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"Es handelt sich nicht um ein Kavaliersdelikt"

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat Ärzte und Krankenkassen davor gewarnt, übertriebene oder falsche Diagnosen zu stellen, um mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu bekommen. Wenn ein komplizierter Kontrollmechanismus aufgebaut werden müsse, könne das neue System mit einer besseren Honorierung für die Ärzte nicht aufrecht erhalten werden.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Dirk Müller | 26.01.2009
    Dirk Müller: Wir stufen einen gesunden Patienten einfach als schwer krank ein und bekommen dafür mehr Geld. So könnte die ursprüngliche Formel gewesen sein. Die Vorwürfe wiegen schwer. Zocken einige Krankenkassen in Zusammenarbeit mit den Ärzteverbänden den neuen milliardenschweren Gesundheitsfonds ab? - Indem nämlich über den Risikostrukturausgleich die Kassen für schwer Erkrankte mehr Geld aus dem Fonds bekommen als für Gesunde. Hier liegt dann der Trick: die als krank gemeldeten sind gar nicht krank.

    Und derjenige, der den Rücktritt gefordert hat, ist jetzt bei uns am Telefon: SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Guten Morgen!

    Karl Lauterbach: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Lauterbach, reden wir über Betrug?

    Lauterbach: Das was hier besprochen wird ist im Prinzip nichts anderes als Betrug, weil hier geht es darum, dass der Ärzteverbandschef Hoppenthaler, der die Allgemeinmediziner in Bayern vertritt, die Mitglieder indirekt auffordert, die Diagnosen so zu stellen, dass das wirtschaftlich der AOK Bayern nutzt. Und das ist, wenn man es richtig versteht, die Aufforderung, so zu codieren, also so aufzuschreiben, wie es der Geldbeutel verlangt, und nicht, wie es medizinisch optimal ist oder wie es richtig ist, und das ist natürlich kein Kavaliersdelikt, denn mit diesen Diagnosen ist der Patient ja danach behaftet. Die Patienten haben dann ja Diagnosen, mit denen sie von Arzt zu Arzt gehen, und diese Diagnosen können möglicherweise übertrieben oder falsch sein. Es handelt sich somit nicht um ein Kavaliersdelikt aus der Sicht der Patienten.

    Müller: Inwieweit, Herr Lauterbach, wäre das zu verhindern, dass die Ärzte in irgendeiner Form bei Diagnosen kontrolliert werden?

    Lauterbach: Wir können es natürlich kontrollieren und ich halte auch das Anliegen, dass die Hausärzte bessergestellt werden und gute Verträge bekommen, für richtig. Aber wenn hier der Versuch des Betrugs unternommen wird, dann können wir nicht reagieren, indem wir den Kontrollaufwand verstärken. Dann muss man wirklich überlegen, ob das Gesetz so funktioniert. Es ist noch sehr früh, daher müssen wir auch sehr scharf reagieren auf das, was wir jetzt beobachten. Auch Hoppenthaler sollte die Konsequenzen ziehen, weil diese Honorarreform haben wir gemacht, insbesondere um Hausärzten zu helfen. Die Hausärzte, die viele schwer kranke Patienten haben, sollen besser verdienen. Das war der Wunsch. Wenn das aber jetzt ausgenutzt wird, indem nicht schwer kranke als schwer kranke ausgegeben werden, dann können wir nur das Gesetz ändern; wir können nicht in ein Hase und Igel-Rennen übergehen und mehr Kontrollen machen und werden dann noch besser manipuliert und wir müssen dann schon wieder besser kontrollieren. In eine solche Bürokratie können wir natürlich nicht eintreten.

    Müller: Wir haben jetzt die Vorfälle in Bayern. Aus Niedersachsen werden ähnliche Praktiken, zumindest ähnliche Versuche gemeldet. Wie kommt denn diese Energie zu Stande, weil die Honorare dennoch zu niedrig sind und viele davon nicht leben können?

    Lauterbach: Wir haben die Honorare ja deutlich aufgestockt. Wir werden also insgesamt etwa drei Milliarden Euro mehr für die Ärzte, 2,5 bis 3 Milliarden Euro mehr für die niedergelassenen Ärzte dieses Jahr ausgeben. Das ist eine Honorarsteigerung, die nennenswert ist. Das sind mehr als 10 Prozent. Sie werden nicht viele Berufsgruppen nennen können, die vom Staat garantiert eine Honorarsteigerung von 10 Prozent in 2009 bekommen. Es werden nicht viele Berufsgruppen sein. Von daher: Es liegt an der Verteilung, es liegt nicht am Gesamtgeld. Es ist schlicht so, dass die Umverteilung so funktioniert, dass die bereits einkommensstärkeren Länder etwas weniger zusätzlich bekommen, die einkommensschwächeren Länder bekommen mehr. Daher sollte Nordrhein-Westfalen zum Beispiel etwas mehr bekommen, Bayern etwas weniger, zwar auch mehr, aber nicht so viel mehr, und dagegen wehren sich gerade diejenigen, die bisher das meiste hatten. Das sind die Fachärzte in Bayern und auch ein Teil der Hausärzte.

    Müller: Wir haben jetzt über die Rolle der Ärzte geredet, Herr Lauterbach. Welche Rolle spielen die Kassen?

    Lauterbach: Die Krankenkassen machen ja einen großen Fehler, denn dieser Gesundheitsfonds, den ich ja selbst nie als große Innovation erkennen konnte, hat den einen Vorteil, dass er den Kassen, die viele kranke haben, mehr Geld gibt. Das sind insbesondere die AOKn und gerade die AOK Bayern wird davon stark profitieren. Daher hat es mich überrascht, dass die AOK Bayern sich auf eine solche vertragliche Regelung mit dem Hausärzteverband einlässt. Für die Hausärzte in Bayern wie auch für die AOK in Bayern gilt, hier werden die Hände gebissen, die sie gefüttert haben, denn es war sehr schwer, diese Regelung durchzusetzen. Das ist insbesondere eine Initiative der SPD gewesen, auch von Ulla Schmidt und mir persönlich. Wir haben uns persönlich da sehr stark engagiert. Das war nicht gewünscht von der CDU und somit warne ich auch die Krankenkassen, sich auf solche Spiele einzulassen, denn dann können wir die Unterstützung nicht halten, dann müssen wir das Gesetz ändern, und das wird nicht zum Vorteil der Kassen sein, die viele Chronischkranke haben.

    Müller: Aber was könnten Sie denn auch mit einem neuen Gesetz oder beziehungsweise mit einer Gesetzesänderung erreichen, wenn die Ärzte in ihrer Diagnosetätigkeit doch autonom sind?

    Lauterbach: Es ist ja das besondere, dass die Diagnose, wenn sie fälschlicherweise übertrieben dargestellt wird, ich sage mal wenn aus einem leichten Bluthochdruck ein schwerer Bluthochdruck wird, oder wenn aus einem Schwächeanfall ein Schlaganfall gemacht wird, dann bekommt die Krankenkasse mehr Geld und auch der Arzt bekommt mehr Geld. Würden wir das wieder ändern, wie es in der Vergangenheit war, dann würden natürlich die Ärzte kein Interesse mehr daran haben, diese übertriebenen Diagnosen zu stellen und die Krankenkassen bekämen kein Geld dafür, würden also auch die Ärzte nicht motivieren, das zu tun.

    Müller: Also muss der Weg dahin zurückführen?

    Lauterbach: Das weiß ich nicht. Ich hielte es nach wie vor für besser, wenn wir die Diagnose berücksichtigen beim Honorar. Ich halte den eingeschlagenen Weg grundsätzlich für richtig. Aber wenn der Missbrauch nicht sofort aufhört, dann können wir eine gute Idee so nicht umsetzen - das muss man klar so einräumen -, weil dann sind die Nebenwirkungen zu gravierend. Wir können nicht hier einen komplizierten Kontrollapparat gegen die Manipulation einiger Kassen und einiger Ärzte aufbauen.

    Müller: Wir haben eben in unserem Bericht bereits einen Satz gehört. Ich möchte ihn noch mal sinngemäß zumindest zitieren, Sie dann fragen, ob das in irgendeiner Form realistisch ist, ob das Gültigkeit hat. Der Satz lautet: Gesunde Bürger sind die Feinde des neuen Gesundheitssystems.

    Lauterbach: Das stimmt nicht. Dieser Satz ist aus meiner Sicht übertrieben. Es ist richtig, dass wir viel zu wenig für Vorbeugung tun, und wir müssten Vorbeugeleistungen besser bezahlen. Aber die Honorarreform, die jetzt eingeführt wurde, die sieht auch Anreize dafür vor, dass in Gesundheit investiert wird. Zum Beispiel ist vorgesehen, dass die Menschen, die regelmäßig an Vorsorgeuntersuchungen und an Check Ups teilnehmen, davon auch einen Anreiz haben sollen, einen wirtschaftlichen Anreiz. Aber grundsätzlich ist es so: Die Kombination, mehr Honorar, wenn der Patient kränker ist - das machen wir ja schon im Krankenhaus -, muss bei den niedergelassenen Ärzten genauso sorgsam umgesetzt werden wie im Krankenhaus. Sonst können wir dieses gerechte Prinzip nicht umsetzen.

    Müller: Aber stimmt denn der Satz, dass die Krankenkassen - das ist vielleicht auch gar nicht jetzt so originell, dennoch gefragt - an den Kranken verdienen?

    Lauterbach: Die Krankenkassen verdienen an den Kranken nicht, sondern sie verdienen nach wie vor am besten an demjenigen, der nur Beiträge bezahlt, also immer gesund bleibt. Es ist aber so, dass sie für die Kranken einen Teil der Krankheitskosten zurückbekommen. Das heißt also, wenn hier besonders intelligent dazu aufgerufen wird, die Krankheiten so hoch zu codieren wie möglich, dann bekommen die Kassen einen Teil des Geldes zurück. Sie machen aber dennoch Verluste. Somit ist es, wenn man genau hinschaut, so: wenn derjenige schon krank ist und verursacht Kosten, dann sollen die Krankheiten so inflationär wie möglich beschrieben werden, so dass die Kasse von diesen Kosten so viel wie möglich von den anderen Kassen zurück bekommt. So funktioniert das System. Trotzdem wird es immer so sein, dass die Kasse mit den Kranken Verluste macht. Die Manipulation, die jetzt in Bayern stattfindet oder zu der aufgerufen wird, ist somit eine Manipulation, die die Verluste der Kassen begrenzt. Würde das nicht stattfinden, wären die Verluste noch höher.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Lauterbach: Ich danke Ihnen.