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Erst deutsches Kulturgut, dann entartete Kunst

Touristen erscheint sie heute als heile Welt des norddeutschen Backsteinexpressionismus, in der NS-Zeit war die Bremer Bötcherstraße hochumstritten, sagt Frank Laukötter. Mit einer Ausstellung will der Musumsdirektor zeigen, was die Nazis an der Straße störte und "etwas Licht ins Dunkel bringen".

Frank Laukötter im Interview mit Stefan Koldehoff | 08.07.2013
    Stefan Koldehoff: Die Böttcherstraße in Bremen ist für viele Besucher so etwas wie hundert Meter heile Welt des norddeutschen Backsteinexpressionismus – mit Glockenspiel und Robinson-Crusoe-Haus und Paula Becker-Modersohn-Museum. 1922 bis 1931 vom Kaffee-Hag-Unternehmer Ludwig Roselius finanziert und vom Bildhauer Bernhard Hoetger geplant, wurde die Straße von den Nazis 1937 sogar unter Denkmalschutz gestellt – allerdings als "Beispiel der Verfallskunst der Weimarer Zeit". 1944 wurden große Teile zerstört, nach dem Krieg dann aber originalgetreu wieder aufgebaut. Nun untersucht eine Ausstellung im Becker-Modersohn-Museum die Geschichte und die politische Rolle der Böttcherstraße im Nationalsozialismus. Frank Laukötter ist Direktor des Hauses. An ihn geht deshalb die Frage: Was hat denn da so polarisiert an dieser Straße?

    Frank Laukötter: Es waren vor allen Dingen zwei Gebäude in der Straße, die polarisiert haben: zum einen das Paula Becker-Modersohn-Haus und zum anderen das Haus Atlantis. Diese Häuser wurden immer wieder Stein des Anstoßes, man hat um etliche Details gestritten und Teile dieser Häuser verändert.

    Koldehoff: Und das lag an deren äußerer Gestaltung, oder beispielsweise beim Becker-Modersohn-Museum auch am Inhalt?

    Laukötter: Es war die Gestaltung der Häuser, aber auch natürlich das, was innen zu sehen war. Die Kunst von Modersohn-Becker galt ja ab '37 als entartet, aber auch das Werk von Hoetger stand massiv unter der Kritik und wurde in Angriff genommen vom Schwarzen Korps, der Zeitung der Schutzstaffel der NSDAP, und diese Kritik fing an '35 ganz massiv, sodass es aussah, als müsste auf Vorschlag hin dieser Zeitung die Straße verändert werden – in der Form, dass diese beiden Häuser verändert werden sollten.

    Koldehoff: Es gab bis 1936 auch in der NSDAP durchaus noch Strömungen, die versuchen wollten, den Expressionismus als die nordische Gegenkunst beispielsweise zum französischen Impressionismus zu etablieren, weil man der Meinung war, da haben wir was Eigenes, da können wir auch zu stehen, bis dann '36/ '37 Hitler und andere mit der symbolischen Faust auf den Tisch gehauen und gesagt haben, nein, das wollen wir alle nicht. Hat das auch in der Böttcherstraße stattgefunden?

    Laukötter: Das hat auch in der Böttcherstraße stattgefunden. Roselius, der Gründer dieser Straße - er hat ja seit 1902 die Häuser nach und nach aufgekauft und sie dann bis '31 zum Gesamtkunstwerk gemacht -, hatte die Idee, mit dieser Form von Expressionismus eine Art deutsche Kunst zu befördern, und diese Kunst hat er auch versucht, den Nazis nahezubringen, die allerdings dann '36 diese Kunst abgelehnt haben. Hitler hat in Nürnberg gesagt, dass er diese Form von Böttcherstraßen-Kultur schärfstens ablehnt.

    Koldehoff: Das war ein feststehender Begriff, Böttcherstraßen-Kultur?

    Laukötter: Ja.

    Koldehoff: Was war damit verbunden, was sollte das sein?

    Laukötter: In der Kritik von Hitler stand vor allen Dingen, denke ich, diese Ausrichtung an dem Nordischen, an dem Chefideologen Herman Wirth, den Roselius beauftragt hatte, zusammen mit Hoetger die Fassade des Haus Atlantis zu gestalten, und da gab es eine sehr, sehr große Gestalt eines Erlösers, so hat Roselius diese Figur genannt, eine ausgemergelte Gestalt, angeheftet an einem sogenannten Lebensbaum, oben eine Sonnenscheibe und unten drei Säulen, die Verkörperung der Norn sein sollten. Und das Merkwürdige an dieser Gestalt war, dass sie nicht aus der Bibel stammte, sondern aus der Edda stammen sollte, sodass sich hinter diesem Erlöser in Wirklichkeit nicht so sehr ein Christus verbarg, was natürlich die meisten Christen darin gesehen haben, sondern Odin. Und eine Inschrift klärt darüber auf, dass das Odin ist, der sich selbst opfert.

    Koldehoff: Das war dann selbst den Nationalsozialisten zu viel?

    Laukötter: Ja.

    Koldehoff: Nun ist die Böttcherstraße 1931 "vollendet", jedenfalls fertig gebaut worden nach den Vorstellungen von Roselius und auch von Hoetger. Kann man den beiden einen Vorwurf machen, dass sie da etwas gebaut haben, was hinterher relativ leicht zu vereinnahmen war für eine bestimmte Ideologie, oder steckte das bei beiden möglicherweise schon dahinter?

    Laukötter: Das ist schon in den 20er-Jahren so, dass sie an dieser germanischen, an dieser vermeintlich germanisch-nordischen Kunst hängen und ganz im Sinne dieser Kunst diese Straße einrichten und bauen. Es ist im Prinzip ein fließender Übergang dann '33, dass sie versuchen, dem Nationalsozialismus diese Kunst nahezubringen, aber dann abblitzen, spätestens '36.

    Koldehoff: Nun ist natürlich Roselius jemand, der viel für die Stadt Bremen getan hat - bis heute strömen Zehntausende durch die Böttcherstraße, um sich da die Architektur-Ensembles, aber auch die Häuser von innen anzugucken. War es schwer für Sie, so jemanden zumindest auch infrage zu stellen, was seine ideologische Ausrichtung anging?

    Laukötter: Das ist relativ bekannt, dass er diese ideologische Ausrichtung hatte. Es ist in meinen Augen sehr rätselhaft, wie jemand, der kaufmännisch so rational denken kann, so einer Mythologie anhängt und sie dienstbar machen will. Das war auch Ursache, dass wir das in den Fokus genommen haben und nachgeforscht haben, wie kam es dazu. Eine richtige Antwort aus heutiger Sicht, finde ich, ist sehr, sehr schwer zu geben, weil wir natürlich in einem anderen Umfeld groß geworden sind. Diese Dinge, die dort gedacht worden sind und geschrieben worden sind, sind heutzutage zum Teil fast unlesbar und unverständlich, und diese Ausstellung ist der Versuch, etwas Licht in dieses Dunkel zu bringen und auch zu schauen, woher das kommen könnte.

    Koldehoff: Müsste, sollte sich heute, 2013, in der Böttcherstraße was ändern? Müssten da Tafeln angebracht werden, müssten neue Reiseführer geschrieben werden, die auch diesen Aspekt der Geschichte mit berücksichtigen?

    Laukötter: Wir machen das durch diese Ausstellung jetzt schon deutlich. Ich glaube, dass diejenigen, die in die Ausstellung gehen, diese Straße neu sehen werden und anders, als Sie das anfangs gesagt haben, nicht mehr nur als Sehenswürdigkeit sehen. Sie haben auch zitiert den Denkmalschutz. Diese Straße wurde unter Denkmalschutz gestellt als Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll, als Beispiel der Verfallskunst. Ich denke, heutzutage sind wir so weit, mit dem Wissen um die Geschichte zu sagen, das ist ein Mahnmal gegen den Verfall, gegen so eine Form von Ideologisierung von Kunst und Architektur.

    Koldehoff: … sagt Frank Laukötter, Direktor der Kunstsammlungen Böttcherstraße in Bremen.


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