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"Es muss gewährleistet sein, dass man schnell reagieren kann"

Werner Langen (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, spricht sich dafür aus, diesem für die Euro-Rettung mehr Zuständigkeiten zu übertragen. Dazu sei aber eine Vertragsänderung auf europäischer Ebene notwendig, die erst in zwei bis drei Jahren zu erreichen sei.

Werner Langen im Gespräch mit Peter Kapern | 02.09.2011
    Peter Kapern: Es klingt wie der Versuch, die Quadratur des Kreises hinzubekommen. Auf der einen Seite muss das wichtigste Recht eines Parlaments, das Budget-Recht, verteidigt werden. Keinen einzigen Euro darf eine Regierung ausgeben, der nicht zuvor von den Abgeordneten bewilligt worden ist. Das gilt auch in der Finanzkrise und das gilt längst nicht nur für den Bundestag. Der Bundestag pocht deshalb darauf, alle finanzrelevanten Entscheidungen des Euro-Rettungsschirms abzusegnen.
    Auf der anderen Seite muss der Euro-Rettungsschirm aber vor allem eines können, nämlich den Euro retten, und dafür muss er manchmal ziemlich schnell sein, genauso schnell wie die Finanzmärkte, wie die hektischen Über-Nacht-Rettungsaktionen der Vergangenheit gezeigt haben.
    Steht der Parlamentarismus der Mitgliedsstaaten also möglicherweise der Euro-Rettung im Weg? – Am Telefon bei uns ist jetzt Werner Langen, der Chef der Unions-Abgeordneten im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Langen.

    Werner Langen: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Langen, bevor wir uns jetzt um die Details der Rettungsmechanismen und –Schirme kümmern, sollten wir vielleicht eine andere Frage klären. Es sieht so aus, als würde Griechenland das nächste Etappenziel bei der Sanierung der Staatsfinanzen verpassen. Die Wirtschaft schrumpft immer stärker, die Staatseinnahmen sinken, eine Regierungskommission in Athen sagt knapp und bündig, die Staatsfinanzen sind außer Kontrolle. Lässt sich die Insolvenz Griechenlands eigentlich noch verhindern?

    Langen: Davon gehe ich aus, dass die Insolvenz Griechenlands verhindert werden kann. Sie müssen sehen: Die Sparprogramme für Griechenland sind ein mittel- und langfristiges Programm. Versäumte Strukturreformen kann man nicht innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen lösen. Das ist das eigentliche Problem Griechenlands, und deshalb brauchen die Griechen vorübergehende Hilfe. Ich bin optimistisch, es gibt genug Beispiele aus den letzten Jahrzehnten in anderen Staaten, dass ein solches mittelfristiges Programm gelingen kann. Aber Griechenland hat natürlich erheblichen Nachholbedarf und sie sind selbstverantwortlich für ihre Verschuldung.

    Kapern: Aber, Herr Langen, da gibt es doch einen Fahrplan, der vorsieht, bis wann welches Zwischenziel bei der Sanierung der Staatsfinanzen, beim Wirtschaftswachstum erreicht werden soll, und das funktioniert doch alles offenbar gar nicht.

    Langen: Da wäre ich vorsichtig. Richtig ist, dass es in Irland und Portugal sehr gut funktioniert, dass die Griechen aber aufgrund ihrer vielfältigen Probleme bei den Staatseinnahmen, bei Strukturreformen, beim aufgeblähten öffentlichen Dienst, bei einer ungeheueren Ausgabenfreude in den letzten Jahren, dass die länger brauchen werden. Das ist längst klar! Es könnte natürlich am Ende dazu kommen, dass man trotz der Hilfsmaßnahmen ohne einen Schuldenschnitt nicht zurechtkommen wird. Das muss aber Griechenland selbst entscheiden. Die Griechen haben die Verantwortung.

    Kapern: Ein anderes Sorgenkind in Europa, Italien, geht auch seltsam mit seinen Sparbemühungen um. Silvio Berlusconi, der übrigens kürzlich in einem Telefongespräch mit einem Journalisten gesagt hat, Italien sei ein Scheißland – das waren wirklich seine Worte -, Silvio Berlusconi hat also ein Sparpaket geschnürt, dann hat die EZB Staatsanleihen, italienische Staatsanleihen aufgekauft, und kurz darauf schnürt Berlusconi das Sparpaket wieder auf. Wie bewerten Sie so was?

    Langen: Also das Zitat von Herrn Berlusconi habe ich weder gehört, noch gelesen. Ich glaube es auch nicht ohne Weiteres, dass das seine wahre Aussage war, sondern vielleicht hat sie sich auch bezogen auf Prozesse. Italien ist einer der größeren Staaten in der Euro-Zone, deshalb hat Italien mit seiner relativ hohen Staatsverschuldung möglicherweise besondere Probleme. Aber Italien ist ein wirtschaftsstarkes Land. Die Regierung hat Probleme, sowohl der Finanzminister als auch der Regierungschef auf anderen Gebieten, und ich hätte mal gerne gesehen, ob es in Deutschland möglich gewesen wäre, innerhalb weniger Tage und dann noch in den Ferien so schnell zu reagieren auf einen moderaten Zinsanstieg für italienische Staatsanleihen. Also ich bin da viel optimistischer, denn Italien hat bereits bei der Einführung des Euros bewiesen, dass es seine Schulden abbauen kann.

    Kapern: Nun pocht also – und damit zu meiner eingangs formulierten Ausgangsfrage – der Bundestag darauf, jede finanzrelevante Entscheidung des Rettungsschirms für den Euro vorher abzusegnen. Das werden die anderen Parlamente in den anderen EU-Mitgliedsstaaten ja auch so halten wollen. Ist der Rettungsschirm damit eigentlich noch flexibel und schnell genug?

    Langen: Ja. Die entscheidende Frage ist, ob die Politik in der Lage ist, gegenüber den Spekulanten und gegenüber den Reaktionen der Märkte schnell genug zu reagieren, wenn irgendetwas schief läuft. Und der Rettungsschirm ist so angelegt, dass er schnell reagieren kann, ohne dass 17 Mitgliedsstaaten, 17 Parlamente der Euro-Zone vorher darüber im Einzelnen entscheiden. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass natürlich der Deutsche Bundestag bei der Beschlussfassung, möglicherweise auch bei einzelnen neuen Programmen mitentscheiden will. Ich halte das absolut für gerechtfertigt. Und die Lage ist in den 17 Staaten der Euro-Zone ohnehin sehr unterschiedlich. In neun Staaten von 17 ist die Parlamentsbeteiligung nach der Verfassung notwendig, in sieben überhaupt nicht, in Italien ist es noch nicht geklärt. Das heißt also, wir haben ganz unterschiedliche Verfassungsgrundlagen. Und in Deutschland hat das Verfassungsgericht und das Grundgesetz klare Vorgaben gemacht, und ich verstehe, dass der Deutsche Bundestag entweder bei wichtigen Grundsatzentscheidungen das Plenum, oder bei operativen Entscheidungen der Haushaltsausschuss mitreden will. Das kann man voll und ganz unterscheiden und verstehen. Aber es muss gewährleistet sein, dass man schnell reagieren kann.

    Kapern: Wie macht man das denn?

    Langen: Darüber wird ja beraten in den Fraktionen des Deutschen Bundestages. Wir haben nächste Woche noch zusätzlich ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten. Im Rahmen der Beratungen über die Annahme des Rettungsschirms, die Zustimmung zum Rettungsschirm, werden die Fraktionen möglichst alle, möglichst übergreifend, zumindest wenn man von den Linken vielleicht absieht, hier gemeinsame Vorschläge erarbeiten, denn eine solch weitgehende Bürgschaft – um die handelt es sich ja – für die Stabilisierung der Euro-Zone muss, sollte eine möglichst breite Zustimmung im Deutschen Bundestag finden.

    Kapern: Wäre es nicht besser, wenn all diese Zuständigkeiten beim Europaparlament liegen würden als zentrale parlamentarische Instanz in Europa?

    Langen: Das ist sicher eine Alternative, die allerdings Vertragsänderungen erfordert. Vertragsänderungen kann man allenfalls in zwei bis drei Jahren hinbekommen. Das jetzige Programm ist intergouvernemental, das heißt zwischen den Regierungen vereinbart. Es gehört nicht zur originären europäischen Aufgabe, sondern es sind bilaterale Bürgschaften innerhalb der Euro-Zone. Wir fordern seit Langem, dass es eine Vertiefung in dieser Frage bei der Verbesserung des Stabilitäts- und Wachstumspakts und damit auch eine Einbindung des Europaparlaments und eine Mitverantwortung geben soll. Der Weg dazu wird weit sein, aber ich erkenne eine zunehmende Bereitschaft, sich darüber offensiv zu unterhalten, auch in anderen Staaten.

    Kapern: Wolfgang Schäuble soll ja bei der Sitzung des Unions-Fraktionsvorstands genau diese Vertragsänderung gefordert haben. Das berichtet heute die Bildzeitung. Er will mehr Europa, er will ein Vertragsänderungsverfahren. Ihre Unterstützung hätte er damit?

    Langen: So detailliert ist das Vertragsänderungsverfahren mit konkreten Vorschlägen noch nicht diskutiert worden. Aber die Unterstützung der Europaparlamentarier haben Herr Schäuble und Frau Dr. Merkel sicher.

    Kapern: Hätten die denn auch die Unterstützung aus anderen EU-Mitgliedsstaaten, denn mit dem letzten Vertragsänderungsverfahren hätte die EU ja beinahe Schiffbruch erlitten?

    Langen: Ja gut, das letzte kleinere Vertragsänderungsverfahren ging innerhalb weniger Wochen über die Bühne.

    Kapern: Ich meine natürlich das Große, den Lissabon-Vertrag.

    Langen: Der Lissabon-Vertrag hat eine fast zehnjährige Vorgeschichte. In diesen zehn Jahren sind zwölf neue Mitgliedsstaaten dazugekommen, und das war eines der Probleme der Durchsetzung des Lissabon-Vertrages. Die neuen Mitgliedsstaaten aus Ost- und Mitteleuropa und Südeuropa haben sich dort etwas schwer getan. Wenn wir heute eine Vertragsänderung machen werden, dann könnte ich mir vorstellen, dass es eine Vertragsänderung gibt für diejenigen, die als eine Art Avantgarde vorgehen wollen, nämlich speziell für die Euro-Zone.

    Kapern: Und Sie glauben, dort würde das auf allgemeine Zustimmung stoßen?

    Langen: Also in Europa ist nichts leicht, weil wir natürlich im Lissabon-Vertrag jetzt mit 27 Mitgliedsstaaten immer noch sehr komplizierte Entscheidungsmechanismen haben. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Krise der Euro-Länder – es ist ja keine Krise des Euros selbst; der Euro ist nach innen und außen stabil: niedrige Inflationsrate, sehr hohe Bewertung gegen Dollar und den Währungen verschiedener Schwellenländer, aufstrebender Schwellenländer -, es ist keine Euro-Krise, sondern es ist eine Krise der Euro-Mitgliedsstaaten. Und deshalb wird es einen Zwang geben, dass man auch über eine Vertragsänderung nachdenkt, über automatische Sanktionen, wenn Verstöße da sind, über eine parlamentarische Legitimierung durch das Europäische Parlament. Das sind Dinge, die jetzt in Bewegung kommen.

    Kapern: Stichwort automatische Sanktionen. Da sind ja die Mitgliedsstaaten und das Europaparlament derzeit überhaupt nicht überein. Das Europaparlament fordert automatische Sanktionen gegen Haushaltssünder, gegen diejenigen also, die mehr als drei Prozent Neuverschuldung auftürmen pro Jahr. Nun scheint Frankreich einzulenken und sagt, nein, wir wollen nicht mehr darauf beharren, dass es Sanktionen nur bei einer qualifizierten Mehrheit im Ministerrat gibt, sondern uns reicht schon eine einfache Mehrheit. Ist das ein Weg, auf den sich das Europaparlament einlassen könnte?

    Langen: Wir haben in 95 Prozent der Vorschläge, die von der Kommission erarbeitet und vom Rat und vom Parlament verabschiedet werden müssen, Übereinstimmungen mit dem Rat getroffen. Es geht lediglich um den sogenannten präventiven Arm, also die vorbeugenden Maßnahmen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Hier verlangen wir automatische Sanktionen und nicht einen vorherigen Beschluss des Finanzministerrats mit qualifizierter Mehrheit. Frankreich ist jetzt einen kleinen Schritt entgegengekommen, indem es nur noch eine einfache Mehrheit fordert, aber das reicht nicht. Wir werden weiter darauf bestehen, dass man die Maßnahmen nur mit einer Mehrheit stoppen kann, aber dass die Beschlüsse keine Voraussetzung für den Start der Sanktionen sein werden. Das ist der Streitpunkt, denn bisher gab es eine Vielzahl von Verfahren gegen einzelne Mitgliedsstaaten, die auf dem falschen Weg waren, die in der Euro-Zone gegen die Maastricht-Kriterien verstoßen haben, und so gut wie nie, unter Führung von Deutschland und Frankreich im Jahre 2003 und 2004 erstmals praktiziert, gab es diese notwendigen Mehrheiten im Finanzministerrat. Das heißt, dieses Gremium muss in seiner Verantwortung als Kontrolleur und Beteiligter verändert werden, aber nicht als Voraussetzung. Das hat sich nicht bewährt.

    Kapern: Das heißt, das Europaparlament wird dieser französischen Initiative nicht zustimmen?

    Langen: Wir freuen uns darüber, dass Frankreich sich jetzt endlich bewegt, aber die Bewegung reicht noch nicht.

    Kapern: Werner Langen war das, der Chef der Unions-Abgeordneten im Europaparlament, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Langen, ich bedanke mich für das Gespräch. Auf Wiederhören und schönen Tag noch.

    Langen: Auf Wiederhören, Herr Kapern.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.