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Erst Salpeter, dann Schüler an Bord

Nicht nur bei alten Seebären gelten sie als Legende – jene Segelschiffe, die einst bei Wind und Wetter das berüchtigte Kap Hoorn in Südamerika umrundeten. Einer der berühmtesten Windjammer lief vor genau 100 Jahren vom Stapel – die Viermastbark Passat, die heute als Museumsschiff in Lübeck zu bewundern ist.

Von Frank Grotelüschen | 20.09.2011
    "Das ist das Hauptruder. Bis zu vier Matrosen mussten hier dran stehen, bei Schwerwetter zum Beispiel, um das Ruder gegen Wind und Wellen zu beherrschen."

    Fritz Witt, Kapitän im Ruhestand, steht am Ruder, also dem Steuerrad der "Passat". Heute ist die Viermastbark das Wahrzeichen von Lübeck-Travemünde. Am 20. September 1911 lief der 105 Meter lange Großsegler in Hamburg vom Stapel. Die Laeisz-Reederei hatte ihn in Auftrag gegeben, um im Liniendienst nach Chile zu fahren und dort Salpeter zu laden, zentraler Bestandteil von Kunstdünger und Sprengstoff.

    "Mit Salpeter hat man sehr viel Geld verdient. Auf diesen Acht-Monats-Reisen hat das Schiff circa 100.000 Goldmark an Nettogewinn gemacht. Darum wurden die Segelschiffe eigentlich aufrecht erhalten."

    Eigentlich war 1911 die Ära der Großsegler längst vorbei. Frachter mit Dampfantrieb hatten die Weltmeere erobert. Nur auf der Südamerika-Route waren die Windjammer wegen der günstigen Windverhältnisse noch konkurrenzfähig. Ebenso wie die anderen Segler der Laeisz-Reederei, die sogenannten "P-Liner", musste die "Passat" auf ihrem Weg nach Chile das berüchtigte Kap Hoorn umfahren. Im Schnitt dauerte die Umseglung zwei Wochen. Bei Schlechtwetter aber brauchte man deutlich länger .

    "Bis zu 99 Tage. Manche Schiffe sind umgedreht und sind nach Montevideo und haben dort gelöscht."

    Im Ersten Weltkrieg lag die "Passat" in Chile fest. Erst 1921 konnte sie Laeisz wieder zurückkaufen. Bald darauf kam die industrielle Salpeter-Produktion in Gang. Die Fahrten nach Chile lohnten sich nicht mehr. 1932 verkaufte Laeisz die "Passat" an den finnischen Reeder Gustaf Erikson, ebenso die "Pamir", einen anderen P-Liner. Bis zum Zweiten Weltkrieg transportierten beide Schiffe Weizen, dann lagen sie in ihrem finnischen Heimathafen fest. Nach dem Krieg sollten Passat und Pamir in Antwerpen verschrottet werden.

    "Das konnte verhindert werden durch einen deutschen Reeder, durch Heinz Schliewen. Der hat mithilfe der Bundesregierung die beiden Schiffe gekauft, die 'Pamir' und die 'Passat' für zusammen 1,2 Millionen DM."

    Beide wurden zu Segelschulschiffen umgebaut und gingen wieder auf große Fahrt. Kapitän der "Passat" war Helmut Grubbe.

    "Was natürlich vielen schwerfällt, das ist diese Disziplin, die wir hier an Bord verlangen müssen. Ich habe eine Besatzung von 80 Mann. Da ist eine Ordnung natürlich nur möglich unter Wahrung einer strengen Disziplin und Einhaltung bestimmter Spielregeln."

    Doch dann sank die "Pamir" im September 1957 in einem schweren Sturm im Atlantik. Von den 86 Besatzungsmitgliedern überlebten nur sechs.

    "Wir haben alle erlebt, was das Unglück der Pamir nicht nur für die Familienangehörigen, sondern für einen großen Kreis in der Öffentlichkeit bedeutet hat."

    Otto Wachs, Vorsitzender der Stiftung "Pamir und Passat", drei Monate nach dem Untergang. Sollte die "Passat" angesichts des Unglücks weiter als Schulschiff fahren? Eine Frage, die ganz Deutschland beschäftigte.

    "Dass wir, wenn wir weiterfahren würden, mit ungeheuren Vorbelastungen gegen die Meinung in der Öffentlichkeit arbeiten müssen, das ist selbstverständlich. Und nachdem wir jetzt nahezu drei Monate in diesen Auseinandersetzungen stehen, werden wir uns sehr, sehr sorgfältig überlegen müssen, was wir endgültig machen."

    Das Ergebnis: Die Passat wurde als Schulschiff ausgemustert. Nur knapp entging der Windjammer, der 39 Mal Kap Hoorn umrundet hatte, dem Abwracken.

    "1959 hat die Hansestadt Lübeck dann die Passat gekauft für 315.000 DM - zunächst als Ausbildungsstätte für die Seemannsschule in Travemünde-Priwall."

    Friedrich Thorn ist Bereichsleiter "Schule und Sport" der Stadt Lübeck. Seit 1966 dient die Passat als Jugendherberge - und als schwimmendes Museum mit Kapitän Fritz Witt als Museumsführer.

    "Wir kommen jetzt in den Laderaum Luke zwei. So wurde damals Salpeter gestaut."

    "Wir haben im Jahr 600.000 Besucher. Wir haben insgesamt 101 Kojen an Bord. Von einer Luxussuite mit eigener Dusche bis zu ganz normalen Kojen, wo man zu viert in einem relativ kleinen überschaubaren Raum sich aufhalten muss und wo auch nicht unbedingt immer ein Waschbecken drin ist."

    Doch es gibt auch einen noblen Kapitänssalon. Und der hat heute eine ganz besondere Funktion:

    "Unser Standesamt hat hier eine Außenstelle. Und auf der Passat kann ganz offiziell standesamtlich geheiratet werden."

    Auslaufen aber wird die Passat wohl nicht mehr. Es wäre schlicht zu teuer, den legendären Windjammer wieder segeltüchtig zu machen.