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"Es dürfen natürlich keine Waffen mehr geliefert werden"

Außenminister Guido Westerwelle eröffnet heute die neue Botschaft Saudi-Arabiens in Berlin. Monika Lüke, Chefin von Amnesty Deutschland, fordert ihn auf, Druck auf die Regierung Saudi-Arabiens wie auch der nordafrikanischen Länder auszuüben, die Menschenrechte einzuhalten.

Monika Lüke im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Als er diese Einladung angenommen hat, da war Außenminister Lüke wohl noch von einem Routinetermin ausgegangen. Wenn er in diesen Minuten aber die Rede hält zur offiziellen Eröffnung des neuen Botschaftsgebäudes der neuen Botschaft Saudi-Arabiens in Berlin, dann wird jetzt wohl ganz genau hingehört nach eben den Ereignissen in Ägypten und Tunesien. Wie steht es um die Menschenrechte in Saudi-Arabien, kann man ein solches Regime stützen? Das fragen wir jetzt Monika Lüke, die Generalsekretärin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, also die Chefin der deutschen Sektion. Guten Tag, Frau Lüke!

    Monika Lüke: Guten Tag, Herr Zagatta!

    Zagatta: Frau Lüke, sind denn die Zustände in Saudi-Arabien noch so einigermaßen so, dass ein deutscher Außenminister guten Gewissens eine neue Botschaft dieses Landes höchstpersönlich einweihen kann?

    Lüke: Ganz klar, in Saudi-Arabien gibt es ein menschenrechtliches Willkürregime, das heißt, die Menschen verschwinden in den Gefängnissen, werden dort gefoltert, Saudi-Arabien praktiziert die Todesstrafe auch an zur Tatzeit Jugendlichen, Presse- und Meinungsfreiheit werden systematisch unterdrückt, und Frauen kommen quasi gar nicht vor. Das heißt noch nicht, dass der Außenminister nicht die Botschaft eröffnen kann, aber er muss ganz klar zeigen, dass er Ernst macht mit dem, was er und die Kanzlerin am vergangenen Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz erklärt haben, nämlich die Menschenrechte als rote Linie für eine neue MENA-Politik. Das heißt, er muss all diese Menschenrechtsverletzungen thematisieren und Druck auf die saudi-arabische Regierung, hier konkret auf den Botschafter ausüben. Ob er das öffentlich bei seiner Rede oder hinter den Kulissen bleibt, das bleibt ihm überlassen. Wichtig ist, er muss es tun.

    Zagatta: Was verstehen Sie da unter Druck? Also wenn er jetzt heute eine Rede hält und da von wichtigen Verbündeten spricht und auf Menschenrechtsverletzungen oder auf allgemeine Demokratieforderungen hinweist, dann könnten Sie als Menschenrechtsorganisation damit leben?

    Lüke: Dann wäre das ein Anfang. Dabei darf es nicht bleiben, es muss Druck ausgeübt werden auf die saudi-arabische Regierung genau so wie auf die ägyptische Regierung, auf die Regierung Jordaniens und Jemens, dass diese Regierungen die Menschenrechte einhalten, dass die aufhören mit den Folterungen in den Gefängnissen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und dass es Untersuchungen gibt. Und da darf der Außenminister auch nicht sich auf die Worte Suleimans oder Mubarak, um auf Ägypten zurückzukommen, verlassen, sondern die Bundesregierung muss am Ball bleiben, Druck machen. Menschenrechte sind ganz klar keine innere Angelegenheit, Menschenrechte gehen alle an, und deswegen muss die Bundesregierung sich klar positionieren.

    Zagatta: Wie tut sie das im Moment aus Ihrer Sicht? Ich meine, diese Ägypten-Krise oder der Aufstand auch in Tunesien, das läuft ja jetzt schon länger. Wie bewerten Sie das, wie sich die Bundesregierung da bisher verhält?

    Lüke: Wenn ich es positiv bewerten will, dann kommt die Bundesregierung langsam in Fahrt, anders als andere europäische Länder. Nachdem man ja jahrelang auf Stabilität gesetzt hat - zulasten der Menschenrechte, man hat es nicht thematisiert -, gibt es wenigstens jetzt ein klares Bekenntnis, die Menschenrechte eben als rote Linie, was Merkel und Westerwelle sagten am Wochenende. Daran können wir, Amnesty, und andere die Bundesregierung messen, und jetzt muss das umgesetzt werden. Es darf nicht heißen, ja Ägypten muss den Wandel selbst steuern, sondern es muss klargemacht werden: Menschenrechte sind dort ein Kern und dazu muss die Bundesregierung beitragen nach allen Kräften. Das heißt zum einen, es dürfen natürlich keine Waffen mehr geliefert werden an das Regime Mubarak, es muss gefordert werden, dass die Gefängnisse geöffnet werden, dass diejenigen rauskommen, die dort unrechtmäßig in Haft sind, dass untersucht wird, dass die Opfer von Menschenrechtsverletzungen - und ich meine, jetzt haben wir ja nur die Spitze eines menschenrechtlichen Eisbergs, das Ganze ging 30 Jahre lang, es waren Zehntausende Menschen über diese Zeit inhaftiert, wurden gefoltert -, dass all diese Opfer zu ihrem Recht kommen!

    Zagatta: Halten Sie denn das für realistisch, dass keine Waffen mehr in die Region geliefert werden? Ich meine, im Moment gibt es so einen Lieferstopp glaube ich für Ägypten, aber dass man da in diese Region keine Waffen mehr liefert, dass es dafür eine politische Mehrheit gibt? Weil ich denke, das wird ja auch außer FDP wahrscheinlich auch die SPD gar nicht mitmachen?

    Lüke: Also wenn es die Bundesregierung ernst meint mit dem, was sie im Koalitionsvertrag proklamiert hat, nämlich eine werteorientierte Außenpolitik zu machen, und wenn die Bundesregierung ihre eigenen Menschenrechtsverpflichtungenbekenntnisse ernst nimmt, dann dürfen in diese Region keine Waffen mehr geliefert werden. Das ist ganz klar, das muss aufhören.

    Zagatta: Glauben Sie daran?

    Lüke: Wir fordern das, und wir werden alles tun, mit allen Mitteln arbeiten, dass es nicht mehr passiert. Das wird nicht sofort umgesetzt werden, aber nachdem unter anderem Amnesty forderte, die Rüstungsexporte nach Ägypten zu stoppen, hat die Bundesregierung reagiert am Wochenende, vorläufig ausgesetzt. Ähnliches hat die französische Regierung gemacht. Es wird nicht über Nacht passieren, aber es muss dazu kommen, und wir werden wirklich alles tun durch politische Gespräche, durch Aktionen, beispielsweise am kommenden Samstag gibt es eine große Aktion in Berlin und anderen deutschen Städten, auch in anderen europäischen Städten. Wir müssen dafür arbeiten.

    Zagatta: Frau Lüke, Sie hatten das vorhin angesprochen, Deutschland verhält sich vielleicht noch besser als andere oder aufrichtiger als andere europäische Länder. Wie bewerten Sie denn die Haltung der EU, wie die vorgeht? Da haben wir ja mittlerweile eine Art Außenministerin, und die ist schwer in der Kritik. Wie sehen Sie das, was die EU da macht?

    Lüke: Die EU nimmt das nicht ernst, was in ihren Verträgen steht, nämlich Schutz und Förderung der Menschenrechte. Die EU macht eine Nachbarschaftspolitik, ohne auf die Menschenrechte zu achten, die EU schwächelt auf diesem Gebiet. Und das nimmt die Mitgliedsstaaten noch stärker in die Pflicht, den Druck als einzelne Staaten zu erhöhen. Das heißt noch mal: Westerwelle muss klarmachen, Menschenrechte sind die rote Linie, und Westerwelle muss das heuet bei der saudi-arabischen Botschaft, ob vor oder hinter den Kulissen, fordern, und auch im Verhältnis zu Ägypten muss die Botschaft in Kairo ganz deutlich Druck auf Suleiman, auf Mubarak und alle, die an der Macht sind, ausüben, dass sie endlich aufhören mit den Folterungen und der Todesstrafe.

    Zagatta: Monika Lüke, die Generalsekretärin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Frau Lüke, danke schön für das Gespräch!

    Lüke: Gerne, tschüss