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Ermittlungen in Dortmund
"Den Rechtsextremismus nicht unterschätzen"

Nach dem Anschlag auf die Spieler von Borussia Dortmund warnt der Bund Deutscher Kriminalbeamter vor einer zu frühen Festlegung auf ein islamistisches Tatmotiv. Bisher sei nur sicher, dass es sich um einen terroristischen Akt gehandelt habe, sagte NRW-Chef Sebastian Fiedler im DLF. Der Blick nach rechts dürfe nicht vernachlässigt werden.

Sebastian Fiedler im Gespräch mit Doris Simon |
    Der Mannschaftsbus von Borussia Dortmund auf dem Trainingsgelände des BVB
    Der Mannschaftsbus von Borussia Dortmund auf dem Trainingsgelände des BVB. (picture alliance /dpa / Marius Becker)
    Er gehe fest davon aus, dass auch der Rechtsextremismus ein weiterer Ermittlungsstrang sein müsse, betonte Fiedler. Die Vergangenheit habe gelehrt, diesen Bereich nicht zu unterschätzen.
    Die Bundesanwaltschaft ermittelt nach dem Anschlag mit zwei Verletzten nach eigenen Angaben in alle Richtungen und erklärte ebenfalls, es sei bislang nicht erwiesen, dass die Tat islamistisch motiviert war. Ein 25-jähriger Iraker ist in Gewahrsam. Er soll Kontakt zur Terrormiliz IS gehabt haben.
    Bundesinnenminister Thomas de Maizière sicherte mehr Anstrengungen im Anti-Terror-Kampf zu. Das freiheitliche Leben in Deutschland müsse geschützt werden. Der CDU-Politiker äußerte sich in Dortmund am Rande des Champions-League-Nachholspiels des BVB gegen AS Monaco.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Polizei bei Fußballspielen, das ist nichts Besonderes. Aber das Aufgebot gestern Abend in Dortmund und auch in München, das war schon auffallend. Die Polizisten waren besonders gerüstet und geschützt. Kein Wunder, einen Tag nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus von Dortmund und nach der weiterhin offenen Frage, wer war’s und wogegen richtet sich eigentlich der Anschlag genau. Sicher ist nur, dass die Bundesanwaltschaft einen Mann aus der Islamistenszene vorläufig hat festnehmen lassen. In Karlsruhe hält man einen islamistischen Hintergrund für "möglich", geht von einer terroristischen Tat aus. – am Telefon ist jetzt Sebastian Fiedler, Vizevorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter. Guten Morgen!
    Sebastian Fiedler: Guten Morgen!
    Simon: Herr Fiedler, gibt es für Sie Hinweise oder Muster, die diese These stützen?
    Fiedler: Ja, natürlich gibt es Hinweise. Man könnte sich jetzt ganz profan auf dieses inzwischen schon ja öffentlich bekannte Bekennerschreiben stützen, in dem ja zumindest, na ja, mehr oder weniger offiziell durch die Täter mindestens dieser Anschein erweckt werden soll. Aber mein Petitum, ich sage mal, in den letzten Stunden und Tagen lautet wirklich, sich auch öffentlich nicht auf eine solche Sichtweise festzulegen, weil nach allem, was man so aus den Ermittlungskreisen hört, gibt es noch keine Hinweise darauf, die wirklich eine solche Festlegung aus Sicht der Ermittlungen ermöglichen. Und im Grunde, anders herum ausgedrückt, wäre das zu einem frühen Zeitpunkt auch wirklich ein Kardinalfehler. Ein bisschen, glaube ich, hat die Pressekonferenz der Bundesanwaltschaft das vermuten lassen, obgleich es vielleicht ein bisschen zu früh wäre.
    "Natürlich ist im Moment noch alles denkbar"
    Simon: Sie sagen, den Anschein hat es. Es gab ja auch ein angebliches Bekennerschreiben extremer Linker im Internet. Da sagt die Bundesanwaltschaft, das nehmen wir nicht ernst. Wie oft haben Sie es eigentlich bei solchen Taten mit Nachahmern, mit Mitläufern, vielleicht ja mit Ablenkungsmanövern zu tun?
    Fiedler: Wie oft, da kann ich Ihnen keine absolute Zahl sagen. Aber das ist natürlich immer ein gewisses Risiko, was wir hier haben, und es macht natürlich jetzt ein bisschen ein ungutes Gefühl, glaube ich, auch in der öffentlichen Debatte aus, dass man sich jetzt in den Diskussionen nicht wirklich auf eine Richtung konzentrieren kann. Für uns ist das mehr oder weniger an der Tagesordnung, weil wir immer versuchen, uns alle Ermittlungsrichtungen offenzuhalten, und erst dann, wenn sich tatsächlich beweiskräftig darlegen lässt, in welcher Richtung die Ermittlungen weiter zu forcieren sind, dann tun wir das auch. Ich glaube, das macht die öffentliche Debatte jetzt wie gesagt so hinreichend schwierig. Wir können ganz allgemein sicherlich über einen terroristischen Akt sprechen, wissen aber noch nicht, ob er von links kommt, ob er von rechts kommt, ob er aus gewalttätiger Fußballecke kommt oder aus dem Islamismus oder sogar möglicherweise noch aus einer ganz anderen Richtung. Fest steht jedenfalls nur, dass wir es mit einem durchaus ernst zu nehmenden Anschlag zu tun hatten.
    Simon: Ist es denn denkbar, dass die Polizei bewusst auf eine falsche Fährte gelockt werden sollte?
    Fiedler: Ja selbstverständlich! So wie Ihre Frage schon formuliert ist. Natürlich ist im Moment noch alles denkbar, und das ist eine der Varianten. Insbesondere deswegen natürlich, weil wir aus dem islamistischen Bereich jedenfalls eine solche Form von Bekennerschreiben in dieser Art und Weise bisher eigentlich nicht kennen.
    Auf der anderen Seite steht wiederum die Erkenntnis darüber, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass wir auch aus der islamistischen Ecke heraus es immer mal wieder mit neuen Tatbegehungsweisen zu tun haben werden in der Zukunft und uns auch da nicht so richtig festlegen dürfen. Wir haben erst in der letzten Woche zur Kenntnis nehmen müssen, dass meine Kolleginnen und Kollegen zu einem potenziellen Anschlagsziel auserkoren worden sind, indem Messerangriffe im Netz erklärt werden, wie man einen Polizisten ablenkt und ihn absticht. Das sind alles neue und weitere Tatbegehungsmuster, die insgesamt natürlich nicht zu einem positiven Stimmungsbild in der Bevölkerung beitragen können.
    "Hinter den Kulissen eine größtmögliche Sicherheit herstellen"
    Simon: Vor Ort in Dortmund wird ja immer auf den dort auch vorhandenen radikalen Rechtsradikalismus verwiesen. Gehen Sie davon aus, dass die Bundesanwaltschaft auch in diese Richtung ermittelt?
    Fiedler: Ja, da gehe ich ganz fest sogar von aus, dass das ein weiterer Ermittlungsstrang sein muss, nicht nur wegen der Dortmunder örtlichen Nähe, sondern weil uns natürlich auch die Vergangenheit gelehrt hat, dass wir insbesondere den Rechtsextremismus nicht zu unterschätzen haben und durchaus sehr perfide Gedankenströme dort vorhanden sind und deswegen allein schon dieser Themenbereich nicht ausgespart wird.
    Simon: Wenn wir noch mal auf den Sport gucken, der ja damit vor allem getroffen worden ist. Der Anschlag war extrem gefährlich. Es wurde ein Polizist neben dem Dortmunder Verteidiger Marc Bartra auch verletzt. Es hätte viel schlimmer kommen können, das hat die Bundesanwaltschaft gestern klargemacht. Dementsprechend gestern ganz viel Polizeipräsenz. Das allein verhindert aber auch keine weiteren Anschläge beim Sport. Müssen wir uns darauf einrichten, dass es demnächst dort so zugeht wie bei Staatsbesuchen?
    Fiedler: Das will ich nicht unbedingt sagen. Zum einen ist es so, dass wir, glaube ich, schon einen recht hohen Sicherheitsstandard haben. Zum anderen kommt natürlich hinzu, dass Sie wissen müssen, dass wir in dem Bereich der kriminalpolizeilichen Ermittlungstätigkeit, aber auch natürlich, was die Nachrichtendienste angeht, erhebliche Ressourcen in den Bereich des polizeilichen Staatsschutzes, was die Polizei angeht, verschoben haben und insoweit natürlich bemüht sind, auch hinter den Kulissen eine größtmögliche Sicherheit herzustellen. Jetzt will ich aber nicht den viel gesprochenen Satz wiederholen, dass wir uns insgesamt natürlich darauf einstellen müssen, in nicht so ganz mehr sicheren Zeiten zu leben.
    Simon: …, was Sie gerade tun.
    Fiedler: Ja, ja, genau. Sie hören ja immer mal wieder, hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Das gerät ja inzwischen schon zur Plattitüde. Aber auf der anderen Seite glaube ich und man kann gar nicht hoch genug anrechnen, dass die Dortmunder Spieler tatsächlich jetzt ihr Spiel auch durchgezogen haben …
    "Wir müssen unsere Nachrichtendienste stärken"
    Simon: Und verloren haben.
    Fiedler: Na ja, gut. Klar, das ist die sportliche Komponente. Aber ich will mal sagen, die zivilgesellschaftliche Komponente, das ist nun die, die kann man vergleichen mit jemandem, der vom Pferd fällt und möglichst schnell wieder aufsteigt, um sich den Spaß am Reiten nicht zu verderben. Das Bild mag durchaus tragen, bezogen auf die gesamte Gesellschaft, weil egal aus welcher Ecke der Terror nun gekommen sein mag, die Gesellschaft insgesamt muss deutlich machen, dass sie in ihrem Leben sich nicht beeinflussen lässt davon, und dazu gehört natürlich als eine Komponente auch der Sport, der als freiheitliches Vergnügungsfeld natürlich weiterhin uns so erhalten bleiben muss und erhalten bleiben sollte und den wir uns von terroristischen Aktivitäten selbstverständlich nicht madig machen dürfen.
    Simon: Herr Fiedler, es gab ja auch gestern ganz viele und auch anderswo bewegende Szenen nach dem Motto, wir lassen uns von euch nicht einschüchtern. Aber so a la longue, ist das denn wirklich so? Besteht da nicht die Gefahr, dass sich in eins der größten Freizeitvergnügen gerade in Deutschland doch irgendwo die Angst einschleicht und Überlegungen wie, mit den Kindern gehe ich dann besser doch nicht ins Stadion?
    Fiedler: Das darf nicht passieren! Und wenn Sie diese Überlegung zulassen, dann müssen Sie die übertragen auf alle Volksfeste, auf alle Schützenfeste, auf alle Kirmesveranstaltungen und Ähnliches mehr. Und wenn Sie diesen Gedanken zu Ende führen, dann erkennen Sie sehr, sehr schnell, dass die Gesellschaft sich hier stärken muss und dass wir tatsächlich diese positiven Bilder, die wir gestern gesehen haben, gar nicht oft genug wiederholen können und müssen die in den Vordergrund stellen. Und auf der anderen Seite – das ist eher unsere Baustelle – müssen wir zusehen, dass die Kriminalpolitik so aufgestellt wird, dass wir auch, was Ermittlungskomponenten betrifft, wirklich gut aufgestellt sind, bei der Kripo, und andererseits auch eine weitere Debatte, die wir in der Zukunft noch führen müssen, unsere Nachrichtendienste ebenfalls auch stärken müssen, um hier einen größtmöglichen Schutz und eine größtmögliche freiheitliche Lebensgestaltung der Bevölkerung auch aufrecht erhalten zu können.
    Simon: Sebastian Fiedler, der Vizevorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter. Herr Fiedler, vielen Dank für das Interview.
    Fiedler: Sehr gerne.
    Simon: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.