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Erbschaftssteuer-Urteil
"Ich mache mir keine Illusionen"

Wie umfangreich wird die große Koalition die Regeln für die Besteuerung von Unternehmen ändern? So weit, "wie wir mit CDU/CSU kommen", sagte der SPD-Wirtschaftspolitiker Klaus Barthel im Deutschlandfunk. Eine "gründliche Änderung" sei wohl nicht möglich – aber notwendig.

Klaus Barthel im Gespräch mit Silvia Engels | 18.12.2014
    Porträtbild des SPD-Politikers Klaus Barthel
    Der SPD-Politiker Klaus Barthel fordert eine Debatte um die Besteuerung von Vermögen. (picture alliance / dpa/ Armin Weigel)
    Die aktuelle Debatte zeige, "dass es insgesamt ein großes Gerechtigkeitsdefizit gibt", so Barthel. In Deutschland würde Arbeit um ein Mehrfaches besteuert als das Erben. Er sei froh, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber nun insgesamt viel Spielraum lasse. Kurzfristig geändert werden müssten Ausnahmen und Sonderregelungen.
    Ob mit der großen Koalition allerdings eine "gründliche und notwendige Änderung möglich ist", bezweifelt der Sozialdemokrat im DLF: " Ich mache mir keine Illusionen." Mittelfristig sei allerdings eine Debatte um die Besteuerung von Vermögen erforderlich.

    Das Interview mit Klaus Barthel in voller Länge:

    Silvia Engels: Die derzeitigen Steuervergünstigungen für Erben von Firmen sind in weiten Teilen verfassungswidrig. So interpretieren jedenfalls viele Beobachter das gestrige Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Der Grund: Die jetzigen Vergünstigungen verstoßen nach Ansicht der Richter gegen das Grundrecht der Belastungsgleichheit, weil normale Erben von Vermögen nicht die Möglichkeit haben, so massiv Steuern zu sparen, wie Firmenerben, die den Betrieb weiterführen. Zudem gebe es zu viele Missbrauchsmöglichkeiten.
    Das Bundesfinanzministerium interpretiert das Urteil dagegen ganz anders. Minister Schäuble will grundsätzlich an den Privilegien für Erben festhalten:
    O-Ton Wolfgang Schäuble: "Das Bundesverfassungsgericht hat ja ausdrücklich im Grundsatz geltende die geltende Regelung für richtig erklärt. Der Koalitionsvertrag sagt, wir werden das Erbschaftssteuerrecht nur insoweit ändern, als es vom Verfassungsgericht ausdrücklich vorgeschrieben wird."
    Engels: Wolfgang Schäuble. - Zugeschaltet ist uns Klaus Barthel, stellvertretender Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Bundestag und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der SPD, kurz AfA. Guten Morgen, Herr Barthel!
    Klaus Barthel: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Wer hat denn nun recht? Besteht viel Änderungsbedarf oder wenig?
    Barthel: Zunächst mal können wir ja froh sein, dass das Bundesverfassungsgericht generell dem Gesetzgeber bei der Erbschaftssteuer viel Spielraum lässt. Das heißt, die Debatte über die Erbschaftssteuer kann und wird weitergehen. Jetzt im Moment, was unmittelbar geändert werden muss bis Ende 2016, sind ja im Wesentlichen Ausnahme- und Sonderregelungen zum Beispiel für Betriebe mit unter 20 Beschäftigten, weil bei denen ja nicht unbedingt davon ausgegangen werden kann, dass das nur Kleinbetriebe und kleine Vermögen sind, und weil auch die nachweisen müssen, dass sie Beschäftigung sichern.
    Es geht um die Privilegierung auch von Verwaltungsvermögen, das in Betrieben steckt, und es geht auch vor allen Dingen um große Betriebe, bei denen schon mal hingeschaut werden muss, ob die eigentlich genauso steuerlich privilegiert werden müssen wie kleinere Betriebe. Das Bundesverfassungsgericht hat schon an einigen Punkten deutlichen Korrekturbedarf angemeldet und der muss jetzt angegangen werden.
    "Wir brauchen eine Debatte über die Besteuerung von großen Vermögen"
    Engels: Also sehen Sie doch mehr Änderungsbedarf, als beispielsweise Minister Schäuble das sieht?
    Barthel: Na ja, gut. Er gibt ja auch zu, dass wir was ändern müssen. Das wird jetzt die Koalition beschäftigen. Aber ich mache mir keine Illusionen, dass mit der Union im Moment in der Großen Koalition eine wirklich notwendige und gründliche Reform der Erbschaftsbesteuerung möglich ist. Das ist ja auch im Koalitionsvertrag so festgehalten.
    Das eine ist, die Korrekturen zu machen, die das Bundesverfassungsgericht gefordert hat und die zwingend notwendig sind, und zum zweiten brauchen wir natürlich eine mittelfristige Debatte über die Besteuerung von großen Vermögen.
    Engels: Das ist mittelfristig der Fall. Aber fürchten Sie nicht von Ihrem eigenen linken Parteiflügel die Kritik, dass die SPD nun zur Partei wird, um Erben Steuerprivilegien zu sichern?
    Barthel: Wir werden natürlich die Korrekturen, die notwendig sind, einfordern.
    "Große Gerechtigkeitslücke in Erbschaftssteuer"
    Engels: Aber das sind ja gewaltige, wenn Sie es gerade ansprechen. Kleine Betriebe unter 20 Mitarbeiter, das macht 90 Prozent der vererbten Betriebe in Deutschland aus.
    Barthel: Ja, das ist richtig. Gleichzeitig ist aber die Möglichkeit weiter da, dass Betriebe, die tatsächlich Beschäftigung sichern, weiter begründet auch von der Steuer befreit werden können. Dagegen ist ja generell nichts zu sagen. Aber wie gesagt, im Koalitionsvertrag ist im Moment nicht mehr drin. Aber die Diskussion um die Erbschaftssteuer zeigt ja jetzt gerade, dass es hier insgesamt ein großes Gerechtigkeitsdefizit gibt.
    Wir haben im Moment ungefähr 250 Milliarden Euro, die jährlich vererbt werden, und davon bekommt der Staat höchstens mal zwei Prozent. Heißt also: Bei uns wird Arbeit, wird Leistung um ein Mehrfaches höher besteuert als einfach das Erben, und da gibt es eine große Gerechtigkeitslücke.
    Und das andere Thema, das unbedingt angegangen werden muss, ist die Frage, wie sollen wir denn unsere großen Investitionen, die wir brauchen, wo es ja auch mit Herrn Schäuble zum Beispiel in Europa die Debatte gibt, jetzt die Wirtschaft in Europa voranzubringen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und unsere Infrastruktur zu sanieren, wie sollen wir das machen, ohne endlich mal an die großen Vermögen heranzugehen und ohne neue Schulden zu machen.
    Engels: Sie sagen, der große Wurf ist wegen der Bindung an den Koalitionsvertrag nicht möglich. Aber gerade aufgrund dieses Ungerechtigkeitsgefühls, was ja gerade in der SPD-Linken auch sehr stark zu spüren ist, haben Sie da nicht auch die Pflicht, jetzt in dem Bereich, wo es möglich ist, weil Sie ohnehin aufgrund des Urteils ran müssen, nämlich bei der Vererbung von Unternehmensvermögen, mehr zu machen?
    "SPD muss offensiv an Erbschaftssteuerdebatte rangehen"
    Barthel: Ja. Ich glaube, auf jeden Fall ist es nötig, dass die Sozialdemokratie jetzt, auch unsere Bundestagsfraktion, dass wir offensiv an diese Erbschaftssteuer-Debatte herangehen, sagen, was ist wirklich notwendig, aus wirtschaftspolitischen Gründen auch, aber auch aus Gründen der Gerechtigkeit, um dann zu sehen, was kann man in dieser Koalition machen.
    Das wird dann die Auseinandersetzung im Parlament sein und wir werden dann feststellen, wie weit wir mit der CDU/CSU kommen, und alles andere wird dann der zukünftigen politischen Auseinandersetzung überlassen sein.
    Und auch klar ist: Das Bundesverfassungsgericht hat auch gesagt, die Umgehungstatbestände müssen weg. Da ist schon einiges an Stoff drin. Auch die Kontrollen müssen besser werden, da haben Sie recht.
    Engels: Dann greifen wir es noch mal konkret auf. Die Steuererleichterung war ja bislang für kleine Betriebe unter 20 Mitarbeitern besonders leicht zu erlangen. Da hatten wir zum einen das Problem, dass Firmen sich künstlich aufgespalten haben, um kleiner zu werden, und grundsätzlich mussten solche kleinen Firmen Gründe für eine Steuerverschonung gar nicht beibringen, weil die Firmen pauschal entlastet wurden. Lässt sich das nun eins zu eins überhaupt kontrollieren, oder ist das unrealistisch?
    Barthel: Ich denke schon, dass das kontrolliert werden kann und kontrolliert werden muss. Wie gesagt, eine pauschale Befreiung geht in Zukunft nicht mehr für die kleinen Betriebe. Es ist ja auch nicht so, dass ein Betrieb, der weniger als 20 Mitarbeiter hat, nicht auch ein großes, unter Umständen millionenschweres Vermögen darstellt.
    Auch hier ist es so: Ich glaube schon, dass wir verlangen müssen, dass auch in diesen Fällen Lohnsumme und Beschäftigung garantiert werden müssen, meiner Meinung nach auch nicht nur für fünf Jahre, sondern für mindestens zehn Jahre.
    Engels: Klaus Barthel, er ist der stellvertretende Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag und er ist der AfA-Vorsitzende bei der SPD. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Barthel: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.