
Die Anlage im Berliner Südosten war eine besonders große ihrer Art, aber keineswegs das einzige Zwangsarbeiterlager. Hitlers Architekt und Rüstungsminister Albert Speer, der kriegsbedingt seine Pläne für die "Welthauptstadt Germani" beiseitelegen musste, gebat nun stattdessen über ein "nationales Barackenbauprogramm" zur Unterbringung von Millionen Zwangsarbeitern im ganzen Reich. Christine Glauning, Leiterin der Berliner Dokumentationsstelle:
"In Berlin gab es ca. 3.000 Sammelunterkünfte, Barackenlager, aber auch umfunktionierte Schulen, Kinos. Für das gesamte Reich geht man von 44.000 Lagern aus, über 30.000 Lager für zivile Zwangsarbeiter."
Allein in Berlin, wo in der Spitze fast eine halbe Million sogenannte "zivile Zwangsarbeiter", aber auch Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und Juden im streng separierten "geschlossenen Arbeitseinsatz" zur Arbeit gezwungen wurden, gab es praktisch kein Viertel, keinen Straßenzug ohne dort irgendwo eingesperrte ausländische Zwangsarbeiter.
"Das ist auch eine Rückmeldung unserer Besucher, das Ausmaß der Zwangsarbeit, die Allgegenwart, der millionenfache Einsatz von Menschen, Frauen und Kindern aus ganz Europa im Deutschen Reich, das ist vielen nicht bewusst."
"Selbstverständlich zwölf Stunden am Tag und auch nachts. Es war hart und wir hatten großen Hunger. Nicht wie während des Aufstandes, denn es gab Essen und sogar Lebensmittelmarken. Aber für einen jungen Menschen viel zu wenig. Ich habe damals davon geträumt, dass ich, wenn der Krieg erst aus ist, einen ganzen Laib Brot auf einmal essen werde."
Bogdan Bartnikowski etwa, der mit zwölf zusammen mit seiner Mutter nach Blankenburg bei Berlin verschleppt wurde. Jeden Tag musste der Junge in den Trümmern der Berliner Innenstadt nach verwertbaren Ziegeln suchen, auch bei Winterkälte, den Luftangriffen der Alliierten schutzlos ausgesetzt.

Gabriele Turant etwa, die mit 14 anderthalb Jahre Zwangsarbeit bei Telefunken leisten musste; erst in Lodsch, dann in Berlin, schließlich in Ulm. Sie erinnerte sich: "Am schlimmsten waren die erniedrigenden Untersuchungen im Arbeitsamt. Man musste sich nackt ausziehen, die Sachen wurden desinfiziert. Dann wurden wir gebadet, danach mussten wie vier Stunden warten in einem Raum ohne Heizung."
"Die ersten Institutionen die in den besetzten Gebieten entstanden, deutsche Institutionen, das waren die Arbeitsämter. Da mussten sich die Leute registrieren, um zum Beispiel Lebensmittelkarten zu bekommen. Und da hat man gleich gewusst, wer arbeitet für wen? Ist das für die deutsche Wirtschaft nötig oder können sie gleich nach Deutschland geschickt werden?" Doch die freiwillige Anwerbung kommt nie so recht in Schwung. "Und dann musste man schon zu härteren Maßnahmen greifen. Also hat man Straßenrazzias organisiert und hat die Leute auf den Straßen, in den Kirchen, auf den öffentlichen Plätzen geschnappt."
Vor allem in Polen und später in der Sowjetunion werden Menschen alsbald millionenfach verschleppt. Drei Millionen Polen werden bis Kriegsende zur Zwangsarbeit in Deutschland gezwungen, jeder zehnte Bewohner des besetzten Landes. Aus der Sowjetunion wurden ganze Dorfgemeinschaften deportiert. Eigentlich ein Widerspruch in sich, denkt man an die NS-Rassenideologie. "Einerseits waren das die sogenannten Fremdvölkischen. Sie bedeuteten eine Bedrohung für das deutsche Volk. Andererseits hat man Millionen von ihnen nach Deutschland gebracht, denn man sah keinen anderen Ausweg."
Diskriminierende Sonderregeln für Polen und sowjetische "Ostarbeiter" machten aber deutlich, wie tief diese Menschen in der NS-Rassenhierarchie standen. Zwangsarbeiter aus dem Osten wurden zumeist interniert, um Kontakte mit der deutschen Bevölkerung zu vermeiden, und mussten entsprechenden Abzeichen "P" oder "Ost", ähnlich dem Judenstern, auf dem Hemd tragen. Hatten westeuropäische Zwangsarbeiter oft Bewegungsfreiheit und etwas Lohn, blieb Polen und Ostarbeitern meist nichts oder wenig übrig. Freundschaften oder gar Liebesbeziehungen Deutscher mit Osteuropäern waren streng verboten, aber ganz verhindern ließen sie sich nicht. Für Männer aus dem Osten endeten solche Liebschaften regelmäßig mit dem Strang. Kinder aus solchen Beziehungen wurden in spezielle Ausländerkinder-Heime gebracht, die die wenigsten Säuglinge überlebten.
"Den Tagesablauf kennen wir von den Berichten Überlebender, die nicht einheitlich sind. Die einen sagen, sie seien um vier, die anderen, sie seien um fünf aufgestanden. Es gab den Weckruf, schwarzen Kaffee, manchmal gab es drei Mal am Tage Kohlrübensuppe, sonst nichts. Nach dem Morgenappell ging es in den Steinbruch oder zu den anderen Arbeitsstellen. Im Steinbruch kam es häufig zu Unfällen, was kein Wunder war angesichts der Bedingungen und der fehlenden Vorbereitung. Es gab dort auch Priester und Intellektuelle", erzählt Dorota Sula, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Gedenkstätte Gross-Rosen.
KZ-Häftlinge hatten unter Millionen Zwangsarbeitern das schwerste Schicksal. Sie sollten so oder so sterben, aber vorher noch bis zur Erschöpfung ausgebeutet werden. Weil die KZ-Akten zu Gross-Rosen vernichtet wurden, sind genaue Zahlen nicht zu ermitteln. Historiker schätzen, dass dort 40.000 Menschen starben: durch Arbeit als Mittel der Vernichtung.

"Entlang des Weges standen SS-Männer mit Stöcken. Wenn sie gesehen haben, dass der geschleppte Stein zu klein ist, haben sie so geschlagen, dass der Häftling nach unten stürzte. Da ich nicht so stark war, suchte ich Steine, die große Flächen hatten, aber flach waren, und als ich an den Herren vorbei ging, beugte ich mich bewusst unter der Last. Das war reine Selbstverteidigung."
Später kommt Zalewski in unterirdisch verlegte Produktionsstätten des Flugzeugbauers Messerschmidt, eine kriegswichtige Fertigung. Zwangsarbeiter kamen wie Zalewski vor allem in der Rüstungsindustrie und zuliefernden Betrieben zum Einsatz, aber auch bei kleineren Firmen, in der Landwirtschaft oder in Privathaushalten. Schätzungsweise jeder dritte Arbeitsplatz in der deutschen Wirtschaft war zu Hochzeiten von einem Zwangsarbeiter besetzt, insgesamt waren es etwa 13 Millionen Menschen – Zwangsarbeiter in den besetzten Gebieten nicht mitgezählt.
"Es gibt keine Entschädigung, die wieder gut machen könnte, was wir in den Lagern erlebt haben. Deshalb nenne ich das keine Entschädigung, sondern eine Leistung. Und wenn Sie hier schon den Begriff ‚Zwangsarbeit‘ benutzen. Der richtige Begriff lautet ‚Sklavenarbeit‘. Wir wurden inhaftiert, ohne Kontakt mit der Außenwelt. Sie machten mit uns, was sie wollten und ließen uns Arbeiten ausführen, auf die wir nicht vorbereitet waren."
"Wir sind uns einig geworden, dass es nun darum geht, ein kooperatives, nicht konfrontatives Konzept zu entwickeln, das schnell und unbürokratisch die noch anstehenden Probleme, die aus der Nazi-Zeit herrühren, humanitären und moralischen Lösungen zuführen soll", so Kanzleramtsminister Bodo Hombach in diesem Radiobericht von Februar 1999.
Hombach erklärte, die Finanzmittel aus dem Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft, müssten die ehemaligen Zwangsarbeiter möglichst schnell und unbürokratisch erreichen. Das Durchschnittsalter der Personengruppe beträgt 80 Jahre. 95 Prozent der früheren Zwangsarbeiter leben in osteuropäischen Staaten. Doch es sollten noch viele weitere Monate vergehen, bis die Einigung perfekt war. Dass es über ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende überhaupt noch zu nennenswerten Zahlungen kam, lag daran, dass mit der Wiedervereinigung der internationale Druck auf die Bundesrepublik stieg. Jakub Deka von der "Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" erinnert sich. "Das war internationaler Druck, Boykottdrohungen für deutsche Firmen in Amerika, die Gefahr von Gerichtsurteilen, Sammelklagen in Amerika."

Bei einem polnischen Opferverband in Danzig; Ewa Zlota ist gekommen, um den Mitgliedsbeitrag ihrer Mutter zu bezahlen. Es ist der 92-Jährigen wichtig, auch wenn es nur eine geringe Summe ist. Zwischen ihrem zwölften und 15. Lebensjahr hütete sie zwangsweise bei einem deutschen Bauern Vieh. Die Verbände der Opfer sind oft ebenso finanzschwach wie die, die sie vertreten, arm. Der Danziger "Verband der Polen, die Repressalien während des Dritten Reiches unterlagen", wie er offiziell heißt, hat noch 1.640 Mitglieder, erzählt der Vorsitzende Jerzy Tarasiewicz. "Unser wichtigstes Ziel ist es, der jungen Generation Wissen zu vermitteln. Denn leider sterben sehr viele unserer Mitglieder, die meisten sind zwischen 85 und 89 Jahre alt. Wir organisieren Treffen, die jungen Leute treffen Zeitzeugen bei ihnen zu Hause oder im Freien. Sie erzählen, zeigen Dokumente, Fotos, und die jungen Leute verarbeiten das in Zeichnungen oder in Filmen."
Seine Familie, die aus Wilna stammte, hat nach dem Krieg ihre Heimat verloren, denn der Ort gehört nun zur litauischen Sowjetrepublik – kein Einzelfall wegen der Westverschiebung Polens. Die Tarasiewiczs ließen sich stattdessen in der Gegend von Posen nieder, aber der kleine Jerzy und sein ebenfalls im Lager geborener Bruder gelten dort als Außenseiter. "Der Vater bekam dort einen Hof, denn er hatte seinen ja im Wilnaer Gebiet gelassen. Ich suchte den Kontakt mit den anderen Kindern in der Nachbarschaft, denn die anderen Bauernhöfe wurden schon wieder bewirtschaftet. Aber kein Kind wollte mit mir spielen, weder mit mir, noch mit meinen Brüdern, denn sie sagten, wir wären "Deutsche". Und so fand ich Freundinnen, mit denen ich spielte. Alte deutsche Frauen, die nicht mit nach Deutschland ausgesiedelt worden waren, denn sie seien hier geboren und aufgewachsen und wollten hier sterben."
"Manche aber haben sich mit der NS-Ideologie identifiziert und die Menschen als Untermenschen behandelt. Man brauchte Glück, um an anständige Menschen zu kommen. Dann hatte man bessere Chancen zu überleben und bessere Bedingungen bei der Arbeit", sagt Jakub Deka von der Stiftung Deutsch-Polnische Versöhnung. Nach der Einigung 2000 hatte die Stiftung, die zuvor wenig Geld an viele Menschen verteilte, plötzlich Millionen zu verteilen. In den folgenden Jahren war das ein großes Thema in Polen, erinnert sich Deka. "Dieses Programm war wirklich sehr populär. Die Anträge waren in allen polnischen Zeitungen als Beilage."
Viele erlebten das nicht mehr. Die Eltern von Jerzy Tarasiewicz etwa, der im Arbeiterlager bei Magdeburg geboren wurde, starben zu früh, um entschädigt zu werden. Er selbst bekam aus dem deutschen Entschädigungstopf die Summe von 2.200 Mark.