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Erderwärmung
"Es wird viel über Klimaschutz gesprochen, aber wenig gehandelt"

Einem Sonderbericht des Weltklimarats zufolge ist eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad weiterhin möglich - wenn nun schnell weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Nach Ansicht des Klimaforschers Mojib Latif muss die Politik die Rahmenbedingungen für eine technologische Revolution schaffen.

Mojib Latif im Gespräch mit Dirk Müller | 08.10.2018
    Mojib Latif, Vorsitzender des Deutschen Klima-Konsortiums äußert sich am 06.07.2017 vor Beginn des G20-Gipfels in Hamburg zu Klimafakten.
    Klimaforscher Mojib Latif äußert sich zu Folgen des Klimawandels (dpa / picture alliance / )
    Dirk Müller: Paris 2015 – es wird als der große Wurf im Kampf gegen die Erderwärmung gefeiert. Im neuen Klimaabkommen wird erstmals international das Ziel festgeschrieben, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, möglichst aber auf 1,5 Grad. Wie kann das gelingen? Was müssen die Länder, was müssen die Menschen dafür tun? Mit dieser Frage ist der Weltklimarat IPCC beschäftigt. Hunderte Klima- und Meeresforscher, Statistiker, Ökonomen und Gesundheitsexperten werten Tausende Studien aus und sollen Empfehlungen geben, was passieren muss. Mehrere Jahre hat das Ganze nun gedauert. Seit gut drei Stunden liegt die Anleitung für mehr Klimaschutz auf dem Tisch.
    1,5 Grad Celsius wärmer, dann muss Schluss sein. Dies wird im neuen Weltklimabericht jedenfalls noch einmal bestätigt und darin auch ausdrücklich gefordert – unser Thema nun mit dem Klimaforscher Mojib Latif von der Universität Kiel, zugleich auch Präsident des Club of Rome in Deutschland. Guten Morgen!
    Mojib Latif: Guten Morgen.
    Müller: Herr Latif, 1,5 Grad Maximum als Ziel. Hat das Klima selbst da schon etwas von mitbekommen?
    Latif: Es ist extrem schwer geworden, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Wir haben es ja gerade im Bericht gehört. Die Erwärmung hat ja schon eine Marke von gut einem Grad erreicht und im Prinzip müssten jetzt in den nächsten Jahren die weltweiten Emissionen von Treibhausgasen, insbesondere von CO2 rapide sinken. Das ist aber im Moment überhaupt nicht in Sicht. Man hat auch 2017 wieder einen neuen Rekordwert bei den weltweiten Emissionen gehabt. Nur mal zum Vergleich: Seit Beginn dieser Diskussion in der internationalen Politik, seit Beginn der 1990er-Jahre ist der weltweite CO2-Ausstoß förmlich explodiert, um über 60 Prozent gestiegen, und das zeigt eigentlich, wie sehr in der internationalen Klimaschutzpolitik Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen.
    "Technologiewandel kann innerhalb kürzester Zeit passieren"
    Müller: Also gibt es gar keine Klimaschutzpolitik?
    Latif: De facto gibt es zwar eine Klimaschutzpolitik, aber sie ist nicht wirksam, und solange sich die Staaten nicht endlich bemühen, tatsächlich den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken, dann hat all dieses Gerede – das muss ich leider sagen – irgendwie wenig Sinn. Geredet ist jetzt wirklich genug gewesen; jetzt muss man endlich in die Handlungen kommen.
    Müller: Ist das naiv, überhaupt darüber zu reden, dass die Welt dahingehend noch etwas ändern könnte, dass sie tatsächlich 1,5 Grad in irgendeiner Form erreichen kann als Beschränkung, als Grenze?
    Latif: Man muss zum einen die naturwissenschaftliche Sicht sehen. Aus physikalischer und chemischer Sicht ist es noch möglich. Die Frage ist tatsächlich, ist es auch aus politischer Sicht und aus ökonomischer Sicht noch möglich. Ich denke, hier wäre das 1,5 Grad Ziel nur dann noch zu schaffen, wenn es wirklich auch so etwas wie eine technologische Revolution geben würde. Das ist ja in der Vergangenheit schon hin und wieder vorgekommen. Technologiewandel kann innerhalb kürzester Zeit passieren. Ich denke an den Umstieg vom Pferdewagen aufs Automobil, oder der gerade stattfindende Umstieg vom Festnetz aufs Mobil- beziehungsweise Smartphone. Es kann schnell gehen, aber ich denke, da muss die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen setzen, dass das auch passiert, und wir erleben ja gerade in Deutschland, wie schwer das ist.
    Müller: Herr Latif, das ist ein gutes Stichwort. Viele denken jetzt, nach der Bayern-Wahl müssen wir spätestens aufhören zu produzieren, damit das Ganze was wird.
    Latif: Nach der Bayern-Wahl, danach kommt dann die Hessen-Wahl und dann ist immer irgendeine andere Wahl. Das Problem ist, dass praktisch weder die Union, noch die SPD tatsächlich beispielsweise von der Kohle lassen wollen. Ich verstehe das auch, weil da natürlich auch soziale Aspekte eine Rolle spielen. Aber diese Diskussion um das Klima ist ja nicht neu. Hätte man sich vor 30 Jahren beispielsweise schon darüber Gedanken gemacht, wie man den Strukturwandel hinbekommen könnte, dann würden wir heute nicht so belämmert dastehen, und das ist genau das Problem, dass wir immer nur kurzfristig denken. Klima ist etwas Langfristiges, das wird immer auf die lange Bank geschoben, und deswegen passiert auch nie was.
    "Völlig verkehrte Mobilitätspolitik"
    Müller: Reden wir vielleicht jetzt noch nicht über China, Indien, USA, Mexiko, Brasilien, Südamerika, auch große professionelle Emittenten. Sie haben gerade Deutschland ja noch mal genannt. CO2-Ziele, die eigenen gesteckten Ziele deutlich verfehlt. Dann reden wir über Diesel, über Braunkohle, auch über SUVs, über die großen Geländewagen, die immer mehr werden auf den deutschen Straßen. Geht das bei uns völlig in die falsche Richtung und keiner lenkt dagegen?
    Latif: Völlig will ich nicht sagen. Wir haben ja immerhin den Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber 1990 um fast 30 Prozent schon gesenkt. Aber es geht alles nicht schnell genug. Sie haben das Stichwort SUV gebracht. Wir haben praktisch eine völlig verkehrte Mobilitätspolitik gehabt. Wir haben genau auf die falschen Pferde gesetzt. Anstatt dass die Autos immer kleiner werden, wir andere Antriebe unterstützen, sind die Autos immer größer geworden.
    Müller: Aber Sie sagen gehabt. Das ist ja nach wie vor so!
    Latif: Ja, es ist nach wie vor so, und deswegen sage ich ja, es wird sehr viel über Klimaschutz gesprochen, aber es wird sehr wenig gehandelt, und gerade der Verkehrssektor ist immer noch ein Sektor, der einzige Sektor bei uns in Deutschland, bei dem die Treibhausgas-Emissionen immer noch wachsen.
    Müller: Die Politik ist schuld, oder wieviel ist der Mensch selbst schuld?
    Latif: Ich finde es natürlich ein bisschen wohlfeil, nur auf die Politik zu schimpfen, denn am Ende sind alle gefragt, alle gesellschaftlichen Gruppen. Jede Bürgerin und jeder Bürger muss sich schon fragen: Muss ich all das tun, was ich tue? Muss es immer die Fernreise sein, muss es der SUV sein, muss ich jeden Tag Fleisch essen? Ich denke mal, hier muss diese Diskussion auch bei uns in Deutschland noch beginnen, und das Ganze hat natürlich auch etwas mit einer Wertediskussion zu tun. Da sind dann wie gesagt auch Gruppen gefordert wie die Kirchen beispielsweise, diese Diskussion endlich anzustoßen.
    "Bessere Anreize in Skandinavien"
    Müller: Wo läuft es besser als in Deutschland?
    Latif: Es läuft in Skandinavien deutlich besser. Dort werden bessere Anreize geschafft, denn ohne Anreize wird es nicht passieren. In so einer Welt leben wir eben. Wenn wir das Stichwort Elektromobilität nehmen, da kommen wir überhaupt nicht vom Fleck. Aber in einem Land wie Norwegen beispielsweise, da funktioniert das deutlich besser.
    Müller: Was sind das für Anreize, wenn ich unterbrechen darf? Steuerliche Vorteile beispielsweise?
    Latif: Ja, steuerliche Vorteile. In Oslo gibt es beispielsweise eine City-Maut. Das heißt, man darf da gar nicht reinfahren, aber mit einem Elektroauto darf man reinfahren. Man darf sogar die Busspur benutzen. Da gibt es wirklich sehr viele Anreize. Aber bei uns – wir sind ja ein dicht besiedeltes Land, wir sind ja auch nicht so ein großes Land -, da könnte man natürlich sehr viel auch über die Bahn machen, attraktive Bahnangebote auch in der Fläche, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, und all das stockt. Es geht eigentlich genau in die falsche Richtung, auch was den Schwerverkehr angeht, immer mehr auf die Straße, immer weniger auf die Schiene. Das sind alles genau die falschen Dinge, die bei uns passieren.
    Müller: Herr Latif, dann ballen Sie ein bisschen immer wieder die Faust, wenn Sie die ganze Entwicklung sehen. Freuen Sie sich auf der anderen Seite, mal so herum gefragt, über jedes Dieselfahrverbot in Deutschland?
    Latif: Ich freue mich natürlich nicht, weil am Ende ist es ja fast eine Geschichte aus dem Tollhaus, wenn Gerichte die Politik letzten Endes dazu zwingen müssen, die Städte sauber zu machen. Das zeigt ja, dass wir eigentlich nur gewinnen können. Wir können ja durch eine vernünftige Verkehrspolitik auf der einen Seite die Treibhausgase reduzieren, auf der anderen Seite auch die Luftqualität. Das ist möglich und das ist eine Win-Win-Situation, von der alle profitieren, eben auch die Umwelt, und genau diese Win-Win-Situation, die gehen wir überhaupt nicht an.
    "Wichtig, dass es Länder gibt, die vorangehen"
    Müller: Gehen wir aus der deutschen Perspektive noch einmal weg. Das sagen jetzt viele Deutsche, auch Kritiker: Wir reden hier über Details, Dieselfahrverbote und so weiter. Dann gibt es noch Staaten wie China, Indien und die USA. Da brauchen wir uns gar nicht groß anzustrengen. Ist da was dran?
    Latif: Vordergründig ist da natürlich was dran. Wenn wir beispielsweise China nehmen: China mit fast 30 Prozent Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß, das ist natürlich schon mal eine Hausnummer. Verglichen dazu stößt Deutschland absolut betrachtet natürlich eher wenig Treibhausgase aus. Aber das Klima und die Klimaänderung reagiert nicht auf den momentanen Ausstoß, sondern auf den Ausstoß aufsummiert über viele, viele Jahrzehnte, auf den sogenannten kumulativen Treibhausgasausstoß. Die historische Verantwortung, die bemisst man nach dem kumulativen Ausstoß, und da, muss man sagen, haben alleine die Amerikaner 25 Prozent des CO2 in die Luft geblasen, was wir heute dort messen, die Europäer auch noch mal 25 Prozent. Das sind schon 50 Prozent. Wenn wir diese Rechnung aufmachen, dann haben die Chinesen "nur" bisher zwölf Prozent in die Atmosphäre geblasen von dem, was wir da oben messen. Das zeigt auch, wie die Konfliktlinien in der internationalen Politik verlaufen. Die Amerikaner pochen darauf, dass die Chinesen derzeit die größten Verursacher sind, vor den USA, und die Chinesen sagen aber, die historische Verantwortung liegt nicht bei uns, sondern die liegt bei den USA. Da wäre es so wichtig, dass es Länder gibt, die vorangehen und zeigen, dass Wirtschaft, Ökonomie und Ökologie zusammengehören und dass man letzten Endes die Zukunft auch nur gestalten kann und damit auch den Wohlstand sichern kann, wenn man beides macht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.