Eine "drittklassige Schriftstellerin" sei sie. So giftete F. Scott Fitzgerald gegen seine Frau Zelda. Da war das Traumpaar der Goldenen Zwanziger bereits so fertig miteinander, dass es nur noch darum schacherte, wer denn nun das Recht hätte, die gemeinsamen Jahre als Materialsammlung literarisch auszuschlachten.
Der Stoff, um den sie sich stritten, war exquisit. Der bestbezahlte Kurzgeschichtenautor der Welt und seine fabelhaft aussehende, eskapistisch-geistreiche junge Frau waren gern gesehene Gäste auf den bunten Seiten der amerikanischen Promi-Magazine. Sie kreuzten auf Hollywood-Partys im Schlafanzug auf, und wenn sie nicht eingeladen waren, bettelten sie auf allen Vieren bellend um Einlass. In der Erzählung "Die erste Revuetänzerin" liefert Zelda Fitzgerald eine Gebrauchsanweisung dafür, wie Frau ein Leben als Selbstinszenierung führt:
"Das Auffälligste an Gay war ihre Art; man hatte fast den Eindruck, sie spiele sich selbst. Ihre Kleider und ihre Juwelen waren von ausgezeichneter Qualität, schmückten sie jedoch nur oberflächlich wie Lametta und Kugeln einen Weihnachtsbaum. Das kam daher, dass sie selbst von unheimlich guter Qualität war. Und nichts zu verbergen hatte als ihre Vergangenheit."
Heldinnen ähneln Zelda Fitzgerald
So beginnt die Geschichte "Die erste Revuetänzerin", die 1929 im Magazin College Humor erschienen ist – unter dem Namen von Zelda und F. Scott Fitzgerald. Denn die Nennung des berühmten Gatten – zumindest als Koautor – war den Verlagen ein Vielfaches an Honorar wert. Elf dieser erstmals ins Deutsche übersetzten Storys versammelt "Himbeeren mit Sahne im Ritz". Erschienen sind sie zwischen 1925 und 1932 in amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften; eine fand sich im Nachlass. Im Titel kommen die Erzählungen etwas altherrenhaft betulich daher: "Ein Südstaatenmädchen", "Das Mädchen, das dem Prinzen gefiel", "Mädchen mit Talent" oder "Das Mädchen und der Millionär".
Tatsächlich setzt Zelda Fitzgerald, selbst eine Tochter aus gutem Südstaatenhause, ihre eindeutig autobiografisch unterfütterte Mädchen-Parade aus eigenwilligen, selbstbewussten Frauen zusammen, die ihrer Schöpferin zumeist zum Verwechseln ähnlich sehen. Zu sehr mit Extravaganz begabt, um in der Provinz zu leben, zieht es Fitzgeralds leichte, luftige Heldinnen auf die großstädtischen Bühnen. Weg aus den engen Verhältnissen, nach New York oder Paris. Ihr natürliches Habitat sind die Lobbys eleganter Hotels, mondäne Dinnerpartys und hell ausgeleuchtete Theater. Dort tritt dann etwa die Tänzerin Lou auf, Fitzgeralds alter ego aus der Erzählung "Mädchen mit Talent":
"Um Mitternacht marschierte sie in den unbeschwerten Saal voll amüsierwilliger Erwachsener, und ihre Haltung war die eines Kindes, das sagt: 'Kommt, schaut mir beim Spielen zu.' Kein Lächeln himmelwärts, keine Grimassen zur Seite, kein Versuch, das Publikum in ihr Geheimnis einzuweihen. Im Scheinwerferlicht war sie ganz in ihr Hochgefühl vertieft, sie drehte sich um die eigene Achse und fand es wunderbar; sie drehte sich abermals und steppte auf dem Parkett herum, als wollte sie ihre Bewegungen wie Nägel hineintreiben. Eine angenehme Anstrengung glänzte auf ihrem minimal verspannten Gesicht... "
Du sollst nicht langweilen! Dein Publikum nicht – und schon gar nicht dich selbst. So lautet der Imperativ, dem die Frauen in Zelda Fitzgeralds Erzählungen gehorchen. Und das gilt auch für die Autorin selbst. Mit wenigen Ausnahmen setzt sie ihre Hauptfiguren aus der Ich-Perspektive in Szene. So, als plauderte man eine Zigarette lang über Gay, Lou oder Helena, über alte Freundinnen und gute Bekannte, angenehm unsentimental und sarkastisch.
Beschreibungsversessenheit der Autorin
Die von Eva Bonné übersetzten Erzählungen verzichten auf vordergründige Spannungsbögen. Ja, sie kommen überhaupt mit auffallend wenig Handlung aus. Ihren Reiz entfalten sie durch die Beschreibungsversessenheit, die Fitzgerald dazu dient, Milieus und Charaktere allein durch Äußerlichkeiten zu erfassen. Nur wenige Striche braucht es, um etwa die Vorstadt-Tristesse der überambitionierten amerikanischen Mittelklasse zu skizzieren:
"Die Leute, mit denen sie Umgang pflegte, wohnten jetzt in dem Ring aus teuren, weißen Bungalows, der sich um die Stadt gebildet hatte. Alle besaßen Cocktailgläser mit Silberrand, dinierten bei Kerzenlicht und mochten den Geschmack von Dosenkaviar. Sie veranstalteten Nachmittagstees und Abendessen und Partys für Fremde, die mit einer Einladung vom Club oder einem Empfehlungsschreiben in die Stadt kamen, oder um ein Konzert zu geben oder einen Vortrag zu halten."
Bisweilen bleiben Fitzgeralds Heldinnen auf ihrem Weg ins glamouröse Dasein auf halber Strecke stehen, um sich bei Kerzenlicht und Dosenkaviar gediegen familiär einzurichten. Mehr als diese bürgerliche Schrumpfform von Glück gesteht Zelda Fitzgerald ihren sehnsüchtigen Heldinnen nicht zu. Sie alle teilen neben ihrer makellosen Schönheit und gesellschaftlichen Ambition nämlich vor allem eines: das Schicksal, enttäuscht zu werden.
Bedingte Vorbilder der Emanzipation
Als Lebensstilikonen gehen diese dekorativen Damen allemal durch, als glamourös funkelnde Vorbilder der Frauenemanzipation im Jazz Age taugen sie nur bedingt. Sie warten darauf, dass das Leben endlich losgeht. Doch sie wollen abgeholt werden: von bevorzugt wohlhabenden Prinzen. So wie einst Zelda Sayre aus Montgomery, Alabama, geheiratet werden wollte – von einem vielversprechenden Mann wie F. Scott Fitzgerald, der sie Jahre später als drittklassige Schriftstellerin abqualifizierte.
Die in "Himbeeren mit Sahne im Ritz" versammelten Erzählungen bieten deutschen Lesern eine Gelegenheit mehr, sich davon zu überzeugen, dass selbst F. Scott Fitzgerald in literarischen Dingen irren kann.
Zelda Fitzgerald: "Himbeeren mit Sahne im Ritz".
Manesse Verlag, Zürich 2016. 224 Seiten, 24,95 Euro.
Manesse Verlag, Zürich 2016. 224 Seiten, 24,95 Euro.