Donnerstag, 25. April 2024

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Ernährung des Urmenschen
Forscherin: Neandertaler aßen fast 100 Prozent Fleisch

Neandertaler haben sich hauptsächlich von Fleisch ernährt, so eine Studie von Forschern des Leipziger Max-Planck-Institut. Den Speiseplan von Urmenschen zu erforschen sei wichtig, weil Ernährung und Evolution zusammenhingen, sagte Klervia Jaouen, Mitautorin der Studie, im Dlf.

Klervia Jaouen im Gespräch mit Lennart Pyritz | 19.02.2019
    Urmenschen bei der Höhlenbaerenjagd, Vor- und Frühgeschichte: Eiszeit, Zeit des Neandertalers, letzte Zwischeneiszeit. Farbdruck (Schulwandbild) nach einem Gemälde, 1937, von F. Roubal.
    Auf der Jagd nach Fleisch: Neandertaler erlegen einen Bären - nach einem historischen Schulbild (picture-alliance / akg-images)
    Lennart Pyritz: Fast nur Mammuts und Rentiere oder auch ein großer vegetarischer Anteil mit Früchten, Datteln und Grassamen? Die Frage, welchen Anteil Fleisch und welchen pflanzliche Kost bei der Ernährung von Neandertalern gespielt haben, wird in der Wissenschaft seit langem kontrovers diskutiert und könnte den Blick auf die Evolution der Urmenschen verändern. Eine Studie im Fachmagazin "PNAS" liefert jetzt neue Einblicke in den Speiseplan der Neandertaler und ergänzt so die Diskussion, welche Position die Urmenschen im Nahrungsnetz eingenommen haben. Vor der Sendung habe ich mit einer der Studienautorinnen telefoniert - Klervia Jaouen vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Ich habe sie zuerst gefragt, warum es eigentlich so wichtig ist zu wissen, was die Neandertaler gegessen haben.
    Klervia Jaouen: Also meiner Meinung nach ist es wichtig, weil Ernährung und Evolution eng zusammenhängen. Es gibt zum Beispiel eine Vermutung, dass die Urmenschen im Verlauf der Evolution mehr und mehr Fleisch gegessen haben, und dann brauchten sie kleinere Därme, und so hatten sie mehr Energie, um größere Gehirne zu entwickeln.
    Fleischfresser lagern mehr schwere Isotope ein
    Pyritz: Sogenannte Isotopenuntersuchungen geben Hinweise darauf, wie sich Neandertaler ernährt haben. Vielleicht können Sie ganz kurz beschreiben, was sind Isotope, und warum erlauben die Rückschlüsse auf die Ernährung von Menschen?
    Jaouen: Also Isotope sind verschiedene Versionen von einem Atom eines Elements. Es gibt schwere und leichte Isotope, zum Beispiel für Stickstoff, und die Schweren sind einfach schwer, weil sie mehr Neutronen haben. In der Untersuchung von stabilen Isotopen messen wir die Verhältnisse von leichten und schweren Isotopen in verschiedenen Materialien. Also in Pflanzen gibt es mehr leichte Stickstoff-Isotope als in Fleisch oder Fisch, und das hängt mit der Nahrungskette zusammen. Jeder lebende Organismus, egal ob Pflanze oder Tier, lagert bevorzugt schwere Isotope ein, und das führt dann dazu, dass ein Fleischfresser viel mehr schwere als leichte Isotope hat als eine Pflanze. Ein Wolf zum Beispiel hat schon viel Rehe gegessen, die viele Pflanzen gegessen hatten. Also ganz generell kann man sagen, je höher ein Organismus in der Nahrungskette steht desto mehr schwere als leichte Isotope.
    Schädel eines Neandertalers im  Neanderthalmuseum in NRW.
    Fleischfresser: Schädel eines Neandertalers im Neanderthalmuseum (picture alliance / Boensch)
    Pyritz: Welche Vermutungen gab es denn vor Ihrer Studie, Ihrer aktuellen Studie jetzt anhand solcher Isotopenanalysen zum Fleischkonsum von Neandertalern?
    Jaouen: Also vor unserer Studie wussten wir schon, dass die Neandertaler Fleischfresser waren, aber es gab eine Diskussion, weil bei ihnen das Isotopverhältnis anders ist als bei anderen Fleischfressern, zum Beispiel Wölfen oder Hyänen. Es gibt verschiedene Ideen, warum das so ist. Es könnte am Mammutkonsum liegen oder am Konsum von verdorbenem Fleisch, aber bei einer Neandertalerin von unserer Studie war es noch mal anders. Ihr Wert war sogar noch höher als sonst bei Neandertalern. Es war sogar der höchste Wert, den man überhaupt bei Neandertalern kennt.
    Neandertalerin aus Les Cottés untersucht
    Pyritz: Sie haben jetzt für die aktuelle Studie Isotope in Gewebeproben von zwei Neandertalern und auch von Tieren untersucht, um so eine Art Nahrungsnetz zu rekonstruieren. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
    Jaouen: Auch Umweltfaktoren beeinflussen die Verhältnisse von schweren und leichten Isotopenpflanzen. Das bedeutet, dass manchmal ein Pflanzenfresser und ein Fleischfresser von zwei verschiedenen Orten ähnliche Verhältnisse haben. Deshalb haben wir eine neue Methode für unsere Studie benutzt. Statt dem ganzen Kollagen haben wir die einzelnen Aminosäuren getrennt voneinander analysieren lassen, denn es ist so, das Isotopverhältnis wird bei Aminosäuren durch Umweltfaktoren beeinflusst, aber nur bei ein paar Aminosäuren durch die Position in der Nahrungskette. Dann können wir genau wissen, was die Neandertaler gegessen haben.
    Pyritz: Was waren die Ergebnisse, also auf welchen Speiseplan der Neandertaler verweisen Ihre Befunde?
    Jaouen: Also wir haben eine Neandertalerin aus der Fundstelle Les Cottés analysiert und ein Neandertalerbaby aus Grotte du Renne. Die Neandertalerin war eine Fleischfresserin, also sie hat Pflanzenfresser gegessen - Rentiere wahrscheinlich. Das Baby, da können wir sehen, dass seine Mutter auch eine Fleischfresserin war, aber der Wert dieses Babys sehr hoch war, weil er ein Baby ist. Also mit Isotopen sieht es so aus, dass ein Baby quasi seine Mutter aufisst, aber natürlich ist es nicht so. Es ist einfach, dass dieses Baby die Muttermilch getrunken hat.
    Isotopische Analyse gilt nur für Westeuropa
    Pyritz: Kann man denn ungefähr Rückschlüsse ziehen, wie viel Prozent das Fleisch sozusagen bei der Ernährung der Mutter ausgemacht hat? Also hat sie nur Fleisch gegessen oder auch pflanzliche Nahrung?
    Jaouen: Also es gab vor unserer Studie ein Beispiel, wo man sagen könnte, es war ungefähr 80 Prozent Fleisch und 20 Prozent Pflanze, und in unserer Studie sieht es aus wie 100 Prozent Fleisch, aber wahrscheinlich gab es auch ein bisschen Pflanze. Also alle Fleischfresser essen ein bisschen Pflanzen, zum Beispiel Katzen.
    Pyritz: Das ist ja eine kleine 'sample size', eine kleine Probe aus einem bestimmten Gebiet, also eine Mutter und ein Neandertalerbaby. Kann es sein, dass sozusagen in anderen Gebieten sich die Neandertaler auch anders ernährt haben und zum Beispiel mehr Pflanzen gegessen haben.
    Jaouen: Also es stimmt, mit dieser isotopischen Analyse haben wir das für die letzten Neandertaler und nur in Westeuropa. Also, ja, vielleicht ist es möglich, dass die Neandertaler in anderen Regionen etwas anderes gegessen haben. Wir können das nicht wissen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.