Donnerstag, 25. April 2024

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Entwicklungsminister Müller (CSU) zur Coronakrise
"WHO zum Weltpandemiezentrum ausbauen"

Die Welt müsse sich besser gegen Seuchen wie SARS-CoV-2 wappnen, mahnte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) im Dlf. Denn diese Pandemie werde nicht die letzte sein. Die Weltgesundheitsorganisation sollte deshalb zu einer Art Weltpandemiezentrum ausgebaut werden, um Seuchen über Grenzen hinweg zu bekämpfen.

Gerd Müller im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 18.04.2020
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU)
"Wir wurden schon ein paarmal herausgefordert und waren nicht so vorbereitet, wie das vielleicht hätte sein müssen", sagt Entwicklungsminister Müller (CSU) zur Bedrohung durch Pandemien (picture alliance / dpa / Axel Heimken)
Wenn es auf dem eigenen Kontinent, Europa, so viel zu melden gibt, steigende Infektionszahlen, Gesundheitssysteme massiv unter Druck, dann scheint Afrika weit weg. Doch auch dort häufen sich die Katastrophenmeldungen. Wir sprechen darüber mit dem deutschen Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU).
Gefahren "bis hin zum Staatsverfall"
Jürgen Zurheide: Herr Müller, wie ist die Lage in den Ländern Afrikas, welches fällt Ihnen heute Morgen, wenn ich Sie frage, ganz besonders ein?
Gerd Müller: Mir fällt Südafrika ein. Ich habe gestern mit Staatspräsident Cyril Ramaphosa gesprochen, der in einer Konferenz mit dem UN-Generalsekretär und afrikanischen Regierungschefs über die Situation berichtet hat. Südafrika ist ein Brennpunkt, aber insgesamt betroffen sind mehr oder weniger alle afrikanischen Staaten. Es gibt weitere Hotspots der Corona-Krise, das ist Marokko – das sage ich, weil das ist ja unmittelbar über dem Mittelmeer –, Algerien und Ägypten. Es geht nicht nur um Pandemiebekämpfung, Gesundheitskrise – das ist dramatisch genug in den afrikanischen Ländern –, sondern es erwachsen daraus Spannungen, Unruhen, Hunger, bis hin zur Gefahr des Staatsverfalls in bestimmten Regionen, ich denke an die Sahel-Region.
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Zurheide: Fangen wir an dennoch mit den Gesundheitssystemen, über die wirtschaftlichen Auswirkungen reden wir gleich noch, die sind natürlich schwach. Was fehlt da zuallererst?
Müller: Ja, was fehlt da: Ein Land wie Äthiopien, 105 Millionen, also wesentlich größer als Deutschland, hat hundert Intensivbetten. Sollte das Virus in derselben Gefährlichkeit und Dramatik wie in Italien, Spanien oder Deutschland um sich greifen, dann gibt es Hunderttausende von Toten, weil es überhaupt keine Chance gibt bei der bestehenden Gesundheitsstruktur, Intensivmedizin zu machen, wie wir sie in Europa kennen.
"Regierungen haben Konsequenzen aus Ebola gezogen"
Zurheide: Auf der anderen Seite haben wir ja gelernt, dass bei Krisen wie Ebola zum Beispiel Infektionsketten nach anfänglichen Schwierigkeiten dann doch, ich will nicht sagen ganz gut, aber jedenfalls man hat viel gelernt. Ist so eine Lernkurve jetzt zu erwarten, oder sagen Sie, die Bedingungen sind nicht vergleichbar?
Müller: Ja, aus Ebola haben die Regierungen in Afrika auch ihre Konsequenzen gezogen und deshalb auch sofort beim Auftreten der ersten Fälle Isolation angeordnet. Nun haben wir bestimmte Hoffnungen mit Blick auf Afrika. Erstens, die Menschen dort sind im Durchschnitt 20 bis 25 Jahre, also jung, und Junge sind ja in Deutschland oder in Europa auch nicht so extrem betroffen. Das ist das eine. Vielleicht hilft auch das Klima mit, und der Austausch über die Grenzen, der ist sowieso nicht in dem Ausmaß, wie das in Europa oder in den USA der Fall ist. Wir hoffen, dass die Pandemie nicht die afrikanischen Strukturen in der Gefährlichkeit angreift.
Zurheide: Welche Hilfen von außen wären denn besonders wichtig, was sagen Ihnen die Staatenlenker, mit denen Sie reden?
Müller: Erstens, wir arbeiten sehr erfolgreich zusammen mit der Afrikanischen Union. Es ist nicht so, dass es dort keine Strukturen gäbe, auch Forscher und Medizinteams, schließlich wurde Ebola vor Kurzem im Kongo besiegt. Wir bereiten auch bereits vor den Einsatz von Impfstoffen über die weltweite Organisation Gavi (Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung). Sobald ein Impfstoff da ist, müssen wir darauf vorbereitet sein.
"Wir müssen die Pandemie weltweit besiegen"
Zurheide: Wenn ich dazwischengehen darf, Herr Müller, Sie sagen, auch wenn es einen Impfstoff gibt, dann muss er eben überall auch zur Verfügung stehen. Es gibt ja Politiker, die sehen das anders.
Müller: Ja, das ist doch selbstverständlich, jedes Leben ist gleich viel wert, und wir gewinnen, besiegen diese Pandemie nur weltweit. Wer meint, der kann sich auf Europa beschränken, wir müssen weltweit die Pandemie besiegen in einer globalen Welt des Warengüteraustauschs und des Reiseverkehrs. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir jetzt auch diesen internationalen Ansatz koordinieren über die UN. Generalsekretär Guterres hat gestern hier einige wichtige Vorschläge gemacht, auch die WHO möchte ich hier nennen, die sehr, sehr wichtige Arbeit leistet. Ich habe vorgeschlagen, die WHO zu einem Weltpandemiezentrum auszubauen. Warum? Weil Corona ist ein Virus - wir wissen von den Forschern, dass es mindestens 40 Viren dieser Gefährlichkeit gibt, also müssen wir jetzt bereits die Konsequenzen ziehen, dass es nicht noch einmal zu einem solchen Angriff eines Virus auf die ganze Welt kommt, wie das jetzt der Fall ist.
Zurheide: Und wenn wir gerade die WHO ansprechen, welche Hilfen kann Deutschland leisten, wenn denn die Amerikaner wirklich wahrmachen, was ihr irrlichternder Präsident da angekündigt hat?
Müller: Ich hab noch mal an die Amerikaner appelliert, das zu überdenken, diesen Schritt. Es gibt sicher Verbesserungsbedarf in der Abstimmung, in der Koordinierung, gerade was die WHO anbetrifft, aber jetzt müssen wir nach vorne gehen. Die Strukturen der WHO sind weltweit funktionsfähig, und: Fehler abstellen und die Stärken ausbauen als eine weltweit agierende Pandemiebekämpfungsorganisation. Wir brauchen ein Monitoring in Zukunft, wo treten Gefahren auf, wo sind Brandherde. Wir brauchen weltweite Forschungsverbünde. Jetzt da ein Medikament zu bekommen, einen Impfstoff und dann Impfkampagnen zu organisieren, wer soll denn das machen? Das muss international, weltweit koordiniert werden, und dafür hat die WHO gute Voraussetzungen und ist die Organisation. Ich hoffe, die Amerikaner sehen das auch ein, jetzt nachdem dieses Virus gerade in den USA so massiv die Bevölkerung trifft.
Überlegen, ob man die WHO nicht anders finanziert
Zurheide: Ich will es den Amerikanern jetzt nicht zu leicht machen, aber wenn die Amerikaner es nicht einsehen sollten, dann müssen andere einspringen – stimmt das so?
Müller: Ja, gut, das ist eine Ausfall von 400 Millionen, wobei die Staaten der Welt sich als Konsequenz überlegen müssen, ob man die WHO nicht auf andere finanzielle Grundlagen stellt, das heißt, stärker staatlich finanziert und nicht so stark auch von privaten Geldgebern abhängig. Es muss in unser aller Interesse weltweit sein, dass wir, ich sag's noch mal, in einer globalen Welt auch eine globale Gesundheitsorganisation haben, die über die Grenzen hinweg die Forscher der Welt – von Australien bis in die USA – zusammenführt und frühzeitig, rechtzeitig reagieren kann. Ich sag's noch mal: Diese Pandemie ist nicht die letzte. Und wenn ich zurückblicke, denke ich an Vogelgrippe, Schweinegrippe, denke ich an Ebola – das sind uns bekannte – oder SARS oder Zika.
Wir wurden schon ein paarmal herausgefordert und waren nicht so vorbereitet, wie das vielleicht hätte sein müssen, und daraus gilt es jetzt die Konsequenzen zu ziehen: Global Health and One Health. Ich werde im Ministerium und habe bereits die Vorgabe gemacht, einen neuen Bereich einzurichten. Wir müssen menschliche und tierische Gesundheit gemeinsam denken. Bei Corona handelt es sich um eine Zoonose, Ausgangspunkt sind Tiere, in dem Fall in Wuhan ein Wildtiermarkt. Dieses Virus sprang vom Tier auf den Mensch und vom Mensch weitergegeben an Menschen. Deshalb müssen wir Human- und Tiermedizin neu gemeinsam vernetzt denken – in einem One-Health-Ansatz, global, weltweit umgesetzt mit den besten Forschern Japans, Chinas, Europas und Deutschlands.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.