
Der heute beginnende Audi-Prozess dürfte eines der größten und vor allem längsten Wirtschafts-Strafverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik werden.
"Die Strafkammer hat zur Durchführung des Verfahrens insgesamt 181 Verhandlungstage angesetzt", sagt Florian Gliwitzky, Pressesprecher des Landgerichts München. Wenn es keine Verzögerungen gibt – etwa durch Corona – , dann fällt das Urteil gegen Ex-Audi-Chef Rupert Stadler und die drei anderen Angeklagten im Dezember 2022. Stadler droht eine lange Haftdauer.
"Der Strafrahmen für gewerbsmäßigen Betrug reicht von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Die im Fall eines Schuldspruchs zu verhängende Freiheitsstrafe kann bis zu 15 Jahren betragen."
Von langer Haftstrafe bis Freispruch ist alles möglich
Möglich ist aber auch ein Freispruch Stadlers in einem Mammutverfahren, dessen Ursprünge in einer Razzia in der Audi-Zentrale Ingolstadt liegen. Am 15. März 2017, ausgerechnet am Tag der Audi-Bilanz-Pressekonferenz, durchsuchten Dutzende Staatsanwälte Büros und Privatwohnungen des Vorstands. Rupert Stadler, damals Chef der fünf Ringe, reagierte ausweichend: "Die Durchsuchungen und zum Zeitpunkt werde ich nicht kommentieren. Bitte habe sie dafür Verständnis, dass wir uns aufgrund der laufenden Ermittlungen auch zu diesem Thema nicht äußern können."
Stadler wird vermutlich alles Vorwürfe abstreiten
Ein Jahr später musste Stadler für vier Monate in Untersuchungshaft – wegen Verdunklungsgefahr. Jetzt wird er in einem halb unterirdischen Gerichtssaal in der Münchner Justizvollzugsanstalt Stadelheim auf der Anklagebank Platz nehmen und voraussichtlich alle Vorwürfe abstreiten. Stadler will bis zuletzt nicht gewusst haben, dass in Hunderttausende Audi-Dieselfahrzeuge Betrugssoftware eingebaut war, die dafür sorgte, dass die Autos die Schadstoff-Grenzwerte nur auf dem Prüfstand, nicht jedoch auf der Straße einhielten. Gerichtssprecher Gliwitzky:
"Dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Rupert Stadler liegen rund 120.000 Fälle des gewerbsmäßigen Betrugs durch Unterlassen, den drei weiteren Angeklagte rund 434.000 Fälle des gewerbsmäßigen Betrugs zur Last. Zentraler Bestandteil der Beweisaufnahme wird aber sein, ob und wie die Angeklagten in die gegenständlichen Manipulationen eingebunden waren beziehungsweise wann sie hiervon Kenntnis erlangt haben."
Mitangeklagte erheben schwere Vorwürfe gegen Stadler
Zwei der Angeklagten, die als Ingenieure auf niedrigeren Hierarchie-Ebene bei Audi arbeiteten, erheben schwere Vorwürfe gegen ihre Ex-Vorgesetzten, also Stadler und den früheren Chef-Motoren-Entwickler Wolfgang Hatz. Der Vorstand sei früh in den Betrug eingebunden gewesen. Das zu beweisen ist die Aufgabe der Münchner Staatsanwaltschaft. Das Verfahren wird im In- und Ausland genau beobachtet. Denn für viele Schadenersatzverfahren, die gerade gegen Audi laufen oder noch kommen, ist das Urteil von großer Bedeutung. Auch die Audi AG beobachtet den Prozess gegen ihren vor zwei Jahren entlassenen Chef genau. In einer Pressemeldung teilte der Ingolstädter Autobauer allerdings mit: "Das anstehende Strafverfahren gegen Einzelpersonen ist unabhängig von der Audi AG zu sehen."