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"Es ist kein Verzicht auf Dauer"

Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hat erhebliche Meinungsunterschiede hinsichlich eines möglichen Beitritts der Ukraine und Georgiens innerhalb der NATO eingeräumt. In der Ukraine stehe die Bevölkerung nicht hinter dem Beitrittswunsch der Regierung, und in Georgien müssten zunächst innere Konflikte gelöst werden, betonte Arnold.

02.04.2008
    Kaess: Es ist das 20. Gipfeltreffen der NATO, zu dem die 26 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer in der rumänischen Hauptstadt zusammenkommen. Im Mittelpunkt des dreitägigen Treffens stehen die Erweiterungspläne der NATO sowie das neue Konzept für den Afghanistan-Einsatz. Außerdem soll auf dem NATO-Russland-Rat das wegen des Streits über das geplante US-Raketenschild angespannte Verhältnis mit Moskau beraten werden.
    Am Telefon ist jetzt Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag Herr Arnold!

    Arnold: Schönen guten Tag!

    Kaess: Herr Arnold, es gibt wie wir gehört haben Uneinigkeit über eine spätere Mitgliedschaft von Georgien und der Ukraine. Ist die NATO gespalten?

    Arnold: Ich denke, dass jetzt nicht von Spaltung zu reden ist, aber klar: Es gibt hier erhebliche Meinungsunterschiede. Und ich denke die Bundeskanzlerin sollte bei ihrer Position unbedingt bleiben. Es ist ja kein Verzicht auf Dauer, die Ukraine und Georgien zu integrieren, sondern die Frage ist, ist jetzt schon der geeignete Zeitpunkt, oder muss in der Ukraine zunächst mal innerhalb der Bevölkerung ein breiteres Bewusstsein für die NATO geschaffen werden und in Georgien innere Konflikte gelöst sein.

    Kaess: Das heißt, Herr Arnold, auch in Ihren Augen sind Georgien und die Ukraine noch nicht qualifiziert, noch nicht einmal als Kandidaten für den Beitritt aufgenommen zu werden?

    Arnold: Sie sind noch nicht qualifiziert, in den "Membership Action Plan" aufgenommen zu werden, der ja schon sehr konkrete Stufen vorsieht.

    Kaess: Das heißt Kandidaten?

    Arnold: Als Kandidaten für die Zukunft sind sie sicherlich geeignet.

    Kaess: Die Uneinigkeit darüber im Bündnis, schadet die der NATO?

    Arnold: Die NATO ist ein Bündnis von souveränen Staaten und es gibt dort Einstimmigkeitsprinzip. Und ich glaube die NATO müsste eher noch mehr auch ein politisches Forum des transatlantischen Dialoges werden. Insofern sind die Diskussionen dort eher hilfreich.

    Kaess: Schauen wir noch mal auf Georgien und die Ukraine und deren Bedürfnisse. Der georgische Präsident Saakaschwili sagt, wenn die Staats- und Regierungschefs nicht den so genannten Aktionsplan für die Vorbereitung auf eine Mitgliedschaft beschließen, dann stärkt das die aggressiven Kräfte im Kreml, in Moskau.

    Arnold: Dies würde ich nicht so einschätzen. Ich denke es wäre alles viel einfacher, wenn Georgien und die Ukraine dann in den Aktionsplan aufgenommen werden, wenn dies auch mit einer gewissen Akzeptanz unserer russischen Partner geschieht. Wir müssen ein großes Interesse daran haben, dass Russland auch nicht das Gefühl hat, immer mehr von NATO-Entscheidungen in Bedrängnis zu geraten - in erster Linie politische Bedrängnis. Es ist ja keine wirkliche militärische.

    Kaess: Aber spielt man damit nicht den Drohungen Russlands in die Hände, wenn man darauf Rücksicht nimmt?

    Arnold: Ich glaube, dass es notwendig ist, dass dieses große Land - wir haben gemeinsame Interessen - eng einbezogen ist in die Prozesse in Europa und in der NATO. Insofern spielt man dem nicht in die Hände, sondern es muss unser Ziel sein, die Partnerschaft zu Russland auch weiterhin zu stärken und die Einbindung auch in die NATO von Russland zu stärken.

    Kaess: Da haben Sie die gleiche Position wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier der sagt, es gebe in diesem Jahr keinen zwingenden Grund, nach dem großen Konflikt um die Souveränität des Kosovo das Verhältnis zu Russland einer weiteren Belastung - so wörtlich - auszusetzen. Das bedeutet aber eigentlich, Russland hat ein Veto.

    Arnold: Ich glaube nicht, dass Russland ein Veto hat. Aber es ist doch gut, nach diesen schwierigen Fragen in den Entscheidungen im Kosovo auch wieder eine Zeitphase zu haben, in der wieder Vertrauen aufgebaut werden kann. Man braucht in der Diplomatie eben auch Zeit und darf die Dinge nicht übers Knie brechen. Da fürchte ich schon, dass der amerikanische Präsident jetzt glaubt, am Ende seiner Amtszeit eine Dynamik in manche Prozesse reinzubringen, die diplomatisch eher kontraproduktiv wäre.

    Kaess: Das heißt Deutschland liegt definitiv nicht auf der Linie Washingtons?

    Arnold: In diesem Punkt haben wir als Bundesrepublik eine andere Auffassung, ja!

    Kaess: Schauen wir auf das Thema Afghanistan, das auch eines der Themen auf dem Gipfel sein wird. Ist mit der Ankündigung von US-Präsident Bush, er erwarte keine deutschen Truppen zum Kampfeinsatz im Süden, der Streit um einen deutschen Kampfeinsatz im Süden vom Tisch?

    Arnold: Wir sind schon froh über diese Ansage des amerikanischen Präsidenten, weil da manche zugespitzte Diskussion, die wir in Deutschland auch selbst mit verursacht haben, wieder auf den Boden gebracht wird. Die Deutschen mussten sich auch in der Vergangenheit nie immer als erste angesprochen fühlen, wenn es darum geht, mehr Verantwortung für Afghanistan zu übernehmen. Wir leisten mit dem drittstärksten Kontingent eine ganze Menge und diese Aufteilung, dass die Deutschen die Verantwortung primär im Norden haben, hat ja nicht Deutschland erfunden, sondern dies ist ein NATO-Beschluss und deshalb muss sich Deutschland dafür auch nicht rechtfertigen.

    Kaess: Die Haltung von US-Präsident Bush ist die eine Seite. Auf der anderen wollen auch andere Nationen im Bündnis mehr deutsches Engagement - zum Beispiel Großbritannien oder die Niederlande. Was sagen Sie denen?

    Arnold: Ich würde sehr begrüßen, wenn alle Beteiligten - fast 40 Nationen in Afghanistan - darüber nachdenken, was können sie zusätzlich für den Prozess in Afghanistan leisten, auch gegenüber ihren Gesellschaften und den Parlamenten verantworten. Dies wäre glaube ich die richtige Fragestellung, nicht immer auf den nächsten und auf den Nachbarn zu schauen, sondern jeder sollte sich selbst fragen, was kann er zusätzlich tun. Dort muss im Mittelpunkt stehen die Ausbildungsanstrengungen für die afghanische Armee und vor allen Dingen auch für die Polizei, die Polizei deutlich zu verstärken. Dies muss der nächste Schritt sein, weil darüber zunächst mal eine Chance bestehen könnte, das Engagement mittelfristig auch wieder zu reduzieren, wenn die Afghanen eben selbst in der Lage sind, Stück für Stück für ihre Sicherheit zu sorgen.

    Kaess: Und da sind Sie guter Hoffnung, dass man über diese Strategie sich auf dem Gipfel einigen kann?

    Arnold: Ich weiß nicht, ob ich da guter Hoffnung bin. Ich würde mir aber wünschen, dass unterschiedliche Zeitschienen an die Prozesse in Afghanistan angelegt werden. Dass das Missverständnis aufhört, wenn jemand sagt, wir sind noch viele Jahre dort, man dann gleichzeitig glaubt, wir sind noch viele Jahre mit demselben militärischen Engagement in Afghanistan verpflichtet wie im Augenblick. Nein! Es geht darum, jetzt vielleicht sogar mehr zu tun, damit wir auf der zweiten Zeitschiene dann die Chance haben, den Afghanen in diesen Distrikten, in denen es relativ ruhig ist - und es sind immerhin drei Viertel des Landes ohne Anschläge in diesem Jahr -, der afghanischen Gesellschaft selbst die Sicherheitsverantwortung zu übertragen. Und dann gibt es die dritte Zeitschiene; das ist die langfristige. Dort wird es dann eher darum gehen, eine Sicherheitsvorsorge zu betreiben und Afghanistan beim zivilen, kulturellen, wirtschaftlichen Aufbau zu helfen. Ich würde für die NATO-Konferenz das für ganz wichtig finden, dass hier auch materiell feste Zusagen gemacht werden, dass die Afghanen sich darauf verlassen können, dass auch in fünf, in acht, in zehn Jahren die Finanzierung ihrer Sicherheitsorgane durch die Staatengemeinschaft gewährleistet ist, weil sie selbst haben überhaupt nicht die Mittel, ihre Armee und ihre Polizei tatsächlich zu bezahlen. Hier verbindliche Zusagen zu machen und einen entsprechenden Phasenplan zu entwickeln, das würde ich mir schon von diesem Gipfel in Bukarest wünschen.

    Kaess: Das Thema Raketenabwehr wird auch eine Rolle spielen. Wir hören uns mal an, was Verteidigungsminister Franz Josef Jung heute Morgen in unserem Programm dazu gesagt hat:

    " Uns geht es darum, dass es hier nicht zu einer Spaltung kommt, dass hier das amerikanische System möglichst verbunden werden kann mit einem System der NATO, um sozusagen eine einheitliche Schutzfunktion für Europa zu haben und nicht eine Spaltung Europas oder der NATO-Staaten. Bisher ist das System so konzipiert, dass Teile Europas nicht davon abgedeckt sind. Deshalb denke ich ist es richtig, wenn wir hier darüber sprechen, eine NATO-Ergänzung, wenn ich das so formulieren darf, vorzunehmen, um eine gesamte Schutzfunktion für Europa und für die NATO zu erstellen. Das ist der Punkt, um den es geht."

    Kaess: Franz Josef Jung heute Morgen im Deutschlandfunk. - Das heißt, Herr Arnold, er ist grundsätzlich für das System. Ist das auch Ihre Position?

    Arnold: Nein! Ich denke wir haben hier in der Koalition unterschiedliche Positionen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Vereinigten Staaten ihr Raketenabwehrsystem teilweise auch bilateral mit den Tschechen und den Polen installieren. Das muss aber für uns nicht bedeuten, dass dies bei der NATO dann ganz oben auf der Agenda steht und dass die NATO ein eigenständiges System vor allen Dingen für Südeuropa installiert. Wir sind der Meinung, es ist nicht die Zeit dafür. Die Bedrohungslage gibt dies nicht her. Die Diplomatie auch gegenüber dem Iran ist noch nicht am Ende. Und eines dürfen wir nicht vergessen: Der Aufbau eines solchen Systems würde innerhalb der NATO (also auch von Deutschland) unglaubliche Finanzmittel binden, die wir aus meiner Sicht viel eher brauchen, um Kommunikationstechnologie und vor allen Dingen den Schutz der Soldaten in den Auslandseinsätzen zu gewährleisten. Ich glaube nicht, dass dieser Weg, den der Verteidigungsminister vorschlägt, richtig ist und er wird sicherlich auch von unserer Koalition, von der SPD-Fraktion äußerst kritisch bewertet.

    Kaess: Und - Herr Arnold noch kurz zum Schluss - diese Position nehmen Sie ein mit Rücksichtnahme auf Russland?

    Arnold: Nein. Diese Position nehmen wir nicht ein mit Rücksichtnahme auf Russland, weil ein Raketenabwehrsystem für Südeuropa nun definitiv nichts mit Russland zu tun hätte. Die nehmen wir ein, weil wir die Bedrohungsanalyse nicht so sehen, dass der Iran uns in den nächsten zwei, drei Jahren akut gefährden kann.

    Kaess: Aber Russland ist auch dagegen!

    Arnold: Das ist der Grund und der zweite Grund ist: Man kann das knappe Geld innerhalb der NATO und innerhalb der Verteidigungspolitik immer nur einmal ausgeben und dies hat bei uns eben nicht die erste Priorität.

    Kaess: Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch!

    Arnold: Danke auch. Auf Wiederhören!