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Erneuter Streit um Gesundheitsreform

Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Daniel Bahr, hat die erneute Diskussion über die Gesundheitsreform positiv bewertet. Die CSU habe eine Fehlentwicklung erkannt, die nun korrigiert werden könne. Bahr sieht Übereinstimmungen zwischen den gesundheitspolitischen Konzepten von FDP und CSU: Jetzt komme es darauf an, was die CSU konkret vorlege.

Daniel Bahr im Gespräch mit Stefan Heinlein | 27.03.2009
    Stefan Heinlein: Politische Geschlossenheit in der Krise - der mahnende Appell von Horst Köhler ließ nichts an Deutlichkeit vermissen. Doch die Worte des Bundespräsidenten scheinen ungehört zu verhallen. Nur wenige Tage nach der "Berliner Rede" ist der Politbetrieb in der Hauptstadt wieder auf Normaltemperatur. Von Geschlossenheit der Koalition keine Spur. Abermals ist es die CSU, die Koalition und Kanzlerin das Leben schwer macht. Es brauche einen grundlegenden Neuanfang in der Gesundheitspolitik, so die Kampfansage aus Bayern.

    Am Telefon begrüße ich nun den gesundheitspolitischen Sprecher der FDP, Daniel Bahr. Guten Tag, Herr Bahr!

    Daniel Bahr: Guten Tag, Herr Heinlein.

    Heinlein: Haben Sie sich schon bei Markus Söder bedankt, dass er Ihnen die Arbeit abnimmt und die Gesundheitspolitik der Bundesregierung öffentlich zerpflückt?

    Bahr: Ich freue mich zumindest, so wie es ein Sprichwort sagt bei der Kirche, über jeden reuigen Sünder mehr als über 100 Gläubige, aber Herr Söder ist schon ein Fall von politischer Demenz, denn er hat es ganz vergessen, dass er selbst es war als CSU-Generalsekretär, der im Kanzleramt saß und all die Details der Gesundheitsreform in der Spitzengruppe nächtelang mit Herrn Seehofer, Frau Schmidt, Herrn Stoiber, Frau Merkel, Herrn Kauder verhandelt hat. Das heißt, er trägt Mitverantwortung.

    Ich habe den Eindruck, dass viele in der CDU und auch in der CSU jetzt erst merken, was sie seinerzeit beschlossen haben und wie es dann von Frau Schmidt geschickt, raffiniert gemacht umgesetzt worden ist, so dass CDU und CSU erst jetzt merken, dass daraus ein sehr, sehr stark SPD-geprägtes Gesetz geworden ist.

    Ich freue mich, dass die CSU, wenn auch spät, aber wenigstens die Fehlentwicklungen darin erkannt hat. Das gibt uns die Gelegenheit, diese falsche Richtung schnellstens zu korrigieren. Ich bin nur gespannt, was die CSU jetzt konkret vorlegt, denn bisher sind das alles nur Worthülsen, was Herr Söder heute Morgen bei ihnen im Interview gebracht hat.

    Heinlein: Ein Chaos, so sagt Markus Söder. Wir haben es gerade noch einmal gehört. Stimmen Sie denn inhaltlich der CSU-Kritik an der Gesundheitsreform in vollem Umfang zu?

    Bahr: Im Prinzip ja. Wir haben als FDP die letzten drei Jahre ja immer wieder auf diese Fehlentwicklungen hingewiesen und haben gesagt, dass der Gesundheitsfonds besser nicht kommen soll, man musste den verhindern. Dazu war die CSU nicht bereit - und auch CDU und SPD nicht.

    Dann haben wir gesagt, dann macht doch wenigstens eine Erprobungsphase, weil wirklich keiner voraussehen konnte, wie sich die Auswirkungen konkret in den Regionen, auf die einzelnen Arztgruppen, auf die Patienten zeigen. Sie müssen sich vorstellen, das ist ja alles zum ersten Januar auf einmal gekommen: der Einheitskrankenkassenbeitrag für alle Krankenkassen gleich, die Einführung des Gesundheitsfonds, die Einführung eines neuen Ausgleichverfahrens zwischen den Krankenkassen, wie das Geld umverteilt wird, nach Krankheitsbildern, dann die ärztliche Honorarreform und Auswirkungen für die Krankenhäuser.

    Also so etwas von heute auf morgen umzusetzen, quasi gegen den Sachverstand, gegen den Rat eigentlich aller im Gesundheitswesen es durchzupeitschen, wie das die Koalition gemacht hat, das war einfach nur noch irre. Das war klar, dass das zu Chaos führt. Deswegen haben wir davor gewarnt und gesagt, macht das in einer Erprobungsphase, dass man erst mal sich die Auswirkungen anschaut.

    Da war leider die Koalition nicht bereit, das wäre besser gewesen, wir hätten heute nicht so viel Unruhe. Dass Herr Söder diese Auswirkungen jetzt beklagt und sagt, wir haben mehr Zentralismus, wir haben den Einstieg in ein staatliches zentralistisches Gesundheitswesen, dass das in der Versorgung zu deutlichen Verschlechterungen führt und dass das natürlich auch zu Unverständnis bei den Beitragszahlern führt, die oben in den Gesundheitsfonds ja immer mehr hereinzahlen - wir haben ja Rekordbeitragssätze -, aber das Gefühl haben, dass unten immer weniger herauskommt, das freut mich, dass diese Analyse Herr Söder jetzt auch zum Teil wortgleich von uns als FDP übernommen hat. Da teilen wir die Kritik und das muss dringend korrigiert werden.

    Heinlein: Sie haben es erwähnt, Pauschalkritik der CSU von Markus Söder am bestehenden Gesundheitsreformkompromiss, aber Inhalte fehlen noch. Haben Sie denn konkrete Vorstellungen, die Sie dann vielleicht gemeinsam mit der CSU oder der Union gemeinsam umsetzen können?

    Bahr: Das haben wir. Wir haben ja als erste Partei im Deutschen Bundestag auch in diesem Jahr ein konkretes Papier vorgelegt, ein Konzept für ein einfaches, transparentes und leistungsgerechtes Gesundheitswesen. Wir brauchen Vorsorge für die steigenden Kosten einer alternden Bevölkerung - da hat bisher nur die FDP ein Konzept vorgelegt -, denn für das Gesundheitswesen ist das eine enorme Herausforderung, dass wir immer mehr Ältere und immer weniger Junge haben und gleichzeitig medizinisch-technischen Fortschritt, ja Kostensteigerung dort haben.

    Wir haben seit langem gefordert eine wirklich transparente und einfache Gebührenordnung für Ärzte und Patienten, damit beide auch wirklich verstehen, wie die Leistungen im Gesundheitswesen honoriert werden. Bisher werden ja die gesetzlich Krankenversicherten völlig unmündig gehalten. Sie erhalten noch nicht mal eine Rechnung, wo sie sehen können, wie die Leistungen abgerechnet werden, die sie dann bei ihrer Krankenversicherung einreichen können. Also das Prinzip Kostenerstattung, was wir als FDP seit Jahren fordern, erfreulicherweise jetzt auch die Kassenärztliche Vereinigung unter diesem Druck des Honorarchaos - diese Forderung - in die Öffentlichkeit gebracht hat.

    Heinlein: Sind Sie denn mit Ihren gesundheitspolitischen Vorstellungen näher bei der CSU oder näher bei der Kanzlerin?

    Bahr: Was die Kanzlerin will, das fragen wir uns alle. Sie ist ja völlig auf Tauchstation gegangen und die CDU insgesamt schweigt in der Gesundheitspolitik. Da bin ich sehr gespannt, wie sich die CDU entwickelt. Wenn die CDU sich auf das besinnt, was auch bei den Leipziger Beschlüssen war, nämlich einen wirklich grundlegenden Neuanfang auch in der Finanzierung des Gesundheitswesens, was wir brauchen, dass wir mehr Eigenverantwortung, mehr Wettbewerb, aber Vielfalt dabei und Wahlfreiheit den Versicherten zulassen; daran erinnert sich die CDU und vor allem die Kanzlerin viel zu wenig.

    Die CSU hat nun gute Schlagwörter zum Teil bei uns kopiert. Da könnte es Übereinstimmungen geben. Mit der SPD sehe ich wenig Übereinstimmung, weil die SPD diesen Marsch in ein staatlich-zentralistisches Gesundheitswesen nach meinem Eindruck immer weiter fortsetzen will. Also es stimmt: Inhaltlich in der Gesundheitspolitik trotz vieler Meinungsverschiedenheiten und auch Enttäuschungen, weil wir uns nicht hätten vorstellen können, dass die Union eine solche Gesundheitsreform mitträgt, sehe ich gleichwohl mehr Übereinstimmung mit der Union als mit der SPD.

    Heinlein: Mit der Union oder mit der CSU?

    Bahr: Mehr im Moment mit der CSU, weil die CSU aus welchen Gründen auch immer - das hat sicherlich sehr parteitaktische, wahltaktische Gründe… Das sind jetzt auch Ablenkungsmanöver, die alle drei Parteien im Moment machen. Sie wollen davon ablenken, dass die Reform die Erwartungen überhaupt nicht erfüllt hat, im Gegenteil zu Chaos geführt hat. Die CDU schweigt. Die SPD - Frau Schmidt macht immer wieder neue Vorschläge und schiebt die Verantwortung auf andere und will nicht gelten lassen, dass sie die Hauptverantwortung zu tragen hat. Und die CSU kündigt ein neues Konzept an, das wir alle noch nicht kennen.

    Also das sind alles Ablenkungsmanöver, aber es ist richtig: Wenn ich die CSU jetzt so höre, kommt mir da sehr vieles bekannt vor, als da wäre die Forderung nach Stärkung der freiberuflich tätigen Ärzte, als da wäre eine Stärkung auch der Eigenverantwortung im Gesundheitswesen und ein Stopp des zentralistischen und staatlichen Ansatzes im Gesundheitswesen.

    Jetzt kommt es darauf an, was die CSU wirklich konkret vorlegt. Vielleicht kopiert sie ja das eine oder andere von uns, dann erhöht das die Chancen, dass unser Konzept auch Wirklichkeit wird.

    Heinlein: Heute Mittag im Deutschlandfunk der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Daniel Bahr. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Bahr: Vielen Dank, Herr Heinlein.