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"Es ist ein Kampfeinsatz, ganz klar"

Vier Tage nach dem Luftangriff mit mehr als 50 Toten in Afghanistan sind zentrale Fragen noch immer offen. Die Vorsitzende im Verteidigungsausschuss des Bundestags, Ulrike Merten (SPD), hofft auf eine schnelle Aufklärung des Falls. Zudem hält sie es für falsch, das Thema Afghanistan in Wahlkampfzeiten außen vor zu lassen.

Ulrike Merten im Gespräch mit Sandra Schulz | 07.09.2009
    Sandra Schulz: Wir wollen der Frage nachgehen: Was heißt der Vorfall für den ohnehin umstrittenen Bundeswehreinsatz am Hindukusch? Telefonisch verbunden bin ich mit der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Bundestag, mit der Sozialdemokratin Ulrike Merten. Guten Morgen!

    Ulrike Merten: Guten Morgen.

    Schulz: Frau Merten, führen wir Krieg in Afghanistan?

    Merten: Die Soldaten, die in Kundus stationiert sind, fühlen sich sicher im Krieg. Ja, das muss man sagen, wobei in anderen Teilen der Region die Situation anders aussieht und dort haben die Soldaten sicherlich nicht so unmittelbar das Gefühl, in Kampfhandlungen beziehungsweise im Krieg zu sein. Ich will damit sagen, die Situation auch im Norden ist sehr unterschiedlich, und deswegen lohnt es sich, genau hinzugucken. Nach meinem Dafürhalten ist es richtig, sich nicht so sehr um Worte zu streiten, sondern darum: Wie kann es uns auch weiterhin gelingen, so wie wir es in der Vergangenheit versucht haben, für den Wiederaufbau da zu sein, zu sorgen und (ganz wichtig) die Herzen und Köpfe der Afghanen zu gewinnen, denn nur so können wir erfolgreich sein.

    Schulz: Trotzdem, Frau Merten, ganz kurz. Sie sagen, die Soldaten fühlen sich im Krieg. Meine Frage war, führen wir Krieg?

    Merten: Nein. Unter Völkerrechtsbedingungen oder unter völkerrechtlichen Aspekten ist dies kein Krieg. Aber es ist ein Kampfeinsatz, ganz klar, und ich bin sehr dafür, auch deutlich zu sagen, wie gefährlich dieser Einsatz ist, und er ist es auch nicht erst seit wenigen Wochen, sondern er ist es schon des längeren. Deswegen glaube ich, ist es richtig, dies auch deutlich zu sagen. Man hätte dies auch früher tun können. Ich habe mich in der Vergangenheit auch immer sehr darum bemüht, klar zu machen, dass natürlich der Wiederaufbau, der Aufbau einer Zivilgesellschaft, das Ziel ist, Sicherheit in Afghanistan, aber mir war auch immer wichtig, darauf hinzuweisen, dass dies ein gefährlicher Einsatz ist. Wenn er ungefährlich wäre, wenn keine Gefahr drohte, müsste die Bundeswehr dort nicht sein.

    Schulz: Frau Merten, aus der Europäische Union kommt ja ziemlich harsche Kritik. Der schwedische Außenminister Bildt sagt, spricht übrigens von Krieg, "wir gewinnen diesen Krieg nicht, indem wir töten". Der französische Außenminister Kouchner spricht von einem großen Fehler. Für wie berechtigt halten Sie diese Kritik?

    Merten: Ich glaube, es ist richtig, darauf hinzuweisen, dass es natürlich darum geht, möglichst zivile Opfer zu vermeiden. Das ist doch ganz klar, weil wir so ganz bestimmt nicht die Zustimmung und die Unterstützung der Afghanen gewinnen können. Das ist überhaupt gar keine Frage. Und dass es auch immer um die Verhältnismäßigkeit der angewandten Mittel geht, das weiß die Bundeswehr und in der Vergangenheit ist dies auch ganz klar Maxime des Handelns gewesen. Das ist schon völlig klar. Aber ich sage auch, zum jetzigen Zeitpunkt weiß man noch nichts genaues, es muss alles sehr genau aufgeklärt werden. Ich glaube, dass auch die deutschen Soldaten allergrößtes Interesse daran haben, dass die Dinge aufgeklärt werden, und da warten wir doch jetzt nun sehr gespannt auf das, was wir dazu hören werden.

    Schulz: Und wann rechnen Sie da mit Aufklärung?

    Merten: Es sind ja, so weit ich weiß, inzwischen Untersuchungsteams im Norden angekommen. Wie schnell die Aufklärung vonstatten gehen wird weiß ich nicht, aber ich bin eben auch sehr gespannt, was wir als Verteidigungsausschuss morgen dazu hören werden. Ich beklage ja sehr, dass es hier eine wirklich mehr als zurückhaltende Informationspolitik des Bundesverteidigungsministers gegeben hat. Ich bin verärgert darüber, dass er sich in der Presse und auch sein parlamentarischer Staatssekretär sich in der Presse sehr ausführlich geäußert hat, ohne dass es eine umfänglichere Information des Parlaments gegeben hätte. Ich finde, das hätte an erster Stelle stehen müssen.

    Schulz: Das heißt, in der Frage sind Sie dann bei der Partei Die Linke, die ja auch für morgen die aktuelle Stunde beantragt hat?

    Merten: Ich habe das unabhängig von der Meinungsäußerung der Partei Die Linke getan, sondern ich habe das von Anfang an als Manko empfunden. Ich glaube, es hätte die Möglichkeit gegeben, seit Freitag die Parlamentarier zu unterrichten, mehr zu unterrichten, als das in einer kurzen schriftlichen Mitteilung geschehen ist.

    Schulz: Frau Merten, Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier hat Ende August ja angekündigt, dass er einen Fahrplan für den deutschen Abzug aus Afghanistan mit dem neuen Präsidenten verabreden will. Wird die SPD dem Thema gerecht, indem sie es für den Wahlkampf instrumentalisiert?

    Merten: Ich würde es nicht als Instrumentalisierung im Wahlkampf bezeichnen, sondern das, was Frank-Walter Steinmeier sagt, liegt ja auf der Hand, denn mit dem "Afghan Compact", liegt ja im Grunde genommen ein Plan der internationalen Gemeinschaft vor, in dem Ziele vereinbart worden sind, die dann auch nachzuhalten sind. 2010 läuft dieser " Afghan Compact" aus beziehungsweise das ist der Zeitpunkt, zu dem man wirklich nachhalten will: Was ist erreicht worden?. Deswegen ist es richtig zu sagen, diese Ziele, die wir da vereinbart haben, müssen mit den Bemühungen der afghanischen Regierung abgeglichen werden und dann muss entschieden werden, was kann die afghanische Regierung selbst auch dazu tun, was hat sie dazu bisher getan, dass sie in der Lage ist, die Entwicklung ihres Landes selbst zu steuern und in die Hand zu nehmen. Insofern ist das etwas, was aus meiner Sicht sich jetzt nicht nur im Wahlkampf aufdrängt, aber ich hielte es auch für falsch, jetzt nicht darüber zu sprechen, nur weil wir Wahlkampf haben.

    Schulz: Wenn das richtig ist, teilen Sie dann auch die Einschätzung des früheren Kanzlers Schröder, der ja 2015 als Abzugstermin ins Gespräch gebracht hat?

    Merten: Ich habe Gerhard Schröder so verstanden – ich habe ihn ja nicht direkt gehört, sondern habe gelesen, was er gesagt hat -, dass das kein Widerspruch ist zu dem, was Frank-Walter Steinmeier vorschlägt und auch dazu gesagt hat. Auch Gerhard Schröder geht davon aus, dass ein sofortiger Rückzug verantwortungslos wäre, wir die Afghanen damit alleine ließen, und er auch davon ausgeht, dass der Einsatz noch einige Jahre dauern wird. Aber auch er spricht davon zu überprüfen, welche Ziele sind erreicht, wie realistisch ist es, in den nächsten Jahren Engagement zu vermindern. Insofern sehe ich keinen Widerspruch zu dem, was Frank-Walter Steinmeier gesagt hat.

    Schulz: Frau Merten, mit Blick auf die Uhr mit einer möglichst kurzen Antwort. 2015 als fester Abzugstermin ja oder nein?

    Merten: Ich würde mich auf keinen Zeitpunkt festlegen wollen, aber ich sage schrittweise zu überprüfen, wie weit sind wir mit unseren Zielen gekommen, um dann wirklich auch einen Fahrplan zu haben, wann das Engagement reduziert werden kann und wann es verantwortlich ist, es zu beenden. Das halte ich für richtig.

    Schulz: Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Ulrike Merten (SPD), heute in den "Informationen am Morgen". Haben Sie herzlichen Dank.

    Merten: Gerne.