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Erbschaftssteuer, Föderalismusreform, Investivlohn

Der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein hat die Koalition aufgefordert, nach den anstehenden Landtagswahlen zur sachlichen Zusammenarbeit zurückzufinden. In Bereichen wie dem Föderalismus oder der Erbschaftssteuer stünden dringende Reformen an, sagte der CSU-Politiker. Ausgelotet werden müsse auch, welche gemeinsamen Maßnahmen Union und SPD gegen die Jugendkriminalität auf den Weg bringen könnten.

Moderation: Stefan Heinlein | 15.01.2008
    Stefan Heinlein: High Noon also in Berlin. Um zwölf Uhr Mittags tritt die Kanzlerin heute vor die Kameras und Mikrofone. Ein seltener Auftritt von Angela Merkel in der Bundespressekonferenz. Zwar bemüht sich der Regierungssprecher nach Kräften, den Termin als lange geplant zu verkaufen, doch der Zeitpunkt der Pressekonferenz ist sicher kein Zufall. Viel hat sich angestaut im Verhältnis zwischen Union und SPD. Von Endzeitstimmung ist die Rede, von Vertrauensverlust und innenpolitischer Eiszeit. Am Telefon nun der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU). Guten Morgen!

    Günther Beckstein: Einen schönen guten Morgen!

    Heinlein: Herr Beckstein, herzlichen Glückwunsch! Sie haben am Wochenende den Karl-Valentin-Orden erhalten. Sie hätten Sinn für Humor, so heißt es in der Begründung. Braucht man viel Humor, um die Berliner Politik in diesen Tagen noch ernst zu nehmen?

    Beckstein: Wir sind vor den so wichtigen Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen. Da ist es klar, dass Wahlkampf eine harte Auseinandersetzung ist und nicht irgendein Faschingsspielchen. Damit muss man auch professionell umgehen. Das hat natürlich etwas mit Ernst in der Politik zu tun, aber ich glaube man muss auch wissen, dass man nach einem Wahlkampf schnell wieder in eine ordentliche, anständige Arbeit zurückkehren muss.

    Heinlein: Besonders hat der Jury Ihr Spruch gefallen, "in der Politik ist das Schöne, dass alles möglich ist, aber auch das Gegenteil". Wenn Sie derzeit die Berliner Koalition betrachten, ist dort derzeit nichts mehr möglich, oder das Gegenteil?

    Beckstein: Was ich damit zum Ausdruck bringen wollte ist, dass in der Tat Politik etwas ist, wo es sehr überraschende Wendungen geben kann. Und ich gestehe, dass ich jedenfalls vor zwei, drei Wochen oder sagen wir mal vor vier Wochen noch nicht geahnt hätte, dass die Auseinandersetzung diese Schärfe erreicht, die sie nun im Moment hat. Aber ich denke, dass es auch eben wieder richtig und notwendig ist, dass wir wissen, die Bundestagswahlen sind erst im Herbst 2009 und ich hoffe sehr, dass damit auch dann in den nächsten Monaten noch mal ernsthaft und gut gearbeitet wird.

    Heinlein: Wie schwierig wird es denn, nach den Landtagswahlen wieder zur Sacharbeit zurückzukehren? Ist das allein eine Hoffnung, die Sie haben, oder haben Sie auch begründete Hoffnung, dass es dann so geschehen wird?

    Beckstein: Natürlich ist die Auseinandersetzung im Moment hart. Wenn Struck Koch vorwirft, dass er geradezu diese scheußlichen Überfälle in der Münchener U-Bahn herbeigesehnt hätte, dann ist das schon etwas, was wirklich eigentlich völlig unerträglich ist und überhaupt nichts mehr mit sachlicher Arbeit zu tun hat. Trotzdem denke ich, in der Politik müssen diejenigen, die in der Bundesregierung sind, aber insgesamt auch als Abgeordnete und sonst im politischen Geschehen Beteiligte sind, professionell genug sein, dann auch eben jetzt wieder zur Sacharbeit zurückzukehren. Wir können uns in Deutschland nicht zwei Jahre Stillstand leisten.

    Heinlein: Wie groß ist denn aus Ihrer Sicht noch der Vorrat der Gemeinsamkeiten zwischen Union und SPD? Der Koalitionsvertrag, so heißt es immer wieder, sei weitgehend abgearbeitet.

    Beckstein: Es gibt jedenfalls große Aufgaben: Föderalismusreform II, Erbschaftssteuerreform. Ich hielte es auch für wirklich wünschenswert, einen Investivlohn auf den Weg zu bringen. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass hier Projekte in den nächsten Wochen und Monaten noch gelingen. Es war in der Großen Koalition in allen Fragen immer eine schwierige Auseinandersetzung, wenn zwei nahezu gleich starke Partner meinen, sie könnten sich durchsetzen. Dann ist das ein hartes Verhandeln und nicht eine schnelle Entscheidung. Das ist ja einer der Gründe, warum ich auch sage, es ist für mein Land Bayern besser, wenn man eine klare Mehrheit bekommt. Dann kann mehr, schneller und besser regiert werden.

    Heinlein: Aber um diese klare Mehrheit werden Sie in diesem Jahr noch kämpfen müssen. Landtagswahlkampf bei Ihnen im Herbst, davor in Hamburg. Also die Aussichten, dass man nach den Wahlen in Hessen und Niedersachsen jetzt wieder zur Sacharbeit zurückkehrt, sind eher bescheiden.

    Beckstein: Aber notwendig. Alle Beteiligten wissen, dass selbst wenn kurzfristig man auseinander gehen wollte es gar keine ernsthafte sinnvolle Alternative gibt. Eine andere Koalition ist nicht möglich. 2005 ist man ja auch nicht zur Großen Koalition gegangen, weil man gesagt hat das sei eine optimale Liebesheirat, sondern weil die Vernunft gesagt hat, eine andere vernünftige Koalition ist nicht möglich.

    Heinlein: Ihr Parteivorsitzender Erwin Huber hat erklärt, in der Koalition sei ein Teil des Vertrauens verloren gegangen. Teilen Sie diesen Eindruck, wenn Sie derzeit auf Berlin blicken?

    Beckstein: Selbstverständlich bleiben hier schon Wunden zurück und es geht in der Politik natürlich nicht allein darum, dass man ganz nüchtern nur quasi wie in irgendeiner Computersimulation etwas spielt, sondern es hängt auch schon zusammen: kann man es miteinander, oder hat man da Schwierigkeiten. Trotzdem: Ich gehe davon aus und sage, wir müssen alle nach den Wahlen jetzt wieder zur Sacharbeit zurückkehren. Das ist auf der Berliner Ebene natürlich noch dringender notwendig als in allen anderen Bereichen, aber auch im Bundesrat muss wieder zur Sacharbeit zurückgekehrt werden, weil wir noch zwei Jahre zur nächsten Bundestagswahl haben und Stillstand kann sich Deutschland in dieser langen Zeit nicht leisten.

    Heinlein: Vertrauen gab es zwischen Angela Merkel und Franz Müntefering. Franz Müntefering ist nicht mehr aktiv in der Bundespolitik. Hat sein Abgang der Bundespolitik, dem Klima in der Koalition mehr geschadet als man zunächst vermutet hat?

    Beckstein: Dass Müntefering ein starkes Bindeglied in der Großen Koalition war, ist meines Erachtens unbestreitbar. Der SPD-Parteivorsitzende Beck ist ja nun ganz bewusst nicht in die Koalition eingetreten, in die Regierung, und damit ist er mit Sicherheit nicht jemand, der in derselben Weise für die Zusammenarbeit in der Regierung sorgt. Sonst wäre er ja in die Regierung hineingegangen. Aber Herr Steinmeier wird diese Aufgabe auch haben und ich glaube auch, dass er den Willen zur Zusammenarbeit dann jetzt wieder hat.

    Heinlein: Herr Beckstein, blicken wir auf den heutigen Mittag. Angela Merkel will sich vor der Bundespressekonferenz äußern. Was erwarten Sie von der Bundeskanzlerin?

    Beckstein: Ich erwarte, dass die Bundeskanzlerin Themen angibt, die das Jahr 2008 prägen werden. Das ist zunächst mal aus unserer Sicht die Frage der Erbschaftssteuer. Das würde jedenfalls, wenn wir von den Ländern her denken, auch die Frage wie geht es in der Föderalismusreform II weiter, sein. Investivlohn, weitere Themen der Innen- und Außenpolitik. Herr Steinmeier ist ja gerade auch als Außenminister und muss als Außenminister daran interessiert sein, dass Deutschland handlungsfähig bleibt, denn sonst kann er ja auch in seinem Aufgabengebiet Deutschland nicht würdig vertreten. Von daher gehe ich davon aus, dass die Themensetzung für dieses Jahr dann auch zeigt, dass es doch eine gemeinsame Agenda für die nächsten Monate gibt.

    Heinlein: Sollte sie auch ein Machtwort in alle Richtungen sprechen, auch an die eigene Partei, dass der Ton nun innerhalb der Koalition sich mäßigen muss, eine verbale Abrüstung quasi?

    Beckstein: Es ist ja vereinbart, dass auch im Zusammenhang mit der Frage wie kann man besser mit Gewalt fertig werden ein Gespräch stattfindet. Von daher wird auch in diesem Bereich dann auszuloten sein, kann man irgendwelche Maßnahmen zu Wege bringen. Ich hatte ja in einem Gespräch mit Herrn Steinmeier im Rahmen der Sendung von Anne Will auch gehört, wie Herr Steinmeier immer gesagt hat ja, natürlich wollen wir auch Maßnahmen auf den Weg bringen, um noch besser als heute mit diesem Problem umzugehen, das nun ja besteht, dass kriminelle Handlungen gerade im Bereich von jungen Menschen deutlich zunehmen, nicht allgemeine Jugendkriminalität, aber Gewalt bei jungen Menschen steigt, und zwar gerade auch im Zusammenhang mit Alkohol. Von daher muss man schauen, wie man auch in diesem Bereich zu besseren Lösungen kommt, wie man Menschen besser integriert.

    Heinlein: Herr Beckstein die Frage war, ob sie ein Machtwort sprechen soll an die eigene Partei, aber auch an den Koalitionspartner, dass der Ton innerhalb der Koalition nun ruhiger wird und weniger aggressiv.

    Beckstein: In einer Großen Koalition erwarte ich nicht, dass ein Machtwort von allen beachtet wird, aber dass sie eine Richtung angibt, wie die Arbeit ist, das erwarte ich.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein. Herr Beckstein, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach München!