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"Es ist eine Katastrophe"

Der Chefökonom der Deutschen Bank, Norbert Walter, hat deutliche Kritik am deutschen Steuersystem geäußert. Es müsse Steuergesetze geben, die die Menschen nicht gleich animieren, darüber nachzudenken, wie sie Abgaben vermeiden können.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Nach dem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" beraten also möglicherweise Privatbanken ihre Kunden gezielt zu Stiftungen in Liechtenstein und verwalten deren Gelder. Vor der Sendung und also vor Bekanntwerden dieser Meldung war der Chefvolkswirt der Deutschen Bank Norbert Walter bei uns im Studio. Hätte er angesichts der breiten Steuerrazzien und der vielen Hundert Ermittlungsfälle so etwas in Deutschland für möglich gehalten?

    Norbert Walter: Ja, aber natürlich nicht gewünscht und lange daran gearbeitet und mit vielen darüber gesprochen, dass wir Bedingungen schaffen sollten, dass uns so etwas erspart bleibt.

    Engels: Wie könnten diese Bedingungen aussehen?

    Walter: Dass wir wieder eine ethische Gesellschaft werden. Dass Regeln nicht nur prinzipiell gelten, sondern effektiv. Aber auch, dass man durch staatliche Regeln, zum Beispiel durch Steuergesetze, nicht die Köpfe und Herzen vor allem mit Steuervermeidung befasst, sondern mit den Aufgaben, für die Bedürfnisse der Menschen zu arbeiten und einfachere Steuersysteme zu haben und Steuersysteme, die, was die Belastung anlangt, vergleichbar sind mit den Belastungen in zivilisierten, anderen Ländern. Und an beiden Stellen sündigt Deutschland, die deutsche Gesellschaft. Wir haben keine Ethik, und wir haben nichts, was man Steuersystem nennen könnte. Es ist eine Katastrophe. In unserem Land gewinnt ein Bundeskanzler eine Wahl und Stimmen dadurch, dass er sagt, der Professor aus Heidelberg, Kirchhof, hat für das Land eine einfache, eine klare, eine vernünftige steuerliche Regelung auf den Weg bringen wollen, eine, die in Mittel- und Osteuropa in immer mehr Ländern umgesetzt wird. Wir brüsten uns, eine steuerliche Regelung zu haben, die gerecht ist. Sie ist nicht gerecht. Sie sorgt dafür, dass die Herzen und Köpfe der Menschen nicht bei dem sind, wofür wir eigentlich gebraucht werden, zur marktorientierter Tätigkeit. Stattdessen verbringen viele Leute ihre Zeit mit der Frage, wie vermeide ich, Steuern zu zahlen. Und dies ist entsetzlich.

    Engels: Nun erleben wir, dass im Zuge dieser Steuerrazzia auch das Verhältnis zwischen Deutschland und Liechtenstein sich deutlich verschlechtert. Gestern gab es große Vorwürfe von Seiten Liechtensteins an Deutschland. Man betreibe dort Hehlerei. Das bezieht sich darauf, dass die Daten ja eben erworben wurden durch den BND. Wie beurteilen Sie dieses Vorgehen?

    Walter: Ich kenne meine Grenzen, ich bin Ökonom. Ich habe von Juristerei nur rudimentär Ahnung. Ich hab zwar ein bisschen was dafür studieren müssen, um mein Examen zu machen, aber ich nenne mich da keinen Experten. Ich finde es entsetzlich, wenn man sich mit Menschenhehlern befasst, und ich bin in Sorge, dass das Vertrauen der Bürger stark erschüttert ist, und ich bin in großer Sorge, dass nunmehr eine Schlammschlacht beginnt, und in dieser Schlammschlacht nicht nur für viele viel Schande entsteht, sondern auch für diejenigen, die einen schlechten Charakter haben, ein Anreiz, demnächst Rufmord zur organisieren und dafür Geld zu verdienen. Und in dieser Frage wünschte ich beispielsweise, dass auch der Journalismus sich seiner künftigen Schwierigkeiten bewusst wird. Das wird eine ganz schreckliche Situation. Anwälte, Journalisten werden von jenen, die Schlammschlacht lieben und sich im Schlamm wohlfühlen, benutzt werden. Unser Land wird ein unappetitlicher Platz.

    Engels: Wir haben es hier natürlich direkt mit zwei verschiedenen Problemen zu tun. Auf der einen Seite sprechen Sie an: Hehlerei, wenn Sie das Wort verwenden, heißt, wie kommt man an solche Daten. Auf der anderen Seite, sollte es sich bewahrheiten, haben wir es eben mit einem massiven Unrechtsverhalten zu tun. Und in der öffentlichen Wahrnehmung scheint es im Moment so zu sein, dass das Verhalten der Bundesregierung eher toleriert wird, solche Daten zu nehmen, um eben solchen mutmaßlichen Steuersündern auch auf die Spur zu kommen.

    Walter: Ich habe ja meine Beurteilung genannt. Ich weiß, dass andere andere Beurteilungen haben. Das habe ich zur Kenntnis zu nehmen. Ob ich dazu sagen soll, dass ich das zu respektieren habe, würde ich bezweifeln. Aber ich nehme das zur Kenntnis. Das ist Teil unserer Unkultur, dass das so ist. Wir sollten vielleicht mal formulieren, was sehr relevant ist. Deutsche Finanzinstitute werden seit langer Zeit, was die Daten, die wir über unsere Kunden haben, nicht mehr geschützt. Es gibt kein Bankengeheimnis in Deutschland mehr. Haben wir dafür Lob bekommen, dass wir nunmehr ganz transparent sind, für uns als Häuser und für unsere Kunden? Warum bekommen wir jetzt um die Ohren, dass diese Regeln nicht global gelten? Das wäre ein interessanter Punkt. Aber eine auf Gesetz und Recht aufbauende Bundesregierung hätte die Verhandlungen mit benachbarten Ländern, die befreundet sind, vorher suchen sollen und Regeln etablieren sollen, die den Zugriff auf jene, die unser Steuersystem umgehen, möglich machen, statt Unrecht zu begehen.

    Engels: Da hake ich noch einmal ein: SPD-Chef Kurt Beck fordert im Magazin "Der Stern", ich zitiere: "Im äußersten Fall seien Sanktionen gegen Liechtenstein sinnvoll, falls dieses Land Ausländern weiterhin Steuerhinterziehungen ermöglicht." Was halten Sie von dieser Idee?

    Walter: Zuerst mal sollte man die Fakten, Behauptungen überprüfen, bevor man sie wiederholt. Und zweitens habe ich gerade gesagt, dass ich mir gewünscht hätte, dass die Bundesregierung und die Europäische Kommission ihre Mittel einsetzt, um ähnliche Transparenz, wie wir sie für den EU-Raum durchgesetzt haben, auch für andere Räume zu fordern und, wenn irgend möglich, durchzusetzen.

    Engels: Kommen wir noch auf einen anderen Themenkomplex zu sprechen, die Bankenkrise, ausgelöst durch die US-Immobilienkrise, beschäftigt nach wie vor auch gerade Deutschland. Wir haben jetzt wieder neu erlebt den Fall der BayernLB. Wie kommt man da raus, ist jetzt der Boden erreicht, Ihrer Einschätzung nach?

    Walter: Wir wissen, dass nicht alle Finanzinstitutionen, vor allem jene, die nur jährlich berichten müssen, schon berichtet haben. Daraus ist klar abzuleiten, dass wir noch nicht einmal Kenntnis über die im Jahre 2007 abgewickelten und entstandenen Probleme haben, geschweige denn über denkbare Probleme, Weiterungen, die im Jahre 2008 oder danach auftreten. Mit anderen Worten, wir sind nicht durch. Es ist offenkundig, dass die Verengung der Debatte auf Subprime und die Verbriefungen, die damit verbunden sind, in meinem Urteil den Blick auf das Hauptproblem verstellt. Und dieses Hauptproblem ist es, dass abzuarbeiten ist nämlich die Schieflage an sehr vielen Immobilienmärkten der Welt, nicht nur in den USA, in sehr vielen anderen Ländern, wie Irland, England, Spanien, Australien, wahrscheinlich auch China. Überall dort haben Wohnungen und Gewerbeimmobilien Preisniveaus erreicht, die irreal hoch sind, die zu korrigieren sind, die nur deshalb so hoch wurden, weil man sich gar nicht mehr um die Nutzung dieser Gebäude kümmern musste, sondern immer jemanden fand, der das Objekt zu einem noch höheren Preis kaufte. Warum? Weil die Zinsen zu niedrig waren. Nun sind die Zinsen höher, die Kreditrisiken sind höher, und es gibt höhere Risikozuschläge bei der Kreditvergabe, und damit wird nun dieser Prozess abgewickelt, rückwärts abgewickelt. Und diese Rückwärtsabwicklung sorgt für Rezession im Immobilienbereich, sorgt für Rezession im Baubereich, sorgt für dramatische Korrekturen in Teilen des Bankgeschäfts und des Kapitalmarktgeschäfts und wird damit dafür sorgen, dass wir über längere Zeit, in meinem Urteil eben ein breites Konjunkturtal bekommen, ausgehend von den USA, auch in anderen Ländern. Und das wird seine Spuren in den Bankbilanzen natürlich hinterlassen.

    Engels: Es ist auffällig, dass gerade Landesbanken mit den Subprime-Krediten, mit anderen Verschuldungen sich da deutlich verhoben haben, deutliche Milliardenverluste aufgetürmt haben. Ist dieses System der Landesbanken noch zukunftsfähig?

    Walter: Das haben am Ende die Ministerpräsidenten und die Landesregierungen, die die Anteilseigner sind, zu beurteilen. Ich glaube, da gibt es sehr kritische Analysen. Ich glaube, dass die positive Haltung, die die Politik so lange hatte, diesem Teil des deutschen Finanzwesens gegenüber stark brüchig ist und große Zweifel bestehen, ob man das fortsetzen kann und will, welche Antworten man in dieser Situation findet. Ob eine Konsolidierung dieser im Wesentlichen ja auf Bundesländer hin konzipierten Einrichtung angesichts der Stärke der Fürstentümer in dieser Republik möglich ist, darf man bezweifeln. Ob eine Zentralinstitution gut ist, weiß man auch nicht. Aber es ist ganz offenkundig, dass viele dieser Einrichtungen nicht glaubten, dass sie mit ihrem angestammten Geschäftsmodell genügend Kunden haben, genügend Geschäft machen können, denn sonst hätten sie ja nicht solche risikoreichen Alternativengeschäfte betrieben. Es schickt sich einfach für eine private Bank nicht, der Konkurrenz zu sagen, was sie machen soll, weil es so leicht interpretiert wird, als ‚jetzt sind aber die privaten Banken froh, eine Konkurrenz zu verlieren’. Und deshalb die Herren Ministerpräsidenten und die anderen Verantwortlichen müssen über ein funktionierendes Geschäftsmodell in diesem Bereich sehr intensiv nachdenken. Und ich vermute, die Zukunft sieht ganz anders als die Vergangenheit war.

    Engels: Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, im Interview des Deutschlandfunks.