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Erhängter Terrorverdächtiger
"Fehlerkette" im Fall Al-Bakr

Dass sich der terrorverdächtige Jaber Al-Bakr im Leipziger Gefängnis erhängen konnte, war nach Ansicht einer Expertenkommission Folge mehrerer Fehler. Staatsanwälte und Gerichte hätten die Vollzugsbeamten nicht ausreichend über die Suizidgefahr informiert. Dass Al-Bakr zuvor überhaupt entkommen konnte, lag auch daran, dass es keinen funktionsfähigen Führungsstab gegeben habe.

Von Bastian Brandau | 24.01.2017
    HANDOUT - In Zusammenhang mit den bei der Durchsuchung einer Wohnung in Chemnitz (Sachsen) gefundenen Sprengstoffspuren gibt die Polizei am 08.10.2016 dieses Foto des gesuchten Syrers Dschaber Al-Bakr zur Öffentlichkeitsfahndung heraus.
    Fahndungsfoto des terrorverdächtigen Syrers Dschaber al-Bakr (picture alliance / dpa / Polizei Sachsen, Christian Zander)
    Eine "Kultur der Verantwortlichkeit" bei den Behörden wünscht sich der Vorsitzende der Expertenkommission zum Fall Al-Bakr, Herbert Landau, bei der Verfolgung islamistischen Terrors in Deutschland. Ausdrücklich lobte der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht die Arbeit des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums GTAZ, das am 7. Oktober die relevanten Informationen über Jaber Al-Bakr und seine Anschlagspläne mit den Landes- und Bundesbehörden ausgetauscht hatte. Dann aber sei die Entscheidung gefallen, dass die sächsische Polizei Al-Bakrs festnehmen solle.
    "Dann hätten wir erwartet, dass eine Kultur der Verantwortungsübernahme das Bundeskriminalamt veranlasst, in dieser schwierigen Situation zumal entsprechende Hinweise auch von sächsischen Beamten gegeben worden sind, Beamte des VS auch den GBA aufgefordert haben, dann hätten wir vom BKA erwartet, dass es von seiner Ermessensvorschrift nach Paragraph vier Gebrauch gemacht hätte."
    Festnahme Al-Bakrs geriet zur Panne
    Auch der Generalbundesanwalt hätte hier schon die Ermittlungen übernehmen sollen. Sowohl für ihn als auch das BKA sei dies allerdings vom Gesetz her Ermessenssache gewesen. Die von der sächsischen Polizei geplante Festnahme Al-Bakrs geriet zur Panne. Dabei seien gleich "eine Reihe von Fehlern" begangen worden:
    "Durchgängig bestand kein funktionsfähiger Führungsstab. Sie müssen sich das so vorstellen, dass Sie für solche Großlagen Stäbe brauchen, die zwischen 30, zum Teil 40 Personen umfassen, um alle Bereiche der Ermittlungen, der Vor-, der Nachsorge, der Information, der Fahndung abdecken zu können. Hier hat nach der Entscheidung der sächsischen Behörden das Landeskriminalamt die Aufgabe übernommen, den Fall zu lösen. Dort gab es nur eine Führungsgruppe, die nur aus wenigen Beamten bestand und die nicht auch durchgängig besetzt war."
    Das führte zu gravierenden Kommunikationsproblemen, etwa als eine Beamtin des Mobilen Einsatzkommandos Al-Bakr vor dem Wohnhaus identifiziert hatte, nicht alle Einheiten aber über dasselbe Funksystem kommunizierten. So konnte Al-Bakr nach Leipzig entkommen, wo ihn schließlich drei Syrer überwältigten und der Polizei übergaben. In der Justizvollzugsanstalt Leipzig nahm er sich zwei Tage später das Leben.
    Suizidgefahr wurde vernachlässigt
    Die beteiligten Beamten in der JVA hätten Informationen über Al-Bakr nicht oder zu spät erhalten, heißt es von der Untersuchungskommission. Al-Bakr sei im weißen Overall eingeliefert worden, begleitet von drei Fahrzeugen des Sondereinsatzkommandos, sagte Katharina Bennefeld-Kersten, Psychologin und Vorsitzende der Bundesarbeitsgruppe "Suizid im Vollzug":
    "So dass eigentlich die Suizidgefahr erst einmal ziemlich vernachlässigt wurde und Sicherheit ein ganz großes Gewicht hatte. Das ist verständlich. Herr Al-Bakr war der erste verhinderte Suizid-Attentäter, den wir sozusagen kurz vor Vollendung seiner Tat in Haft hatten. Und da sind die Bundesländer nicht drauf eingerichtet und natürlich auch Sachsen nicht."
    Für den Justiz-Vollzug rät die Kommission dem Bundesland, eine Videoüberwachung in Gefängniszellen zu überprüfen, wie sie in anderen Bundesländern möglich ist. Auch den Einsatz von Video-Dolmetschern solle Sachsen prüfen. Für die Zusammenarbeit zwischen Bundes- und Landesbehörden regt die Kommission an, den Paragrafen 89a im Strafgesetzbuch, der die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ahndet, zu überprüfen und die Bundesanwaltschaft verpflichtend einzubinden.