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"Es war fast Töten auf Vorrat"

Das Dokudrama "Eine mörderische Entscheidung" versucht zu rekonstruieren, wie es zum NATO-Angriff auf zwei Tanklaster in Kundus 2009 kam. Der damals verantwortliche Oberst der Bundeswehr, Georg Klein, hatte in Kauf genommen, dass Zivilisten starben. "Das war eine Gewissensentscheidung", sagt Regisseur Raymond Ley.

Raymond Ley im Corsogespräch mit Eric Leimann | 30.08.2013
    Eric Leimann: Soll der Zuschauer ein Urteil fällen über Oberst Klein - ist das ein Ziel?

    Raymond Ley: Also, wir bieten ja verschiedene Motive an, warum es zu dieser Entscheidung in dieser Nacht kam. Der Bundestagsabgeordnete Arnold sagt selbst, dass das Motiv von Oberst Klein an diesem Abend sich verändert hat. Also von "troops in contact" bis zu einer offensiven Operation. Das sind zwei Sachen, die eigentlich miteinander nichts zu tun haben. Und dann überlegt er noch, sozusagen vier Terroristen zu töten, die ihm namentlich bekannt sind, mit denen er sozusagen in den letzten Monaten - so nehme ich an - dort in Kundus auch zu tun hatte.

    Also - er guckt auch auf einen militärischen Erfolg. Also was tun wir? Wir richten eine Motivlage aus, wir bewerten es ja nicht mit einer abschließenden Tafel: Diese Entscheidung war falsch! Sondern Ramms sagt, General Ramms sagt: Hätte es andere Möglichkeiten gegeben und die gab es, hätte man anders entscheiden müssen. Also deswegen - in toto - war diese Entscheidung falsch. Und am Ende sitzt Oberst Klein da und sagt: Tja, was wollen Sie denn? Der Gouverneur hat gesagt: 65 Aufständische wurden getötet. Wenn da Zivilisten waren, selber Schuld. Zitat-Ende. Ich finde, das wirft einen weiten, dunklen Schatten auf diese Entscheidung in der Nacht.

    Leimann: Ist es in militärischen Denkweisen trotzdem ein skandalöses Vorgehen, weil - ja - wo steht denn geschrieben, wie viele Kollateralschäden oder wie viele Zivilisten man riskieren darf, um soundso viele Führer oder Taliban-Soldaten zu töten?

    Ley: Die Kollateralschäden sind ja in Summe nicht fixiert. Also, wenn jetzt Klein davon ausgeht, da sind 60 Taliban und er muss dann in Kauf nehmen und er nimmt dann sozusagen den Tod von Kindern und Frauen in Kauf, dann ist das eine Gewissensentscheidung. Die trifft er in diesem Moment. Und wenn ihm dann noch gesagt wird, da sind nur Schuldige, wenn er sich dann auf diese eine Quelle verlässt, dann trifft er diese verheerende Entscheidung.

    Leimann: Sagt der Film dann letztendlich auch aus, dass, wer als militärischer Führer gute Entscheidungen treffen will, muss sich vor allem mit den richtigen Beratern umgeben? Ist das dann vielleicht ein ganz entscheidender Punkt in der militärischen Organisation und Entscheidungsfindung?

    Ley: Das mag so sein, aber das kann ich letztlich nicht bewerten. Wir haben Piloten, die massiv sozusagen zweifeln an dem, was ihnen die Deutschen sagen. Sie sehen nicht die unmittelbare Gefahr. Sie fragen immer wieder nach: Sind diese Passagiere, sind diese Leute an den Tanklastern wirklich feindlich? Stimmt das? Und die Deutschen sagen: Diese Leute sind feindlich! Ja, worauf verlassen sie sich? Auf die Einschätzung der B1-Bomber, die vorher da waren, auf die Einschätzung des Informanten oder auf das Gefühl, dass in dieser Gegend, aus der sie immer beschossen wurden, eigentlich nur Feinde leben? Also da kommt wirklich eine ziemlich ungute Gemischtwarenlage zusammen, die diese Entscheidung nicht besser macht.

    Leimann: Und das Fazit ist dann, im Endeffekt, das, was man schon aus vielen Kriegen und Kriegsfilmen gewonnen hat, dass es im Krieg eben keine hundertprozentig richtigen Entscheidungen und immer fatale Fehlentscheidungen gibt?

    Ley: Ja, aber hier ist es anders. Es gab keine "troops in contact". Es gab keine Soldaten, die dort Feindberührung hatten. Die dort in Kämpfen lagen. Die gab es nicht. Oberst Klein hatte keine Soldaten, die dort vor Ort in Gefahr waren. Deswegen war es fast Töten auf Vorrat.

    Leimann: Sie haben versucht, mit Oberst Klein für den Film in Kontakt zu treten? Was haben Sie für Versuche unternommen?

    Ley: Also wir haben mehrfach versucht, über Vorgesetzte, über das Ministerium mit ihm Kontakt aufzunehmen. Die Redaktion hat versucht, mit ihm sehr unkonventionell Kontakt aufzunehmen, um ihn zu einer persönlichen Stellungnahme zu bewegen. Das hat er alles mitsamt entweder negiert oder hat uns über seinen Anwalt schreiben lassen, dass er zu keinem Interview bereitsteht.

    Leimann: Weiß man, inwieweit da persönliche Motive eine Rolle spielen und wieweit man ihm einfach einen Maulkorb verpasst hat?

    Ley: Das kann ich nicht sagen, in wieweit persönliche Motive in der Absage zu unserer Interviewanfrage mitgespielt haben, aber ich glaube mal, dass ganz klar sich das Verteidigungsministerium mit Klein in Benehmen gesetzt hat, ob man ihn für Interviews freigibt und das hat man negativ entschieden.

    Leimann: Es gab meines Wissens keinerlei Interviews mehr von Oberst Klein oder keinerlei Gespräche mit der Presse nach dem Ereignis?

    Ley: Es gab irgendwie ein Gespräch mit Ulrike Demmer vom Spiegel - direkt einen Tag später - und da hat sie ihn als gebrochenen Mann erlebt. Der sehr beeindruckt war ob der Verhältnisse und immer wieder betont hat, dass diese Entscheidung richtig gewesen sei. Er war aber da schon sehr mitgenommen. Also - man weiß ja auch in dieser Nacht hat dann die Task Force festgestellt, nachdem Klein den Kommandostand verlassen hat, so sagte jedenfalls der Offizier im Untersuchungsausschuss, dass es ihm wohl nicht so besonders gut ginge und man solle sich doch um den Oberst kümmern. Und der Weg von Oberst Klein war dann der Weg in die Kirche, in das Gotteshaus dort im Militärlager. Um zu beten, um um Vergebung zu bitten? Ich weiß es nicht ...

    Leimann: Sie haben ja auch dazu eine Szene in dem Film drin, wie der Oberst mit dem Militärpfarrer spricht. Ist dieses Gespräch fiktional oder ist das in irgendeiner Form verbürgt, was da gesagt wurde?

    Ley: Also - es verbindet den Oberst und den Pfarrer eine lange Beziehung, eine lange Freundschaft oder so - sagen wir mal: Klein ist gläubig. Er hat dort die Kirche sehr oft besucht, hat sehr oft Kontakt mit dem Pfarrer gehabt und der Pfarrer fasst es ja dann auch zusammen, dass er sagt, dass er letztendlich den Soldaten befohlen hat, die Angreifer zu töten. Das war auch das Fazit der Gespräche, das war auch das Fazit der Ängste, die Klein über den Pfarrer gespiegelt hat. Dass er natürlich mit dieser neuen Situation anders umgehen musste und er spricht ja am Ende davon, dass er Gott um Vergebung gebeten hat. Das ist ja dann die Vorlage für dieses Gespräch mit dem Pfarrer bei uns im Film.

    Leimann: Wie sind Sie überhaupt mit dem Verhältnis zwischen fiktionalen und tatsächlich stattgefundenen Gesprächen und Ereignissen umgegangen? Was in dem Film ist eins zu eins so passiert oder so gesagt worden und was ist dann und warum fiktional draufgesetzt worden?

    Ley: Ein hoher Prozentsatz der Szenen hat eine Bewandtnis, hat sozusagen eine Quelle. Auch dieses Gespräch mit dem Pfarrer resultiert aus dem Interview, was ich mit dem geführt habe und wo der mir erläutert hat, also welche Themen er mit Klein berührt hat. Bei diesem Film haben wir natürlich eine besondere Situation. Der Hauptprotagonist sagt nicht aus, steht für Interviews nicht zur Verfügung und ist dann mit Interviews vorher auch nicht wesentlich hervorgetreten. Das heißt: Hier begeben wir uns natürlich in einen Bereich rein, wo die Dokufiktion so einen Charakter reflektieren muss und eine Deutung finden muss - was ich aber vollkommen berechtigt finde.

    Leimann: Ist es nicht dann - wenn man einen Gesprächspartner, einen Hauptprotagonisten nicht zur Verfügung hat - besonders schwierig, wenn man eigentlich das Ziel hat oder wie man es letztendlich im fertigen Film sieht, dass man so eine Charakterstudie zeigen will: Wie geht der Mensch mit seiner Schuld um?

    Ley: Natürlich ist das Dokudrama im besten Sinne nicht immer nur Nacherzählung. Sondern es ist natürlich auch Reflexion und Erweiterung. Es ist natürlich in dem Kern auch eine künstlerische Deutung: Wie hätte es sein können? Was letztlich jede Romanvorlage auch macht, wenn sie einen historischen Charakter erklärt. Bei Klein ist es natürlich so, dass wir hier eine Deutung sehen wollen. Wir wollen sozusagen ein bisschen auf das Gewissen - und diese Entscheidung in dieser Nacht ergründen ...

    Leimann: Wenn Sie jetzt den Charakter Klein am Ende erklären müssten, von welchen Motiven er getrieben war in dieser Nacht, welche Gemengelage war das dann?

    Ley: Ich glaube, es war einfach eine Gemengelage aus einer Bedrohung, es war eine Gemengelage sozusagen aus der Erwartung an die eigene Funktion, an die eigene Karriere. Ich will ihm kein Rachemotiv in sich unterstellen, aber am Ende dieser halbjährigen Dienstzeit - das Lager wurde permanent beschossen - da kommt schon ein sehr starkes Motiv zusammen, um in dieser Nacht zu reagieren: Er hatte getötete Soldaten - politischer Druck, militärischer Druck, Druck von den Afghanen vor Ort, ja - die Deutschen seien ja nur Weicheier, sie würden nicht entscheiden, sie würden nicht agieren. Und jetzt steht er sozusagen in diesem Kommandostand und kann entscheiden, ja? Und kann vielleicht einen militärischen Erfolg herbeiführen und trifft dann diese verheerende Entscheidung.


    "Eine mörderische Entscheidung", Fr. 30.8., 20.15 Uhr bei ARTE und Mi. 4.9., 20.15 Uhr im Ersten