Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Erhöhung der Militärausgaben
Wie Japan die Olympischen Spiele politisch nutzen will

Olympische Spiele gelten als Fest der Völkerverständigung und des Friedens. Aber die Gastgeberorte nutzen die Spiele auch gern dazu, die innere Sicherheit und das Militär zu stärken. Das zeigt sich auch in Japan, das offiziell gar kein Militär hat, aber seit Jahren seine Verteidigungsetats steigert

Von Felix Lill | 19.06.2021
Tokyo Olympic torch relay Japanese Prime Minister Yoshihide Suga speaks to reporters at his office in Tokyo on March 25, 2021, alongside Tokyo 2020 Olympic and Paralympic mascots, Miraitowa and Someity. The torch relay for the Tokyo Games started the same day in Japan s northeastern prefecture of Fukushima. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY
Japans Premierminister Yoshihide Suga mit den Maskottchen der Olympischen Spiele in Tokio. (IMAGO / Kyodo News)
Wenn man in Japan Menschen fragt, was sie sich für die Welt wünschen, hört man immer wieder das Wort: "heiwa." Japanisch für Frieden. Im ostasiatischen Land, das im Zweiten Weltkrieg an der Seite Deutschlands kämpfte, sind viele stolz darauf, Pazifisten zu sein. Die Ablehnung von Krieg ist sozusagen Staatsräson: Das japanische Volk verzichte für alle Zeiten auf den Krieg, heißt es in Artikel 9 der Verfassung, die die siegreichen USA nach 1945 geschrieben haben. Und weiter: "Um das Ziel des vorhergehenden Absatzes zu erreichen, werden keine Land-, See- und Luftstreitkräfte oder sonstige Kriegsmittel unterhalten. Ein Recht des Staates zur Kriegführung wird nicht anerkannt."
Was das mit Sport zu tun hat? Viel, sagen Kritiker der Regierung und der Tokioter Olympiaorganisatoren. Zu ihnen gehört Eiichi Kido, Politologieprofessor der Universität Osaka. Olympia als Fest der Völkerverständigung werde auch dazu instrumentalisiert, Japan militärisch zu stärken:
"Die Absicht der japanischen Obrigkeit ist von Anfang an klar, die Olympischen Spiele zu missbrauchen, und zwar, um das Land kriegsfähig zu machen. Seit dem Ende des Kalten Krieges gibt es immer wieder Versuche, den pazifistischen Verfassungsartikel 9 zu ändern. Stichwort: Ein normaler Staat zu sein. Was heißt normal? Das heißt, Kriegsmittel zu besitzen. Und natürlich auch kriegsfähig zu sein. Das ist in ihrem Sinne normal. Und das kommt natürlich nicht nur von japanischen Konservativen. Sondern das verlangen auch die USA."

Territorialstreitigkeiten mit China

Die regierenden Konservativen in Japan halten die Pazifismusklausel in der Verfassung für überholt. In der Nachbarschaft befindet sich mit Nordkorea ein unberechenbarer Staat, von wo immer wieder Raketentests gemeldet werden. Dann ist da noch China, das nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch aufstrebt. Neben vielen anderen Ländern hat auch Japan Territorialstreitigkeiten mit China, inklusive militärischen Provokationen.
So würde Japans Regierung den Artikel 9 gerne streichen oder umschreiben. Und das sollte eigentlich im ursprünglich geplanten Olympiajahr 2020 geschehen. Im Jahr 2019 sagt der damals regierende nationalistische Premierminister Shinzo Abe hierzu: "Ich habe gesagt, dass ich 2020 zu dem Jahr zu machen will, in dem eine neue Verfassung in Kraft tritt. An diesem Wunsch hat sich nichts geändert."
Das Deckblatt des Playbook zeigt Grafiken mit Schiedsrichter-Figuren.
Warum viele Medien nicht in Tokio dabei sind
Die Olympischen Spiele sind nicht nur für Sportlerinnen ein Highlight. Auch unter Medienschaffenden ist das Gerangel um Akkreditierung normalerweise groß. Diesmal aber ist das anders.
Zwei Jahre zuvor sagte Abe: "2020 ist das Jahr, in dem wir die Olympischen und Paralympischen Spiele von Tokio veranstalten. Ich möchte, dass dieses Jahr eine Wiedergeburt Japans markiert."
Denn die Olympischen Spiele sollten vieles bieten. Abe und seine Liberaldemokratische Partei haben jahrelang versprochen, dass "Tokyo 2020" einen Wirtschaftsaufschwung bringen würde. Außerdem wurden Parallelen zu den Tokioter Spielen von 1964 bemüht: damals, zwei Jahrzehnte nach der Kriegsniederlage 1945, stärkte Olympia in der japanischen Gesellschaft den Nationalstolz. Und so sollte es auch diesmal sein.

Regierung trieb "Normalisierung des japanischen Staats" voran

Und während vor Beginn der Pandemie die allgemeine Vorfreude auf "Tokyo 2020" groß war, nutzte die Regierung die Gunst der Stunde, um auch ohne Verfassungsreform die gewünschte "Normalisierung des japanischen Staats" etwas voranzutreiben.
Raymond Yamamoto, Politikprofessor an der Universität Aarhus und Experte für Außen- und Sicherheitspolitik, beobachtet: "Die Militärausgaben 2020 lagen bei 5,3 Billionen Yen. Umgerechnet sind das 42 Milliarden Euro. Das war knapp unter 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nach dem neuen Budgetvorschlag der Regierung Suga soll das Militärbudget 2021 erhöht werden. Gegenüber dem Vorjahr wäre das eine Erhöhung von 0,5 Prozent. Damit wäre es die neunte Erhöhung in Folge. Also wenn man die absolute Erhöhung sich anschaut, ist es nicht sonderlich hoch. Aber klar, es ist nicht zu leugnen, dass ein leichter kontinuierlicher Anstieg seit 2012 stattfindet. Im Allgemeinen kann man schon sagen, dass die Öffentlichkeit skeptisch gegenüber einer drastischen Erhöhung des Militärbudgets steht."
May 4, 2021, Tokyo, Japan: A couple wearing facemasks as a preventive measure against COVID19 is seen next to the Olympic symbols of the five interlaced rings near the National Stadium in Tokyo. Tokyo Japan - ZUMAs197 20210504_zaa_s197_100 Copyright: xJamesxMatsumotox
Sponsoren für ein unbeliebtes Sportevent?
Die Spiele in Japan sind schon lange nicht mehr populär. Für die Sponsoren der Spiele könnte das einen Imageschaden bedeuten. Dennoch bleiben die meisten Geldgeber an Bord. Warum?
Eben weil die japanische Öffentlichkeit von heute skeptisch ist gegenüber einer stärkeren Militarisierung des japanischen Staats, konnte die Regierung die Verfassung bis heute nicht umschreiben. In einer dafür nötigen Volksabstimmung hätte wohl eine Mehrheit dagegen votiert. Und jetzt, wo die Olympischen Spiele in der Pandemie höchst unbeliebt geworden sind, bestehen für die Konservativen auch kaum noch Hoffnungen, dass ein patriotisches Olympiagefühl für einen Sinneswandel sorgen würde.

Regierung hat andere Gesetze verabschiedet

Doch mit ihrer Parlamentsmehrheit hat die Regierung andere Gesetze verabschiedet, die zumindest innenpolitisch für ein stärkeres Sicherheitsgefühl sorgen sollen.
Politikwissenschaftler Eiichi Kido fällt eine ganze Reihe solcher Gesetze ein. Seit 2013 bestraft ein Gesetz Whistleblower, seit 2014 sind Waffenexporte im Grunde erlaubt und ebenfalls 2014 erklärt Abe, dass Japan jederzeit und überall militärisch an der Seite der USA präsent sein dürfe. "Und 2017 hat er wiederum so ein Gesetz durchgesetzt. Mit dem Gesetz wird man bestraft, wenn man irgendeine Anti-Kriegsaktion geplant hat. Nicht durchgeführt, sondern nur geplant hat. Also vielleicht rede ich mit Ihnen: 'Wollen wir vielleicht die Abe-Regierung stürzen?' Das ist schon strafbar. Also, Schritt für Schritt ist Abe den Weg gegangen, Japan kriegsfähig zu machen."
Was das alles mit der olympischen Idee von Völkerverständigung und Frieden zu tun hat? Auf eine entsprechende Anfrage hierzu gibt es vom Organisationskomitee bisher keine Antwort.