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Stiegler stellt sich hinter Scholz

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ludwig Stiegler hat die Gesetzentwürfe von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz zum Mindestlohn gegen Kritik aus dem Wirtschaftsministerium verteidigt. Scholz setze um, was die Koalitionsspitzen einvernehmlich beschlossen hätten, sagte Stiegler. Stiegler stellte klar, dass die SPD das Ziel eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in dieser Legislaturperiode nicht mehr verfolge. Dafür benötige man andere Mehrheiten.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Keine weißen Flecken, Mindestlohn für alle. Die SPD lässt nicht locker und bringt eine neue Offensive in Gang, um ihr politisches Lieblingsthema wieder in den Vordergrund zu schieben. Zwei Gesetzesentwürfe sind auf dem Weg durch die Instanzen. Zum einen soll nach dem Vorbild der Post und Baubranche das Entsendegesetz auch für andere Bereiche mit hoher Tarifbindung zur Anwendung kommen. Zum anderen soll ein altes Gesetz aus den 50er Jahren entstaubt werden und als moderne Variante auch in den übrigen Branchen Mindestlöhne möglich machen. Vater der Gesetze ist Arbeitsminister Scholz. Doch die Chancen, dass seine Pläne unbeschadet von der Union abgenickt werden, sind eher bescheiden. Nicht nur die Fachpolitiker der Christdemokraten haben ihren Widerstand angekündigt, auch die Kanzlerin selbst scheint wenig geneigt, dem Koalitionspartner einen Erfolg beim Thema Mindestlohn zu gönnen. Am Telefon nun der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ludwig Stiegler. Guten Morgen!

    Ludwig Stiegler: Schönen guten Morgen!

    Heinlein: Herr Stiegler, Olaf Scholz will Tempo machen beim Mindestlohn. Reicht das denn aus, um Roland Koch aus den Schlagzeilen zu verdrängen?

    Stiegler: Der Olaf Scholz macht kein Tempo, sondern vollzieht das Koalitionsprogramm. Die Koalition hat das verabredet mit der Kanzlerin. Und wir hatten letzte Woche ein Abstimmungsgespräch innerhalb der Koalitionsspitzen. Und da ist das einvernehmlich auf die Reise geschickt worden. Jetzt beginnt die Ressortabstimmung, und dann beginnt die Parlamentsberatung. Wir sind hier voll im Plan.

    Heinlein: Einvernehmlich? Heißt das, dass die Union bei diesem Koalitionsgespräch den Plänen von Olaf Scholz zugestimmt hat?

    Stiegler: Die haben sie zur Kenntnis genommen und haben gesagt, über Details reden wir in der Ressortabstimmung. So ist das aber immer. Es hat aber dort bei dieser Koalitionsrunde die Union durchaus klargemacht, dass sie zu den Zusagen steht, die sie im Sommer letzten Jahres gegeben hat. Und wenn jetzt aus dem Wirtschaftsministerium hier es heißt, vor Tische las man es anders, dann ist das eine versteckte Kritik des Bundeswirtschaftsministers an der Bundeskanzlerin, weil der Wirtschaftsminister war in der Koalitionsrunde nicht dabei und seine Helfer waren erst recht nicht dabei. Und deswegen ist das ja das Übliche, was wir aus dem Hause Glos immer wieder erleben. Aber ich glaube nicht, dass die Karawane aufgehalten werden kann.

    Heinlein: Wie interpretieren Sie denn dann die Aussagen verschiedener Unionspolitiker, die sagen, die Pläne von Olaf Scholz wird es in dieser Form keinesfalls geben?

    Stiegler: Das weiß ich auch nicht. Es gibt bei denen immer Leute, die berufen sich auf die Kanzlerin, die sagen, es wird keinen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn geben. Das meinen die häufig. Und das ist in der Tat so. Olaf Scholz schlägt vor dem Hintergrund der Koalitionsvereinbarung keinen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn vor, sondern viele differenzierte gesetzliche Mindestlöhne für verschiedene Branchen, für große Branchen, die mehr als die Hälfte der Beschäftigten umfassen, eben nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz und für kleine Branchen wie etwa die Fleischindustrie das Gesetz über die Mindestarbeitsbedingungen. Das sind kommunizierende Röhren. Wo das eine Gesetz greift, greift das andere nicht und umgekehrt. Und es kann, wenn die Leute faul sind und sich nicht organisieren etwa und keine starken Gewerkschaften haben, dann kann es auch passieren, dass es keinen Tarifvertrag gibt, den man für allgemein verbindlich erklären kann. Und wenn hier die Arbeitgeber sich selber freiwillig bewegen, kann es sein, dass der große Ausschuss nach dem Gesetz über die Mindestarbeitsbedingungen sagt, es gibt keinen Bedarf für einen Mindestlohn. Aber es ist jedenfalls Vorkehr getroffen, dass überall in Deutschland jede Arbeit anständig bezahlt werden kann. Und das ist die Hauptaufgabe, die Olaf Scholz wirklich wunderbar gelöst hat.

    Heinlein: Die SPD ist ja eigentlich für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Nun sieht es ja so aus, wenn ich Sie richtig verstehe, dass diese Forderung vom Tisch ist? Es geht nur noch um Umwege?

    Stiegler: Die ist nicht vom Tisch. Die braucht dafür eine andere Mehrheit. Das muss der Wähler 2009 entscheiden. Mit der CDU und der CSU kann man keinen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn machen, weil CDU und CSU bereit sind, die Menschen zu Hungerlöhnen arbeiten zu lassen, um sie mit Sozialhilfe am Leben zu erhalten. So, wie es Erwin Huber kürzlich gesagt hat: Das ist so diese alte Herr- und Knechtvorstellung. So nach dem Motto: Verhungern lass ich dich nicht, aber menschenwürdig entlohnen tue ich dich auch nicht. Das ist aber ja bekannt, dass mit der CDU und der CSU, obwohl es in der CDU und CSU ein paar Gerechte durchaus gibt, eben keinen allgemeinen flächendeckenden, gleichen, gesetzlichen Mindestlohn geben wird.

    Heinlein: Und Olaf Scholz, Herr Stiegler, hat jetzt ein Hintertürchen gefunden, um den gesetzlichen Mindestlohn quasi durch die Hintertür jetzt einzuführen?

    Stiegler: Nein, kein Hintertürchen. Nein! Olaf Scholz hat jetzt die Voraussetzungen geschaffen, dass es einen branchenorientierten, von den Tarifvertragspartnern oder von den Sachverständigen in den Tarifausschüssen vorbereiteten, differenzierten, branchenbezogenen Mindestlohn gibt. Wir sind hier noch längst nicht da, wo wir hinwollen. Die SPD will einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn flächendeckend in Deutschland. Dafür gibt es keine Mehrheit. Da müssen die Wähler 2009 die Weichen neu stellen. Wenn die Deutschen so wählen, wie sie für einen Mindestlohn sind, dann haben wir die Mehrheit dafür. Und für die Übergangszeit, da können wir ja nicht einfach sagen: Jetzt warten wir auf bessere Zeiten, bis die CDU dann nicht mehr so viel Stimmen hat und wir wieder die Mehrheit haben. Sondern für die Übergangszeit haben wir diese beiden Gesetze, und da gibt es tarifliche Mindestlöhne. Das singt die CDU und die Kanzlerin pausenlos: Tarifliche Mindestlöhne, jawohl. Das Arbeitnehmerentsendegesetz kennt nur tarifliche Mindestlöhne. Und es gibt zum Zweiten eben das Gesetz über die Mindestarbeitsbedingungen. Da gibt es sehr differenzierte Vorschläge dieser Kommission oder dieses Tarifausschusses für kleine und mittlere Branchen. Das ist dann die Situation.

    Heinlein: Herr Stiegler, dieses Mindestarbeitsbedingungengesetz, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, stammt ja aus dem Jahre 1952. Es wurde nie angewendet und kaum jemand kann sich daran noch erinnern. Ist dieses verstaubte Relikt tatsächlich eine geeignete Wunderwaffe nun von Olaf Scholz, um den Mindestlohn für diese Branchen einzuführen?

    Stiegler: Das ist wunderbar. Ich habe das um den 1. Mai letzten Jahres ausgegraben und lange mit Franz Müntefering darüber geredet und ihm das nahe gebracht. Im Grunde können Sie sich das vorstellen, das ist wie die Low Pay Commission in England. Da gibt es eine zentrale Kommission mit Wissenschaftlern, unabhängigen, die die Lage untersuchen und sagen, da gibt es Unzulänglichkeiten. Da müssen wir was tun. Und es gibt für das Feintuning, für die einzelne Branche, meinetwegen die Friseure und die Schlachter und wen auch immer von kleinen Branchen, gibt es dann eben Fachausschüsse, die sagen, so, das muss hier so sein. Und es ist vielleicht regional verschieden. Das ist im Grunde das modernisierte Mindestarbeitsbedingungengesetz, ist im Grunde verwandt, geistesverwandt, mit der englischen Low Pay Commission und ihren verschiedenen Verzweigungen. Und das ist eine hochmoderne Veranstaltung für die Fälle, wo es eben keine Tarifbindung gibt, wo die Arbeitgeber geflüchtet sind aus den Tarifverträgen, wo diese ohne Tarifbindung Arbeitgeberverbände vorherrschen und sie meinen, auf die Weise könnten sie sich den Tarifverträgen entziehen.

    Heinlein: Herr Stiegler, warten wir es ab, wie es kommt in den kommenden Wochen.

    Stiegler: Jetzt kommt der Fortschritt. Der ist unaufhaltsam. Das ist der alte Glaube der deutschen Sozialdemokratie.

    Heinlein: Ludwig Stiegler, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. Vielen Dank für das Gespräch!

    Stiegler: Ich danke für das frühe Aufwecken!