Archiv


Jung: Stimmungslage war medial hochgezogen

Franz Josef Jung bekräftigt, dass er nach dem deutschen Luftangriff auf das afghanische Kundus zuerst keine Informationen über zivile Opfer hatte. Er sei zurückgetreten, um "Schaden von der Bundeswehr abzuwenden". Eine Wahl, so der ehemalige Bundesverteidigungsminister, habe er damals nicht gehabt.

Franz Josef Jung im Gespräch mit Anne Raith |
    Anne Raith: Der Kundus-Untersuchungsausschuss war im Dezember 2009 angetreten, um ein Ereignis aufzuklären, das zu den tiefsten Zäsuren in der Geschichte der Bundeswehr zählt. In der Nacht zum 4. September 2009 bombardierte ein Kampfjet in Afghanistan zwei Tanklaster auf deutschen Befehl hin. Wie viele Menschen bei dem Angriff bei Kundus starben, ist bis heute nicht geklärt. Gestern nun hat der Untersuchungsausschuss seine Arbeit beendet. Über 40 Zeugen wurden gehört, über 300 Aktenordner ausgewertet, über 550 Seiten an Bewertung verfasst. Das Ergebnis: Streit in den zentralen Fragen.

    Einer, der damals in der Kritik stand und im Zuge der sogenannten Kundus-Affäre dann zurückgetreten ist - wir haben es eben gehört -, ist der ehemalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung, zum Zeitpunkt seines Rücktritts schon Bundesarbeitsminister. Heute sitzt der CDU-Politiker im Innenausschuss des Bundestages. Einen schönen guten Morgen, Herr Jung.

    Franz Josef Jung: Guten Morgen, Frau Raith.

    Raith: Herr Jung, Stück für Stück wurde jetzt im Untersuchungsausschuss versucht, alle Schritte zu rekonstruieren. Wie oft rekonstruieren Sie eigentlich gedanklich das, was da im Herbst 2009 passiert ist und ja zu Ihrem Rücktritt geführt hat?

    Jung: Das habe ich schon sehr oft rekonstruiert. Aber ich glaube, der große Fehler, der heute gemacht wird, ist, dass man sich nicht in die unmittelbare Lage versetzt, in der damals Oberst Klein war. Das war eine unglaublich angespannte Situation, weil die Taliban aus meiner Sicht vorhatten, direkt vor der Bundestagswahl auch auf die Stimmungslage in der deutschen Bevölkerung zu zielen und zusätzliche Anschläge gegen die Bundeswehr durchzuführen. Oberst Klein hatte in seiner Zeit vier gefallene Soldaten zu beklagen gehabt, er hatte 20 verwundete Soldaten, die Situation hat sich dramatisch zugespitzt, und wir hatten sehr konkrete Informationen, dass die Taliban einen großen Anschlag gegen uns geplant haben, gegen das Lager in Kundus, und auch mit Tanklastwagen. Und jetzt müssen Sie sich vorstellen: Dann erfahren sie als Kommandeur in der Nacht, zwei Tanklastwagen sind in die Hand der Taliban geraten, ein Fahrer ist umgebracht worden, und das nur sechs Kilometer vom Lager entfernt, und dann bleiben die stecken in einer Furt, und sie stellen sich die Frage, wie können sie sozusagen verhindern, dass ein Anschlag auf die Soldaten durchgeführt wird, und sie entscheiden sich dann für diesen Luftschlag, auch nachdem sie die Information haben, das sind nur Taliban, und es war übrigens die Nachtzeit um halb zwei, ...

    Raith: Das heißt, Herr Jung, ... Entschuldigung!

    Jung: Sodass sie auch davon ausgehen konnten, dass keine zivilen Bürger mehr dort vorhanden waren.

    Raith: Herr Jung, Entschuldigung. Das heißt, Sie haben, ich nehme an, den Untersuchungsausschuss verfolgt. Der hat aber nichts an Ihrem Eindruck geändert, dass der Luftschlag gerechtfertigt war?

    Jung: Ich habe damals an der Seite von Oberst Klein gestanden und tue das auch noch heute. Und ich will Ihnen auch sagen: Damals ist ziemliche Kritik auf Oberst Klein hereingeprasselt vonseiten der Außenminister, von damals dem NATO-General McChrystal, und ich finde, wenn ein Verteidigungsminister Soldaten in einen solch gefährlichen Einsatz schickt und sie zu einer solchen Entscheidung kommen, dass es dann die Pflicht und die Schuldigkeit eines Verteidigungsministers ist, an der Seite seiner Soldaten zu stehen und sich nicht wegzuducken, und das gilt für mich auch noch heute.

    Raith: Gerade in diesem Fall hat die SPD ja der Regierung und dann namentlich auch Ihnen als Verteidigungsminister eine Mitschuld an den Zuständen gegeben. Sie hätten damals die Wirklichkeit in Afghanistan mit den zunehmenden Kämpfen einfach viel zu lange verdrängt.

    Jung: Das ist einfach unzutreffend. Selbstverständlich haben wir die Lage realisiert. Wir haben auch die Situation dort verstärkt, was soldatischen Einsatz anbetrifft. Ich habe selbst auch von kriegsähnlichen Situationen gesprochen, Gefechtssituation, in die wir gekommen sind. Das ist leider Gottes der Fall gewesen. Aber die Wahrheit ist auch, dass ich zunächst die Meldung bekommen habe, Schlag gegen die Taliban gelungen. Ich habe ja noch - also der Luftschlag war in der Nacht von Donnerstag auf Freitag - am Samstagabend selbst mit Oberst Klein gesprochen, weil ich mich vergewissern wollte, nachdem es Meldungen gab, die Situation sieht doch anders aus. Oberst Klein hat mir noch mal sehr dramatisch seine Situation geschildert. Er hat mir auch - ich habe das noch heute in Erinnerung - gesagt, wenn es zivile Opfer gegeben hätte, hätten die Taliban sie bewusst dort demonstrativ liegen lassen. Sie hatten aber alle Leichen weggeräumt, als die deutschen Soldaten kamen. Ich will nur meine Informationslage schildern.

    Nachher hat sich die Situation anders entwickelt. Aber ich habe auch bereits am Sonntag dann, als McChrystal gesagt hat, sind zivile Opfer, davon gesprochen, dass wenn es zivile Opfer gegeben hat, wir das sehr bedauern. Das habe ich dann auch in der Regierungsdebatte am Dienstag getan. Also von daher habe ich selbstverständlich auch die Situation ziviler Opfer nicht ausgeschlossen, wenn auch meine Information am Anfang eine andere war.

    Raith: Sie sprechen die Informationspolitik von damals an, die ein weiterer Streitpunkt auch in der Kundus-Affäre und jetzt im Untersuchungsausschuss war. Die Opposition wirft Ihnen nach wie vor, die Vorgänge aus falsch verstandener Loyalität vernebelt zu haben.

    Jung: Also das ist einfach unzutreffend. Ich sage noch einmal: Ich bin und bleibe dabei, dass ein Verteidigungsminister, der Soldaten in solch gefährliche Einsätze schickt, wenn sie in einer solchen Situation, wie ich sie Ihnen gerade beschrieben habe, zum Schutz der eigenen Soldaten eine solche Entscheidung treffen, dass dann der Verteidigungsminister an der Seite seiner Soldaten zu stehen hat, wenn es entsprechende Kritik gibt, und sich nicht wegducken darf, und das habe ich getan und dazu stehe ich auch weiterhin.

    Raith: Das heißt, Sie haben sich ausreichend informiert gefühlt und haben auch die Öffentlichkeit ausreichend informiert?

    Jung: Ich habe meine Informationen auch gegenüber der Öffentlichkeit so weitergegeben. Ich hatte diese Informationen, dass es zunächst nur Taliban waren, aber als sich die Situation anders dargestellt hat, habe ich sofort - und zwar am Sonntag - auch von zivilen Opfern gesprochen. Und ich hatte mich, um das auch zu sagen, am Sonntag noch mit General McChrystal, dem NATO-General, verständigt, dass wir eine NATO-Untersuchung machen, eine neutrale Untersuchung, weil ich nicht wollte, dass uns vorgeworfen wird, die Bundeswehr untersucht und sie untersucht parteiisch, und dann erfahre ich später, dass es einen Feldjägerbericht gab. Da habe ich mich noch aufgeregt, weil ich gesagt habe, wie kommen die eigentlich dazu, ich habe vereinbart, dass die NATO das untersucht. Dann war auch klar, dass der Feldjägerbericht sehr belastend ist für unsere Soldaten, und ich habe gesagt, das geht auf jeden Fall zur NATO, denn die NATO ist die neutrale Instanz, die die Untersuchung durchführt. Von daher, denke ich, habe ich auch insofern korrekt gehandelt.

    Raith: Um diesen Feldjägerbericht ging es dann auch später bei Ihrem Nachfolger, Karl-Theodor zu Guttenberg, der von vorenthaltenen Informationen gesprochen hat und zwei Leute entlassen hat. Hat er Sie damit zum Rücktritt gedrängt?

    Jung: Also zunächst einmal will ich sagen, auf den Feldjägerbericht kam es nicht an. Es kam auf die NATO-Untersuchung an. Und er hat eine Entscheidung getroffen, die er aufgrund mangelnden Vertrauensverhältnisses getroffen hat. Aber ich denke - und das sage ich im Hinblick auf meine Person im Umgang sowohl mit dem Staatssekretär als auch mit dem Generalinspekteur -, dort habe ich beiden keine Vorwürfe zu machen.

    Raith: Von Sündenböcken war jetzt im Untersuchungsausschuss die Rede. Würden Sie sich im Nachhinein auch als Sündenbock sehen?

    Jung: Also das würde ich so nicht bezeichnen. Die Situation war unglaublich aufgeheizt. Es war eine Stimmungslage, die auch medial sehr, sehr hochgezogen war. Und natürlich war es so: Nachdem der Generalinspekteur entlassen war, nachdem der Staatssekretär entlassen war, hat sich sofort die Frage natürlich an den Minister gestellt, und von daher ging es mir auch darum, Schaden von der Bundeswehr abzuwenden. Aber viele Bürger fragen sich natürlich heute noch oft und sagen, das war doch eigentlich gar nicht notwendig. Also wenn man den Sachverhalt sich sinnvoll und korrekt vor Augen führt, kann ich denen auch nur zustimmen.

    Raith: Ganz kurz, Herr Jung: Hatten Sie eine Wahl?

    Jung: Eine Wahl hatte ich, glaube ich, in der damaligen aufgeheizten medialen Situation nicht.

    Raith: ... , sagt der ehemalige Bundesverteidigungsminister und heutige CDU-Bundestagsabgeordnete Franz Josef Jung im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Haben Sie besten Dank, Herr Jung.

    Jung: Gerne, Frau Raith.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.