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Erbgutschäden
Kinder von Radarsoldaten leiden unter Gesundheitsproblemen

Bis in die 1980er-Jahre waren viele Soldaten in militärische Radaranlagen unzureichend gegen Röntgenstrahlung abgeschirmt. Viele dieser Radarsoldaten sind inzwischen an Krebs erkrankt, Hunderte daran gestorben. Nun hat eine neue Studie gezeigt: Die Strahlenschäden werden auch an die Kinder vererbt.

Von Dagmar Röhrlich | 09.10.2018
    Soldaten des Flugabwehrraktengeschwader 1 treffen auf dem Fliegerhorst Schwesing bei Husum die letzten Vorbereitungen an ihrer Radar-Anlage des Waffensystems Patriot
    Bis in die 1980er-Jahre waren militärische Radaranlagen in Bundeswehr und NVA oft schlecht abgeschirmt (dpa)
    Der Strahlenbelastung durch Röntgenstrahlung habe die Bundeswehr sehr lange keinen hohen Stellenwert beigemessen: Zu diesem Schluss kam die eigens eingesetzte Expertenkommission 2003 in ihrem Abschlussbericht. Und so lässt sich denn auch leider kaum rekonstruieren, welcher Strahlendosis einzelne Radarexperten der Bundeswehr ausgesetzt waren: Denn nur für sehr wenige Geräte wurde überhaupt erfasst, wie viel Streustrahlung sie abgaben, und persönliche Dosimeter gab es erst nicht. Entscheidend für das Gesundheitsrisiko ist jedoch, wer wo wie lange welcher Strahlung ausgesetzt war:
    "Das sind letztendlich Dinge, die dann nicht gut dokumentiert werden konnten, sodass die Schätzungen von der Exposition von einigen wenigen Mikrosievert bis einigen Millisievert schwankt - also über mehrere Größenordnungen", sagt Peter Krawitz, Leiter des Instituts für ökonomische Statistik und Bioinformatik an der Universitätsklinik Bonn. Er gehört zu dem Forscherteam, das die nun veröffentlichte Pilotstudie durchgeführt hat, in der erstmals auch untersucht wurde, ob auch die Kinder ehemaliger Radarsoldaten Gesundheitsschäden davon trugen: "Lehrbuchmeinung ist, dass Strahlenschäden nicht an die nächste Generation weitergegeben werden können."
    Diese Lehrbuchmeinung beruht vor allem auf Untersuchungen an den Kindern der Atombombenopfer von Hiroshima und Nagasaki. Allerdings hinke dieser Vergleich, betont Peter Krawitz: "Wir sprechen ja hier von einer möglichen Exposition über einen langen Zeitraum, niedrigere Dosen, und in Hiroshima war es eine einmalige Exposition - hoch. Und auch das könnte in der Biologie einen Unterschied machen. Und das Zweite ist, dass man auf molekularer Ebene das Ganze bislang noch nicht genomweit untersucht hat."
    Studie bestätigt Ergebnisse von Tierversuchen
    Genau das hat die Forschergruppe um Peter Krawitz jetzt gemacht. Für ihre Pilotstudie haben sie mit moderner Sequenziertechnik die Genome von zwölf Radarsoldatenfamilien analysiert: von 18 inzwischen längst erwachsenen Kindern und ihren Eltern. Verglichen wurden die Mutationsraten in ihren Genomen mit denen von 28 Nachkommen, deren Eltern keiner Röntgenstrahlung ausgesetzt waren. Die Forscher konzentrierten sich dabei auf charakteristische Cluster von Schäden: auf sogenannte "Multisite de novo Mutationen".
    "Das ist eine Mutationsklasse, die vom Entstehungsmechanismus mit ionisierender Strahlung in Verbindung gebracht werden kann. Weil man in der Zellkultur zeigen konnte, dass es bei einer bestimmten energetischen Stärke der ionisierenden Strahlung zu mehreren Läsionen in naher Umgebung in der DNA kommen kann", erläutert Peter Krawitz.
    Diese Schäden traten auch im Tierversuch auf, bei den Nachkommen bestrahlter männlicher Mäuse. Die Forscher suchten deshalb gezielt nach ihnen im Genom der Radarsoldaten und ihrer Familien. Und sie wurden fündig: Bei der unbestrahlten Kontrollgruppe hatte lediglich jeder fünfte Nachkomme eine "Multisite de novo Mutation" irgendwo in seinem Erbgut - in den Familien der Radarsoldaten fanden sie sich jedoch bei zwei von drei Nachkommen.
    Größere Studie soll folgen
    Außerdem traten bei insgesamt zwei der Betroffenen Veränderungen an den Chromosomen auf, die massive Gesundheitsprobleme zur Folge haben. Auch diese Veränderungen ließen sich auf die väterliche Keimbahn zurückführen - und es sind Mutationen, die zufällig nur sehr selten auftreten.
    Entgegen der Lehrbuchmeinung werden die Schäden im Genom durch Röntgenstrahlung also anscheinend tatsächlich vererbt. Doch wie ausgeprägt der Effekt ist, müsste jetzt eine größere Studie erweisen. Peter Krawitz: "Wir haben die Möglichkeit bis zu 140, 150 Familien zu untersuchen." Ehemalige Radarsoldaten, die einer höheren Dosis an Röntgenstrahlung ausgesetzt waren, und ihre Nachkommen können sich melden, wenn sie an dieser Untersuchung teilnehmen möchten.
    "Wir hoffen, dass wir mindestens auf diese Fallzahl kommen, die wir eben untersuchen können und arbeiten da mit dem Bund zur Unterstützung der Radargeschädigten zusammen - aber freuen uns da natürlich auch, wenn uns von Seiten der Bundeswehr geholfen wird, den möglichen Personenkreis ansprechen zu können", sagt Peter Krawitz.