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"Es ist sehr enttäuschend, wie die Welt damit umgeht"

Der Bericht der UNO-Inspekteure zum Giftgaseinsatz in Syrien beweise, dass das syrische Regime für die Angriffe verantwortlich sei, sagt der syrische Oppositionelle Sadiqu Al-Mousllie. Enttäuscht ist er, wie die Welt auf diese Beweise reagiert. Das syrische Leid sei "eine Ware für die internationale Politik geworden."

Sadiqu Al-Mousllie im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 17.09.2013
    Tobias Armbrüster: Wochenlang haben wir darauf gewartet, gestern Abend war es so weit: Die Waffeninspekteure der UNO, die tagelang in Syrien unterwegs waren, haben in New York ihren Bericht vorgelegt. Und die Zahlen und Fakten, die sie in Syrien zusammengetragen haben, die sprechen eine eindeutige Sprache: Ja, im Bürgerkrieg in Syrien wurde Ende August Giftgas eingesetzt, und ja, es war ein Einsatz im großen Stil. Wir wollen wissen, wie diese Informationen jetzt bei der syrischen Opposition ankommen. Am Telefon ist Sadiqu Al-Mousllie, er ist Mitglied des syrischen Nationalrates und er arbeitet als Mediziner in Braunschweig. Schönen guten Morgen, Herr Al-Mousllie.

    Sadiqu Al-Mousllie: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Al-Mousllie, können Sie uns jetzt sagen, auf wessen Konto diese Angriffe mit Giftgas Ende August gehen?

    Al-Mousllie: Ich möchte erst mal den Begriff Bürgerkrieg kommentieren. Ehrlich gesagt sind wir als syrische Opposition damit definitiv nicht einverstanden, denn für uns ist die ganze Geschichte ein Regime, das brutal ist. Es greift die Zivilbevölkerung an und sicherlich gibt es einige bewaffnete Gruppierungen, die sich verteidigen gegen so ein Regime. Das ist das eine.
    Das andere, um auf Ihre Frage einzugehen: Das ist ein Bericht. Für uns war es schon klar, wer das gemacht hat, denn so, wie es bis jetzt gelaufen ist, ist das in einer natürlichen Schutzumgebung der Freien Syrischen Armee passiert, und das wäre absolut nicht denkbar, dass die Freie Syrische Armee oder dass die bewaffnete Opposition das macht.

    Armbrüster: Was macht Sie da so sicher? Warum wäre das nicht denkbar?

    Al-Mousllie: Weil die Freie Syrische Armee würde nicht ihre eigene natürliche Schutzumgebung angreifen. Da sind die Familien der Kämpfer, da sind die Verwandten der Kämpfer, die Häuser der Kämpfer. Man greift nicht seine eigene Schutzumgebung an, um irgendetwas zu provozieren, und schon gar nicht eine internationale Staatengemeinschaft, die seit zweieinhalb Jahren nur zuschaut, wie die Syrer eigentlich getötet werden. Deswegen ist das für mich sicher wie das Amen in der Kirche, dass so etwas absolut nicht denkbar von der bewaffneten Opposition kommt. Der Bericht beweist das!

    Armbrüster: Aber wenn man zumindest damit möglich machen würde, dass zum Beispiel die USA eingreifen würden, dann wäre das doch durchaus eine Option?

    Al-Mousllie: Wenn Sie in Syrien wären, dann würden Sie auch wissen, dass Leute, die seit zweieinhalb Jahren vielleicht auf eine Hilfe von der Weltgemeinschaft hoffen, durch so eine Geschichte mit Sicherheit nicht besser und weiterkommen würden. Der Bericht beweist jetzt noch mal, wenn man sachlich damit umgeht, nach den Beweisen, nach den Proben, die die Inspektoren mitgenommen haben, die Medizinproben zeigen das, Urinproben, Blutproben, dass auch Sarin benutzt worden ist. Es wurde auch mit einer Waffe oder mit Raketen, die nur das Regime besitzt, [...], und das beweist zu 100 Prozent, dass dieser Angriff durch das Regime und durch die Regime-Milizen gemacht worden ist. Abgesehen davon: Es gibt auch Satellitenaufnahmen, die zeigen, dass in dem Zeitpunkt Stellungen der Regime-Truppen mit mehreren Raketen auf diese Orte östlich und westlich von Damaskus, in Utor, in Zamalka, Ein Tarma und [...].

    Armbrüster: Herr Al-Mousllie, wenn das alles jetzt schon vorher klar war, war dieser Bericht der UNO-Waffeninspekteure dann unnötig?

    Al-Mousllie: Wissen Sie, aus unserer Sicht: Wir kennen das Regime besser als alle anderen. Aber trotzdem: Die Welt soll die Beweise haben. Die Welt soll den Weg gehen, den sie braucht, um eine vernünftige Antwort auf so ein brutales Regime zu haben. Aber wir weisen immer darauf hin, dass jeder Tag, der weitergeht, sind 80 bis 100 Menschenleben in Syrien. Zeit ist in Syrien im wahrsten Sinne des Wortes Blut, denn das syrische Blut wird weiterhin vergossen durch ein brutales Regime, das von Russland und dem Iran unterstützt wird. Auf der anderen Seite sieht man natürlich ein gewisses Zögern, ein gewisses, ich möchte sagen, Zuschauen bis dato und man reduziert das ganze auf chemische Waffen beziehungsweise den Einsatz der chemischen Waffen gegen die Zivilbevölkerung. Man vergisst aber dabei die 150.000 Toten, die bis jetzt gefallen sind, und das geschah mit konventionellen Waffen. Da ist kein Verhältnis und das ist das, was uns als Syrer unverständlich ist. Wie kann die Welt da einfach so weit zuschauen!

    Armbrüster: Ich möchte trotzdem noch mal auf diesen Bericht zurückkommen, weil der ja nun wirklich seit gestern groß in den Nachrichten ist, und wir berichten natürlich auch immer über die vielen anderen Toten in diesem Krieg. Aber noch mal zu dem Bericht. Die UNO-Waffeninspekteure äußern sich jetzt ja wie angekündigt nicht zu einer Verantwortlichkeit. Sie sagen nicht, das geht auf das Konto der Rebellen oder auf das Konto der syrischen Armee, des Regimes von Assad. Ist dieser Bericht dann für Sie eigentlich wertlos?

    Al-Mousllie: Er ist insoweit nicht wertlos, weil er auf jeden Fall Hinweise bringt und Beweise bringt, dass diese Sachen nur durch das Regime verarbeitet und besessen werden konnten.

    Armbrüster: Aber gerade darüber geht ja jetzt wieder der Streit los.

    Al-Mousllie: Genau, und das ist für uns einfach ein Zeitgewinn eigentlich. Die Russen spielen ein sehr gekonntes Spiel in diesem Fall und die internationale Weltgemeinschaft leider Gottes spielt dieses Spiel mit auf Kosten der Syrer. Der Streit darüber, wer das gemacht hat, ist aus unserer Sicht schon entschieden, denn die Sachen, die man gefunden hat und gelesen hat im Bericht, die Art der Waffe, die benutzt worden ist, das ist das eine. Das Zweite ist die Qualität des Sarins, das eingesetzt worden ist. Das ist ein so hochqualitatives, ich sage mal, Sarin-Gas, das niemand sonst besitzt außer das syrische Regime. Also es sind mehrere Hinweise und Beweise aus meiner Sicht. Man muss einfach nur endlich mal wirklich das einsehen. Aber wir wissen auf der anderen Seite, dass die Russen auf jeden Fall dieses Spiel weitertreiben wollen, weil das ist eigentlich das, was sie von vornherein beabsichtigt haben. Das Regime hat schon 48mal chemische Waffen eingesetzt, aber dieses Mal war es das erste Mal, dass es so großflächig war und mit so vielen Opferzahlen.

    Armbrüster: Herr Al-Mousllie, wenn Sie sich jetzt angucken, wie auf einmal wieder die diplomatische Karte gezogen wird, wie auf einmal wieder verhandelt wird mit dem Regime in Damaskus, erkennen Sie die Welt dann noch wieder?

    Al-Mousllie: Es ist enttäuschend. Es ist sehr enttäuschend, wie die Welt damit umgeht. Wir wissen und sehen aber seit zweieinhalb Jahren, dass leider die syrische Bevölkerung und das syrische Leid eine Ware für die internationale Politik geworden ist. Deswegen haben wir gewarnt und warnen wir, je länger das dauert, desto problematischer werden die Verhältnisse auf dem Boden, nämlich dass auch Gruppierungen vom Ausland ins Land reinsickern, und irgendwann mal werden wir die Lage nicht mehr beherrschen können. Wenn wir den französischen Präsidenten gestern hören und er sagt, er wird auf jeden Fall die moderate Opposition unterstützen, damit die Syrer nicht zwischen dem Regime oder irgendwelchen extremistischen Gruppierungen wählen müssen, wäre das eigentlich ein Ansatz, wo die Welt auch aufbauen muss und soll. Aber man muss handeln und bis jetzt bleibt das Handeln leider weg.

    Armbrüster: Sadiqu Al-Mousllie war das live hier heute bei uns in den "Informationen am Morgen". Er ist Mitglied des syrischen Nationalrates. Besten Dank, Herr Al-Mousllie, für das Gespräch.

    Al-Mousllie: Bitteschön.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.