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Erdbeben
Die menschengemachte Erschütterung

Seit etwa zehn Jahren rückt ein Problem ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit, das Geologen schon seit den 60ern bekannt ist: Werden in großen Mengen Flüssigkeiten in den Untergrund gepumpt - zum Beispiel beim Fracking - kann das Erdbeben auslösen. Dabei lassen sich diese künstliche herbeigeführten Erschütterungen zumindest verringern.

Von Dagmar Röhrlich | 20.02.2015
    Ein Fracking-Bohrturm in der Abenddämmerung.
    Spürbare induzierte Erdbeben treten unter anderem auf, wenn Abwässer aus dem Fracking verpresst werden. (dpa/picture alliance/Jim Lo Scalzo)
    1962 begann das US-Militär, in der Nähe von Denver große Mengen an flüssigen Abfällen aus der Chemiewaffenproduktion in den Untergrund zu pumpen. Bald darauf häuften sich - in dem ansonsten seismisch kaum aktiven Gebiet - die Erdbeben. Die meisten Beben waren für Menschen nicht wahrzunehmen. Ein paar jedoch erreichten Magnituden von 3 oder 4. Damals klärten Experimente in einem alten Ölfeld auf, wie das Verpressen der Abfälle Erdbeben auslöst:
    "Erstens braucht man eine tektonische Störung im Untergrund. Die gibt es überall und in allen Größen. Zweitens braucht man tektonischen Stress, und für den sorgt überall die Plattentektonik. Das Verpressen erhöht den Flüssigkeitsdruck im Untergrund, und wenn die Störung dann drittens richtig im Stressfeld orientiert ist, wird sie regelrecht geschmiert, und die Spannungen können sich schlagartig in einem Erdbeben entladen."
    Gefahrenquelle Kohlendioxidspeicherung
    Spürbare induzierte Erdbeben seien eigentlich sehr selten, beschreibt Bill Ellsworth vom US Geological Survey USGS in Menlo Park, Kalifornien. Sie träten auf, wenn Abwässer aus dem Fracking verpresst würde. Bei der Gewinnung von Schiefergas oder Schieferöl ist diese Art der Abfallbeseitigung gängig. Das Oklahoma-Erdbeben vom 5. November 2011, das mit seiner Magnitude von 5,7 einige Schäden verursachte, ist auf diesen Effekt zurückzuführen. Außerdem entstehen induzierte Erdbeben bei geothermischen Projekten:
    "Bei allen diesen Prozessen sind die induzierten Erdbeben jedoch nicht nur die Gefahr, sondern gleichzeitig auch das Werkzeug, etwa um die Förderraten zu erhöhen. Das gilt auch bei der Kohlendioxidspeicherung im Untergrund. Von diesen Erdbeben sehen wir derzeit noch nicht viel, weil kaum Kohlendioxid injiziert wird."
    Bislang machten Firmen oft weiter, bis nicht mehr akzeptable Erdbeben aufträten, erklärt Ernest Majer von der Berkeley Laboratory Earth Science Division. Dann fahren sie ihre Arbeiten zurück oder stoppen sie:
    "Es sollte möglich sein, schon im Vorfeld Gebiete auszuschließen, die aufgrund der tektonischen Verhältnisse eine schlechte Wahl wären. Aber jedes Gebiet kann Risiken bergen, und deshalb ist eine Überwachung notwendig", urteilt Bill Ellsworth. Um nicht erst - wie Ende 2006 bei einem Geothermieprojekt in Basel - zu reagieren, wenn sich die Erdstöße verstärken, entwickeln Forschungseinrichtungen in der Schweiz, Neuseeland und den Vereinigten Staaten derzeit ein Frühwarnsystem. Es soll sich an die jeweils herrschende Situation anpassen. Ernest Majer:
    "Die im Untergrund induzierten Beben werden fortlaufend beobachtet, ebenso die Raten, mit der die Flüssigkeiten verpresst werden oder die Drücke, die sich dabei aufbauen. Diese Daten fließen in statistische Analysen ein, mit denen wir in Echtzeit Veränderungen im Risiko erkennen und die Arbeiten steuern wollen: Pressen wir das Volumen X ein - wie wahrscheinlich ist es, dass wir ein Beben der Magnitude Y auslösen? Jedes kleine Erdbeben verändert das Ergebnis. Wird ein Punkt erreicht, an dem die Erdbeben größer zu werden drohen als zuvor festgelegt, werden die Arbeiten angepasst.
    Gefährliche Erdgasblase im Untergrund
    Eine andere wichtige Maßnahme wäre es, die seismischen Netzwerke für die landesweite Überwachung der Erdbebenaktivität auszubauen und zu verbessern: Dadurch könnten flächendeckend sehr viel kleinere Beben registriert werden, sodass sich Veränderungen im Risiko früher und genauer erkennen ließen. Überraschungen wird es aber immer geben. Das belegt ein Geothermie-Projekt in Sankt Gallen. Dort kannte man nach aufwendigen Analysen den Verlauf der tektonischen Störungen sehr gut - aber man traf auf eine Erdgasblase, die in den Voruntersuchungen nicht zu erkennen gewesen war. Eine nicht ungefährliche Situation. Ernest Majer: "Es bleibt immer ein Risiko. Es wird immer Unsicherheiten geben, und die müssen in die Risikoanalyse einfließen."
    Deshalb sollte vor dem Verpressen von Flüssigkeiten auch festgestellt werden, ob es in dem Gebiet gefährdete oder besonders schützenswerte Gebäude gibt - Krankenhäuser etwa, eine Glasfabrik oder eben eine historische Altstadt wie in Basel. Und gegebenenfalls müsse man dann auch verzichten, so das Fazit der Forscher.