Samstag, 27. April 2024

Archiv

Erste "Leipziger Friedensmesse" vor 75 Jahren
Das erste Bummeln vorm "Schaufenster des Sozialismus"

Bereits im Hochmittelalter war die Leipziger Messe ein bedeutsamer Warenumschlagplatz. Daran knüpften die sowjetischen Besatzer an, als sie schon ein Jahr nach Kriegsende, am 8. Mai 1946, eine "1. Leipziger Friedensmesse" eröffnen ließen. In der DDR wurde sie zur Drehscheibe des Ost-West-Handels.

Von Doris Liebermann | 08.05.2021
    Ein Farbdruck zdas Logo der Leipziger Buchmesse von 1947: zwei ineinander verschränkten Lettern "M" über einem vielzackigen blauen Stern inmitten einer aus kleinen goldenen Kronen gebildeten Corona darunter der Schriftzug: "LEIPZIGER MESSE / 4. BIS 9. MAeRZ 1947"
    Plakat der zweiten Leipziger Messe nach dem Krieg, 1947 (picture-alliance / akg-images | akg-images)
    "Ich stand im Januar 1946 im Ring-Messehaus, im Kopfbau, und da sagte mir der damalige Chef des Messeamtes: Hier wollen wir im Mai dieses Jahres Messe machen. Da konnte man über die sechs Etagen bis in den Himmel hineingucken, weil alles zerbombt war."
    So erinnerte sich der Messe-Mitarbeiter Rudolf Paul. Die Leipziger Messe, mit einer mehr als 800 Jahre alten Tradition die älteste der Welt, wurde im Zweiten Weltkrieg geschlossen. Am Ende des Krieges war die Stadt zerstört, 80 Prozent der Messehäuser und Messehallen waren schwer beschädigt. Leipzig, zunächst von den Amerikanern besetzt, gehörte ab Juli 1945 zur sowjetischen Besatzungszone. Mit dem Ukas Nr. 73 des Obersten Chefs der sowjetischen Militäradministration in Deutschland erging folgender Befehl an die Stadt:
    "Zur Förderung des Handels und der Industrie in der sowjetischen Besatzungszone ist die alljährliche Durchführung der Leipziger Messe wiederaufzunehmen. Die 1. Leipziger Messe ist vom 8. bis 12. Mai 1946 durchzuführen."

    12.000 Besucher aus den Westzonen

    Genau ein Jahr nach der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands reisten 170.000 Besucher nach Leipzig, 12.000 davon aus den Westzonen. Rudolf Paul hatte Baumaterial beschafft, mit dem einige Messehäuser ausgebessert worden waren:
    "Im Zentrum der Stadt war ein Riesentrubel, die Stimmung war sehr optimistisch. Es waren schon verhältnismäßig viele Trümmer beseitigt worden, Straßenbahnen fuhren wieder, das Elektronetz war in Ordnung.
    In fünf Häusern zeigten mehr als 2.700 Aussteller überwiegend Verbrauchsgüter. Einziger ausländischer Aussteller war die Sowjetunion. Angeboten wurden zum Beispiel Kochtöpfe und Herde.

    Die Messe als Propaganda-Show

    Wilhelm Pieck, einer der Vorsitzenden der kurz zuvor gegründeten SED, sah durch die erfolgreiche Messe die westliche Propaganda gegen die sowjetische Besatzungszone widerlegt:
    "So wird auch die Leipziger Friedensmesse dazu beitragen, diese Hetze zu entlarven. Sie, die Sie zurückkehren in die westlichen Besatzungszonen, Sie werden bei ihrer Rückkehr in die Heimat dazu beitragen, dass die Bevölkerung ein wahres Bild von dem Fortschritt in der sowjetischen Besatzungszone erhält." Und Liedermacher Gerulf Pannach besang die Messe so:
    "In Leibzsch ist zweemal im Jahre/ Ein Jahrmarkt, die Messe genannt, /da nehm ich ab und zu die Gitarre/ wie ne Wünschelrute in die Hand ..."
    Das Foto zeigt den abendlichen Blick auf das Zentrum von Leipzig mit der Nikolaikirche, dem Wintergartenhochhaus, dem neuen Rathaus, Cityhochhaus und der neuen katholischen Probsteikirche.
    Eine Lange Nacht über eine tausendjährige Stadt - Mein Leipzig lob ich dir
    Messestadt, Buchstadt, Musikstadt war Leipzig schon. Im April 2003 wollte man auch Olympiastadt werden. Mit Verwunderung, Amüsement und leichter Herablassung verfolgte die Öffentlichkeit die Leipziger Bewerbung für ein Weltsportereignis: Bescheidenheit gepaart mit leichtem Größenwahn.
    Nach Gründung der DDR 1949 kam der deutsch-deutsche Handel auch durch die Leipziger Messe in Gang. Zwei Mustermessen fanden jedes Jahr im Frühjahr - mit dem Schwerpunkt Technik - und im Herbst mit Konsumgütern wie Textilien oder Möbeln statt. Als "Schaufenster des Sozialismus" und als Drehscheibe des Ost-West-Handels zog Leipzig Gäste aus aller Welt an. Hochrangige Politiker und Wirtschaftsvertreter von diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs trafen sich bei den Messen zu Gesprächen - überwacht vom DDR-Geheimdienst.
    Nach Gründung der DDR 1949 kam der deutsch-deutsche Handel auch durch die Leipziger Messe in Gang. Zwei Mustermessen fanden jedes Jahr im Frühjahr - mit dem Schwerpunkt Technik - und im Herbst mit Konsumgütern wie Textilien oder Möbeln statt. Als "Schaufenster des Sozialismus" und als Drehscheibe des Ost-West-Handels zog Leipzig Gäste aus aller Welt an. Hochrangige Politiker und Wirtschaftsvertreter von diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs trafen sich bei den Messen zu Gesprächen - überwacht vom DDR-Geheimdienst.
    Ein Farbfoto zeigt Besucher an einem sonnigen Tag auf dem Gelände der Messe Leipzig vor einem Stand, des Produktes des DDR-Schiffbaus bewirbzt. Im Hintergrund der sowjetische Pavillon mit kyrillischen Schriftzug und einenm stilisier
DDR, Leipzig, Leipziger messe: Erzeugnisse der DDR DDR, Leipzig, Leipziger messe: Erzeugnisse der DDR, Leipzig DDR ACHTUNG AUFNAHMEDATUM GESCHÄTZT Copyright: WalterxRudolph 
    „Schaufenster des Sozialismus“ und Drehscheibe des Ost-West-Handels: Die Leipziger Messe hier um 1980 (Imago / WalterxRudolph)

    Viele Leipziger profitierten vom Messetrubel, viele fühlten sich degradiert

    Die Leipziger Buchmesse, auch sie mit einer jahrhundertealten Tradition, findet seit 1973 jährlich im Frühjahr statt. Bereits zu DDR-Zeiten kamen auch westliche Verlage.
    "Alle Events waren natürlich international, für uns öffneten sich die Tore in eine völlig andere Welt.
    So erinnert sich der Maler Hans-Hendrik Grimmling, der in 1970er- und 1980er-Jahren in Leipzig wohnte. Leipziger Einwohner konnten während der Messen Zimmer an Westgäste vermieten und junge Künstler bei der Gestaltung von Werbeflächen gutes Geld verdienen - mitunter sogar Westgeld. Gleichzeitig fühlten sich viele Leipziger degradiert, wenn ihnen der Zugang zu besseren Restaurants verwehrt wurde, Hendrik Grimmling:
    "Auf den Schildern stand: 'Reserviert für Messegäste'. Also, während der Messe waren die Leipziger ein Volk zweiter Klasse. Und wir durften eigentlich offiziell am internationalen Flair nicht wirklich teilhaben."
    Die Glashalle der Leipziger Messe. Ende Januar wurde die Leipziger Buchmesse 2021 abgesagt.
    Die Glashalle der neuen Leipziger Messe (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)

    Leipzig behauptet sich als Messestadt

    Mit dem Untergang der DDR verlor die Leipziger Messe ihre Funktion im Ost-West-Handel. Mit dem Bau eines neuen, imposanten Messegeländes im Norden der Stadt und mit neuen Konzepten versucht Leipzig, sich weiterhin weltweit als Messestandort zu behaupten. Statt der beiden Universalmessen im Frühjahr und im Herbst sind es heute mehr als 30 Fachmessen – etwa zu Umwelt und Gesundheit, die jährlich in Leipzig stattfinden.