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Es ist an der Zeit, “intensiv diplomatisch und politisch zu agieren“

Das Ausspähen der Regierungschefin eines befreundeten Landes sei schon ein ungewöhnlicher Vorgang, sagt Hans-Ulrich Klose (SPD). Er befürchtet jedoch, dass sich in der Kritik am Vorgehen der USA so etwas wie "latenter Antiamerikanismus" Bahn brechen könnte.

Hans-Ulrich Klose im Gespräch mit Bettina Klein | 26.10.2013
    Bettina Klein: Schon vor zweieinhalb Monaten hatte Präsident Obama die Überprüfung der Geheimdienstaktivitäten angekündigt. Eine spezielle Kommission wurde dazu eingerichtet, die auch damals schon, Mitte August, den Schaden für die internationalen Beziehungen unter die Lupe nehmen sollte. Tenor: Wir wollen nicht alles sammeln, nur weil wir es können! Ergebnisse gibt es aus US-Sicht nicht. Man steht im Augenblick allerdings eher auf dem Standpunkt: Alle tun es, überall, alle wissen das, was also soll die überdimensionierte Empörung in Deutschland?

    Ein Vertrauensbruch, Enttäuschung, Wut, Empörung. Man spürt, wie angefasst deutsche Regierungspolitiker sein müssen, oder dass sie sich zumindest so geben. Von Demütigung ist in Kommentaren die Rede, von Missachtung, von Anstandslosigkeit der USA. Deutschland fühlt sich offenbar kleingemacht von den Amerikanern, das ist die vorherrschende Grundstimmung und Tonlage in der Öffentlichkeit. Wie schlimm also steht es um die transatlantischen Beziehungen, wie sieht er die deutschen Reaktionen im Augenblick, das habe ich eben einen Politiker mit viel Erfahrung in diesem Bereich gefragt: Hans-Ulrich Klose, SPD, bis zuletzt im Bundestag Vorsitzender der Parlamentariergruppe USA.

    Hans-Ulrich Klose: Na ja, das Ausspähen einer Regierungschefin eines befreundeten Landes ist schon ein ungewöhnlicher Vorgang. Wobei ich zugeben muss, ich weiß bis heute nicht ganz genau, ob das eher ein Zufallsergebnis gewesen ist oder das Ergebnis einer gezielten Attacke!

    Klein: Das heißt, auch das geht Ihrer Meinung nach nicht aus diesen Snowden-Dokumenten, auf denen ja die Information fußt, das geht daraus gar nicht hervor, meinen Sie?

    Klose: Ich weiß es jedenfalls nicht genau. Man hört ja immer wieder, dass die Kanzlerin zwei unterschiedliche Handys benutzt, eines, das sozusagen geschützt ist, und ein weiteres privates, mit dem man sie ja auch gelegentlich auf der Regierungsbank sitzen sah, und da hat sie mit dem Handy gearbeitet. Wenn es so gewesen ist, dass die NSA Handy-Verbindungen abgeschöpft hat, dann kann es ein Zufallsergebnis gewesen sein, darüber wird ja auch spekuliert. Also, ich nehme mal ein Beispiel: Die Kanzlerin unterhält sich mit irgendeinem Fraktionskollegen auf dem Handy über Afghanistan, und dann fallen bestimmte Begriffe. Und dann sucht halt der Computer bei der NSA - so stelle ich mir das vor - bestimmte Verbindungen heraus und landet dann möglicherweise zufällig auf dem Handy der Kanzlerin. Ich weiß es aber nicht.

    Klein: Und das wäre dann aus Ihrer Sicht weniger schlimm, als wenn man jetzt von einer gezielten Überwachung ausgehen würde?

    Klose: Nein, das ist auch schlimm. Aber es macht dann doch einen Unterschied, finde ich. Denn dann könnte man sagen, es ist zufällig passiert bei dem Bemühen der NSA, Verbindungen herauszufinden, die auf eine terroristische Aktivität schließen lassen. Das ist es ja, was einem auf dem ersten Blick so stark missfällt, es wird gesagt, das alles geschieht der Sicherheit wegen. Aber dass die Kanzlerin in die Nähe von Terroristen gerückt wäre, das kann man ja nun wirklich nicht unterstellen.

    Klein: Herr Klose, Sie beschäftigen sich seit Langem mit den transatlantischen Beziehungen, sind seit Langem dabei engagiert. Wir hören im Augenblick sehr emotionale Worte hier in der deutschen Öffentlichkeit, die eher an eine schwere Enttäuschung in einer Liebesbeziehung erinnern, denn an ein interessengeleitetes Bündnis zwischen Staaten. Halten Sie das für angemessen?

    Klose: Ich bin ein bisschen irritiert über das, was im Augenblick sich vollzieht. Man kann sagen, ja, das hat etwas mit einer enttäuschten Liebesbeziehung zu tun, auch einer persönlichen, Obama war ja hier und ist immer noch ein vergleichsweise populärer Präsident. Das kann sich allerdings in letzter Zeit geändert haben. Es kann aber auch sein, dass so etwas wie latenter Antiamerikanismus sich jetzt in dieser Situation Bahn bricht.

    Klein: Wo würden Sie den erkennen wollen?

    Klose: Na ja, es hat das immer gegeben und im Augenblick gibt es so eine Tendenz, jedenfalls meine ich, die herauszuhören, den Ugly American wiederzuentdecken, den hässlichen Amerikaner.

    Klein: Mahnen Sie denn dennoch, Herr Klose, eine stärkere Kontrolle der US-amerikanischen Geheimdienstaktivitäten an?

    Klose: Ich habe dafür Verständnis, aber der Politik würde ich raten, in hohem Maße rational zu verfahren und doch davon auszugehen, dass die Beziehungen zwischen Europa und Amerika, und Deutschland und Amerika, wenn man sich die letzten Jahrzehnte ansieht, jedenfalls insgesamt eher sehr positiv sich ausgewirkt haben. Und so was würde ich ungern in öffentlicher Debatte zerreden.

    Klein: Das heißt, Sie würden auch dringend anmahnen, dass in puncto Kontrolle, was die Geheimdienste in den USA angeht, Reformen nötig sind und dass das dringend auch eingefordert werden muss?

    Klose: Darüber muss man reden. Darüber muss man mit den eigenen Diensten reden, wie deren Einschätzung ist - ich gehe davon aus, das geschieht auch -, und man muss darüber mit den Amerikanern reden. Und da gibt es vielfältige Möglichkeiten, unter anderem, wir haben Botschaften in Washington, und die Amerikaner haben Botschaften hier, und da muss man halt miteinander reden, und wenn es wichtig ist, muss man Menschen, die was davon verstehen, in die jeweils andere Stadt schicken und versuchen, herauszufinden, was liegt eigentlich an und was wollen wir gemeinsam, oder gibt es da grundlegende Störungen, an denen gearbeitet werden muss? Ich finde, im Augenblick bewegen wir uns sehr im Bereich der Spekulation, und die Spekulation ist, wie ich finde, kein guter politischer Ratgeber.

    Klein: Es wird ja auch beklagt im Augenblick, dass wir Deutschen offenbar nicht mehr so furchtbar wichtig sind für die USA, dass man mögliche Schäden durch diese Aktion als gering einstuft. Gehört zu dem Bild eventuell auch dazu, dass aufseiten der Amerikaner, was den Bündnispartner Deutschland angeht, in der Tat zumindest hinter vorgehaltener Hand beklagt wird, dass Deutschland nicht der eigenen Wirtschaftskraft entsprechend genügend Verantwortung übernehme und auch deswegen aus Sicht der USA offensichtlich da eine Art Bedeutungsverlust eingetreten ist?

    Klose: Das ist eine Kritik, die wir vielfach hören. Es wird von Deutschland Führung erwartet und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen entsprechend seinen Möglichkeiten. Das ist eine Debatte, der wir uns stellen müssen. Ich habe immer dazu gesagt, ich akzeptiere das Argument, bitte aber auf der anderen Seite zu akzeptieren, dass die erste Verantwortlichkeit der Deutschen darin liegt, die richtigen Konsequenzen aus unserer Geschichte zu ziehen. Und diese Geschichte belastet uns noch immer und sie wird uns auch in Zukunft belasten.

    Klein: Was meinen Sie mit "richtige Konsequenzen aus der Geschichte"?

    Klose: Na ja, wir waren früher ein Land, das großmächtig aufgetreten ist, wir waren sozusagen eine Supermacht auf dem Sprung und haben sehr stark gesetzt auf Macht, und auch militärische Macht. Und das ist uns, wie wir alle wissen, nicht besonders gut bekommen.

    Klein: Deutschland und Brasilien wollen jetzt gemeinsam bei der UNO eine Resolution erwirken zum Thema US-Spionage. Halten Sie das für einen angemessenen Weg?

    Klose: Nein, das halte ich nicht für einen angemessenen Weg. Das ist Imponiergehabe und das hat mit kluger Außenpolitik wenig zu tun.

    Klein: Sagen Sie das, weil Sie glauben, dass das nicht sehr viel Erfolg haben wird, oder kritisieren Sie das als Strategie?

    Klose: Ich kritisiere das als Strategie. Ich gehe immer noch davon aus, dass wir transatlantische Bündnispartner sind, da gibt es im Augenblick Schwierigkeiten, also muss man darüber reden und versuchen, sie zu beseitigen, zu bereinigen. Eine demonstrative Geste, die hier möglicherweise scheitert, aber jedenfalls im Ergebnis nichts bringt, halte ich für, ich sage es mal vorsichtig, unklug.

    Klein: Herr Klose, wie kritisch sehen Sie denn das Verhalten der bisherigen Bundesregierung den Sommer über, als wir die NSA-Affäre mit anderen Aspekten auf der Tagesordnung hatten, der ja Ihre Partei, aber auch andere vorwerfen oder vorgeworfen haben, die Sache zu schnell als beendet erklärt zu haben, und zu wenig entschieden in Washington aufgetreten sind?

    Klose: Das waren Wahlkampfzeiten und das erklärt manches. Ich war bei den Gesprächen, die in Washington geführt worden sind, nicht dabei. Dass es aufseiten der Bundesregierung ein Bestreben gab, die Sache herunterzumänteln, ist unübersehbar. Aber das erklärt sich eben aus der Situation. Und jetzt spätestens ist es an der Zeit, intensiv diplomatisch und politisch zu agieren, aber nicht in öffentlichen Demonstrationen.

    Klein: Der SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk.


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