokoll erklärte Michael Schäfer, der Sprecher des Auswärtigen Amtes:
    "Ich sage dazu ausdrücklich - das ist alles, was ich zu dem konkreten Fall sagen möchte -: Die Bundesregierung ist nicht erpressbar. Ich kann mit Bezug auf den konkreten Fall noch ergänzen: In diesem Fall sind keine öffentlichen Mittel geflossen, um eine Befreiung des Betroffenen zu erreichen."
    Schäfers Antwort könnte man womöglich wie folgt ergänzen: Nicht in diesem, aber in anderen Fällen sind durchaus öffentliche Mittel geflossen. Und auch in diesem Fall wurde möglicherweise Geld gezahlt, nur nicht von der deutschen Regierung. Unternehmen können sich nämlich für den Entführungsfall versichern. Die entsprechenden Policen heißen "Kidnapp + ransom", kurz "k+r" - Lösegeld und Entführung.
    Auf dem internationalen Markt gibt es diese Policen schon lange; in Deutschland waren sie bis 1998 als "sittenwidrig" verboten. Deshalb gibt es keine Statistik. Aber allein der Versicherungsmakler AON hat Verträge im hohen, dreistelligen Bereich. Und der Markt expandiert, nicht zuletzt dank der Terrormiliz "Islamischer Staat". Und durch die ausführliche Berichterstattung über die grausame Ermordung von Geiseln.
    "Es hat auf jeden Fall zu einer erhöhten Nachfrage, erhöhtem Interesse geführt, vor allen Dingen im Mittelstand und bei kleineren Unternehmen, die teilweise vorher vielleicht mehr im deutschsprachigen Raum unterwegs waren, mittlerweile aber auch expandieren, oder auch mal Mitarbeiter, zum Beispiel Architektenbüros in den Irak schicken, nach Afghanistan schicken, um dort bestimmte Projekte durchzuführen. Da ist das mittlerweile ganz oben auf der Agenda angekommen, ja."
    Jährlich werden bis zu 40.000 Menschen für Lösegeld gekidnappt
    Die Deckungssumme reicht von drei Millionen Euro bei kleineren Unternehmen bis zu 50 Millionen Euro für größere Konzerne. Ähnlich groß ist die Spannbreite bei den Versicherungsprämien: Kleine Unternehmen können ihre Mitarbeiter schon für 2.000 Euro im Jahr versichern. Große Konzerne zahlen jährlich bis zu 250.000 Euro. Besonders riskant und damit teuer sind zum Beispiel Somalia oder das Nigerdelta in Nigeria, die Sahelzone, Irak, Afghanistan und Mexiko.
    "Die "kidnap and ransom" Versicherung umfasst einmal die Zahlung des Löse- oder Erpressungsgeldes. Dann auch, wenn dieses Löse-Erpressungsgeld auf dem Transportweg verloren geht, dass es noch einmal ersetzt wird. Dann umfassende Krisenberaterkosten. Und des Weiteren gibt es dann noch ganz viele Kostenpositionen. Das fängt an bei Belohnung für Informanten, Gehaltsfortzahlung des Opfers, psychologische Betreuung, Nachbetreuung et cetera - also der Katalog ist sehr umfassend."
    Die Honorare der Krisenberater können einen großen Teil der Deckungssumme verschlingen. Gängig sind 1.000 bis 2.000 Euro pro Tag, zuzüglich Spesen. Häufig ziehen sich die Verhandlungen über Monate oder gar Jahre hin; in diesen Fällen wird es teuer - und für den Krisenberater ausgesprochen lukrativ. Nach einer Faustregel hat ein solcher Berater dann gut gearbeitet, wenn sein Honorar die Höhe des Lösegeldes nicht übersteigt.
    "Das kann man eindeutig bestätigen, ja."
    Zurück nach Dadaab, in das Flüchtlingslager nahe der somalischen Grenze. In dem Lager gibt es kaum noch ausländische Helfer - das Entführungsrisiko ist zu hoch. Bishar Salat ist Kenianer und arbeitet für die internationale Hilfsorganisation Care.
    "Wir können mit den Flüchtlingen nicht mehr unbefangen umgehen, nicht mehr einfach so in die Gassen des Lagers zu ihnen gehen. Wir müssen bewaffnete Polizisten mitnehmen. Aber das schafft neue Probleme. Denn die Polizisten haben ihrerseits Angst vor Anschlägen. Wir können nicht mehr so arbeiten, wie wir wollen."
    Soldaten im Flüchtlingscamp Dadaab: Häufig mischen sich islamistische Kämpfer unter die Flüchtlinge und entführen sie.
    Sicherheitskräfte im Flüchtlingscamp Dadaab: Häufig mischen sich islamistische Kämpfer unter die Flüchtlinge und entführen sie. (TONY KARUMBA / AFP)
    Die meisten Hilfsorganisationen arbeiten in Dadaab inzwischen mit kenianischen Mitarbeitern. Sie fallen weniger auf als weiße, ausländische Helfer. Sicher sind aber auch die Kenianer nicht, ganz im Gegenteil: Nach Schätzungen der Branche sind mindestens 90 Prozent aller Entführungsopfer weltweit keine Ausländer, sondern Einheimische.
    Zwei weitere Zahlen: Jährlich werden bis zu 40.000 Menschen gekidnappt, um für sie Lösegeld zu erpressen. Das ist aber nur eine vage Schätzung: Versicherungen vermuten bei Entführungsfällen eine Dunkelziffer von 90 Prozent.
    "Die Angst ist allgegenwärtig. Wir gehen morgens zur Arbeit und wissen nicht, ob wir abends wiederkommen werden."
    Einer von Bishar Salats Kollegen, ein kenianischer Fahrer, wurde im September 2011 in den Gassen des Lagers entführt und nach Somalia verschleppt. Ob die Entführer Lösegeld forderten oder den Helfer gegen inhaftierte Milizionäre austauschen wollten, wurde auch in diesem Fall nicht bekannt.
    "Seine Entführung hat mich und alle meine Kollegen tief getroffen. Zweieinhalb Jahre lang wussten wir nicht, was aus ihm werden würde. Er und ich standen einander sehr nahe, wir haben immer zusammen gearbeitet. Er hat mich regelmäßig zur Arbeit in die Lager gefahren. Wir haben jeden Morgen zusammen gefrühstückt, wir haben mittags zusammen gegessen und die Abende zusammen verbracht. Wenn ihm das passieren konnte, ist alles möglich. Wer weiß, was morgen ist. Es kann mich treffen, oder einen meiner Kollegen."
    Helfer sind in gewisser Weise eine Handelsware, die in hoch riskanten Gebieten frei herumläuft. Natürlich versuchen die Arbeitgeber, ihre Mitarbeiter zu schützen. Ob sie eine Lösegeldversicherung abgeschlossen haben oder nicht, dürfen auch die Hilfsorganisationen nicht sagen. Aber gute Netzwerke seien ohnehin der verlässlichste Schutz, heißt es in deren Hauptquartieren. Simone Pott von der deutschen Welthungerhilfe:
    "Entführungen kann man nie ausschließen, aber alle Erfahrung zeigt, dass wenn man in einem schwierigen Umfeld sehr behutsam und sensibel agiert und sich auch sehr stark zum Beispiel an die lokalen Verhältnisse, Sitten, Gebräuche angepasst, dass man dann weniger zur Zielscheibe wird."
    Sicherheits- und Krisenexperten beraten vor und während der Entführung
    Parallel dazu gehen die größeren Hilfsorganisationen inzwischen viel professioneller mit dem Entführungsrisiko um, als noch vor wenigen Jahren. Sicherheitsberater der deutschen Welthungerhilfe ist Josef Frei. Der Schweizer war vorher Berufsoffizier und hat als Militärbeobachter für die Vereinten Nationen gearbeitet. Bei der Welthungerhilfe ist er seit zweieinhalb Jahren. Er ist innerhalb der Organisation der erste Sicherheitsberater, der wirklich aus der Branche kommt. Je nach Gefahrenlage rät er, im Einsatzland für eine Weile möglichst unsichtbar zu bleiben, Mitarbeiter aus bestimmten Regionen vorübergehend zu evakuieren, Projekte eine Zeit lang ruhen zu lassen - oder schlimmstenfalls ganz zu schließen. Immer mehr Länder muss Frei ganz genau beobachten. Dort ist die Sicherheitslage heikel und kann sich jederzeit ändern.
    Der Markt in Kidal, einer Stadt im Norden von Mali. Es ist schon später Abend, aber die Verkaufsstände und Läden haben noch geöffnet, unter freiem Himmel werden überall Fleischspießchen gegrillt. Kidal liegt in der Sahara; erst jetzt in der Nacht wird die Luft angenehm lau. Einige Ladenbesitzer nutzen bonbonfarbene Lichterketten, um die Neugier von Kunden zu wecken. An weißen Plastiktischen sitzen die Kunden rund um den Marktplatz unter freien Himmel zusammen und reden. Der Geruch der Fleischspießchen hängt angenehm in der Luft. Eine Atmosphäre, die zum Verweilen einlädt - aber der friedliche Eindruck ist trügerisch.
    Kidal, früher ein Reiseziel für Sahara-Touristen, ist heute eine tiefrote Gefahrenzone. In der Region operieren mehrere islamistische Gruppen, die zum al-Qaida-Netzwerk gehören. Das gilt inzwischen für den gesamten Sahel, und ganz besonders für Libyen, noch etwas weiter nördlich, am Mittelmeer. Für Florian Peil ist die Region gerade deshalb interessant.
    "Was ich mache, nennt sich Sicherheitsberatung. Ich biete zum einen Trainings an, das sind einmal interkulturelle Trainings und Reisesicherheits-Trainings. Und der andere Tätigkeitsbereich, den ich habe, ist der Bereich "intelligence", also Berichte, Sicherheitslage, Risikoanalysen et cetera."
    Florian Peil ist Sicherheitsberater. Im Unterschied zu einem Krisenberater wird er vor der Entführung aktiv, er berät seine Kunden, wie sie das Schlimmste verhindern können.
    "Angenommen ein deutsches Unternehmen möchte expandieren und sagt, wir möchten jetzt ein Werk zum Beispiel in Algerien bauen. Da muss man natürlich erst einmal gucken: Was hat dieses Unternehmen vor, wo wollen die dieses Werk hin bauen, kann ich das in dieser Region überhaupt bauen, welche Risiken bestehen dabei, und wie kann ich diese Risiken minimieren?"
    "Ein Netzwerk, das Teile der Gesellschaft ernährt"
    Peil ist Islamwissenschaftler, hat nach dem Studium bei einer Sicherheitsbehörde gearbeitet und hat sich dort mit Terrorabwehr beschäftigt. Später ist er zu einer Unternehmensberatung gewechselt; vor gut zweieinhalb Jahren hat er sich selbstständig gemacht. Seitdem hat sich die Sicherheitslage im Sahel und in Nordafrika weiter verschlechtert. Florian Peil verdient dank der Krisen gut - aber seine Arbeit wird gefährlicher und komplizierter. Denn die Gruppen der Entführer werden immer undurchschaubarer, die Zahl der Gelegenheits-Kidnapper steigt: Eher zufällig sehen sie ein möglicherweise lukratives Opfer, nutzen ihre Chance und schlagen zu.
    "Das heißt, eine Gruppe nimmt die Leute gefangen, verkaufen die dann weiter an eine andere oder übergeben die weiter, bis nachher der Endkunde, sozusagen, gefunden ist. Und wenn es sich lohnt, dann kann das zum Beispiel al-Qaida im Maghreb sein, und die haben natürlich ein ganz anderes Standing in der westlichen Welt. Die sind bekannt dafür, wie sie damit umgehen, und durch ihr Marketing, zynisch gesagt, haben die natürlich auch einen gewissen Marktwert. Also die können andere Preise verlangen, als eine kleine, unbekannte Gruppe."
    Daraus ergibt sich die "going rate", der Tageskurs für die Geisel. Weitere Faktoren dafür sind das Land, in dem die Entführung stattfand, wie hoch die Lösegeldsumme in einem ähnlichen Fall lag und woher die Geisel stammt. Professionelle Entführer kennen nicht nur diese "going rate", sie wissen auch, dass sie handeln müssen und am Ende nie bekommen, was sie zuerst gefordert haben. Am Ende geben die Verhandlungsführer einen Teil des Lösegeldes an ihre Helfer und Mittelsmänner weiter.
    "Also das ist so ein richtiges Netzwerk, das große Teile der Gesellschaft ernährt, muss man sagen. Wenn Sie überlegen, dass in der Sahara, im Sahel-Raum ist al-Qaida oftmals der letzte, der einzige Arbeitgeber. Da gibt es sonst nichts mehr, und die einzigen, die wirklich das Geld ranbringen, sind die Dschihadisten. Und, na ja, wenn Sie Familienvater sind und eine Familie ernähren müssen, sie müssen einfach auch sehen, wie sie da zurechtkommen. Nicht, dass ich das entschuldigen möchte. Um Gottes Willen. Aber wenn man keine anderen Strukturen mehr hat, vor Ort, mit deren Hilfe die Leute sich ernähren können, dann muss man sich nicht wundern, dass das so weite Kreise zieht."
    Was Peil beschreibt, nennen viele Beobachter eine Entführungsindustrie: Beide Seiten kennen die Regeln und die "going rate". Das größte Risiko für die Geisel besteht darin, eine längere Gefangenschaft wegen der körperlichen Strapazen nicht zu überleben. Christof Bentele von der Allianz–Versicherung hat mit dieser Entführungsindustrie reichlich Erfahrung. Denn in vielen lateinamerikanischen Ländern ist diese illegale Industrie seit vielen Jahren verbreitet. Sie funktionierte meist reibungslos, die internationale Öffentlichkeit bekam davon nur gelegentlich etwas mit.
    "Nun haben wir im Mittleren Osten eine völlig andere Situation. Dort wird in einer unglaublich brutalen Weise vorgegangen, da zählt das Leben wirklich überhaupt nichts, und das ist durchaus eine völlig neue Qualität, die es so in der Art vorher nicht gab. Bei den Entführungen dort lässt sich kein Schema erkennen, das in irgendeiner Weise auf eine geordnete Strategie hinweist, die darin mündet, dass das Ziel sein soll, Geld zu erpressen und entsprechend das Opfer auch freizulassen. Das gilt für den Mittleren Osten, das gilt auch für Afrika, für große Teile von Afrika."
    Tagesraten werden nach oben getrieben
    Neu ist nicht nur die beispiellose Brutalität im Umgang mit den Geiseln - ein jordanischer Pilot wurde sogar bei lebendigem Leibe vor laufender Kamera verbrannt. Neu ist auch, dass die Terrorgruppen solche Morde filmen und die Videos über soziale Netzwerke zu Propagandazwecken nutzen.
    "Und das ist schon ein großer Teil des Effektes, den man erreichen will, also Angst und Schrecken zu verbreiten und mediale Aufmerksamkeit zu gewinnen."
    Screenshot eines Videos, das von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aufgenommen worden sein soll und angeblich die Enthauptung des US-Fotografen James Foley zeigt. Mit der Verbreitung solcher Videos in Sozialen Netzwerken erregen die Terroristen Aufmerksamkeit.
    Screenshot eines Videos, das von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aufgenommen worden sein soll und angeblich die Enthauptung des US-Fotografen James Foley zeigt. Mit der Verbreitung solcher Videos in Sozialen Netzwerken erregen die Terroristen Aufmerksamkeit. (dpa / picture alliance)
    Denn das treibt den Tageskurs für die nächsten Geiseln nach oben, sagt der Politikwissenschaftler Klaus Segbers. Im richtigen Umgang mit islamistischen Propaganda-Videos sieht er zurzeit eine der größten Herausforderungen für liberale, demokratische Gesellschaften. Eine Informationsblockade scheint nicht mehr durchsetzbar, andererseits spielt jede Verbreitung islamistischer Propaganda den Terrorgruppen auch finanziell in die Hände. Ebenso kritisch sieht Segbers die Zahlung von Lösegeld.
    "Man muss schon sagen, wenn diese Risiken von vorneherein eingepreist werden in irgendwelche Prämien oder bei Firmen in Haushalte von großen Firmen, oder bei Regierungen in Teilhaushalte vom Außenministerium, das macht das Geschäftsmodell natürlich noch viabler, als es ohnehin schon ist. Dann entwickelt sich eine gewisse Routine."
    Auch Florian Peil sieht die Zahlung von Lösegeld kritisch - obwohl er als Sicherheitsberater durchaus sein Geld in der Branche verdient.
    "Also wenn überhaupt keine Gelder gezahlt würden, gäbe es einige Tote, aber es gäbe dann höchstwahrscheinlich auch nicht mehr so viele Entführungen."
    Schwerste Entscheidungen also, um die Angehörige, Firmen und Regierungen in jedem Entführungsfall ringen.