Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


"Es war selbstmörderisch, diese Politik zu machen"

Linken-Chef Lafontaine wirft der schwächelnden SPD vor, mit ihrer Agenda-2010-Politik nicht auf die Wähler gehört zu haben. Er freue sich, dass linke Ziele - die Stärkung der sozial Schwachen - in einer rot-roten Koalition in Brandenburg möglich werden könnten.

13.10.2009
    Friedbert Meurer: Die SPD in Brandenburg hat sich gestern Abend entschieden: Nach zehn Jahren Koalition mit der CDU will sie den Partner wechseln. Also: Brandenburg wird künftig rot-rot regiert. Damit setzt Matthias Platzeck, der Ministerpräsident, ein anderes Zeichen als zuletzt Christoph Matschie in Thüringen, oder als die Grünen im Saarland.
    Ich begrüße Oskar Lafontaine, den Parteichef der Linken und Fraktionsvorsitzenden der Linken im saarländischen Landtag. Guten Morgen, Herr Lafontaine.

    Oskar Lafontaine: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Wie froh waren Sie gestern, dass es wenigstens in Brandenburg klappt, dass Die Linke mitregieren kann, nach den Enttäuschungen von Thüringen und dem Saarland?

    Lafontaine: Es geht darum, dass wir in diesen schwierigen Zeiten, in denen die öffentlichen Kassen leer sind, die Absicht haben, dazu beizutragen, dass die Belastungen, die jetzt kommen werden, nicht auf die sozial Schwächeren abgewälzt werden, und insofern freuen wir uns, dass in Brandenburg die Möglichkeit dazu besteht. Nun muss sichergestellt werden, dass im Koalitionsvertrag dies auch zum Ausdruck kommt.

    Meurer: Wie groß ist das Risiko, dass das Kalkül von Matthias Platzeck in Brandenburg ist, Die Linke mitnehmen bei Einsparungen, dann kann Die Linke nicht aus der Opposition die SPD angreifen für Sozialkürzungen?

    Lafontaine: Das müssen die Koalitionsverhandlungen zeigen. Die Linke hat eine ganz klare Grundlinie: Sie fühlt sich verantwortlich dafür, dass soziale Kürzungen nicht der Weg aus der Krise sind.

    Meurer: Sind Die Linken auch bereit, Einsparungen mitzutragen?

    Lafontaine: Wir haben auf Bundesebene - und nur für die Bundesebene kann ich sprechen – uns verständigt, dass keine weiteren sozialen Kürzungen, kein weiterer Personalabbau und keine weitere Privatisierung Grundlage unserer Regierungsarbeit sind.

    Meurer: Das Wochenende war beherrscht von den Schlagzeilen aus dem Saarland. Herr Lafontaine, haben Sie selbst dazu beigetragen durch Ihre Entscheidung vom Freitag, dass es im Saarland jetzt eine Jamaika-Koalition gibt?

    Lafontaine: Das ist ein Märchen, das die Grünen in die Welt setzen. Wir haben schon im Landtagswahlkampf darauf hingewiesen, dass die Grünen eine Jamaika-Koalition anstreben. Sie haben das da noch bestritten. Wir hatten aber sichere Hinweise, die sich wie folgt darstellten: Die CDU hat eine ganze Zeit lang eine Kampagne gegen Rot-Rot-Grün gefahren, plötzlich ging es nur noch gegen Rot-Rot und es gab eine anonyme Unternehmerinitiative ebenfalls gegen Rot-Rot und hier war für uns klar, dass es feste Absprachen gab zwischen Grünen, FDP und CDU, eine Regierung zu bilden.

    Meurer: Hätten Sie vielleicht mal zum Telefonhörer greifen können und mit dem Grünen-Chef Ulrich reden können vor dem Wochenende?

    Lafontaine: Wir haben mehrfach miteinander geredet. Alles was die Grünen politisch inhaltlich als wichtig für sie bezeichnet haben, konnten wir mittragen, insbesondere Energie- und Schulpolitik. Insofern war es klar, dass von der inhaltlichen Seite her nicht der geringste Grund bestand, eine solche Zusammenarbeit nicht einzugehen. Es muss andere Gründe geben.

    Meurer: Wenn Sie die letzten Tage Revue passieren lassen, war es ein Fehler von Ihnen gewesen, am Freitag den Rücktritt aus der Fraktion in Berlin anzukündigen? Würden Sie das jetzt noch mal so machen?

    Lafontaine: Ich muss sagen, dass ich es geradezu als einen schlechten Witz empfinde, dass etwa eine kleine Partei an der Saar (hier die Grünen) sagen, ich hätte die Frage, ob ich den Fraktionsvorsitz der Linken im Bundestag weiter mache, mit ihnen abstimmen müssen. Das ist ja doch leicht absurd.

    Meurer: Die haben das so interpretiert, dass Sie im Saarland jetzt mit Macht den Co-Ministerpräsidenten geben wollten.

    Lafontaine: Ja. Auch das ist natürlich auf den zweiten Blick eine lächerliche Veranstaltung. Im Saarland entscheidet der Landtag und entscheidet das Landeskabinett wie überall in Deutschland. In dem Moment, in dem die Grünen dabei sind, entscheiden sie bei jeder Mehrheitsentscheidung im Landtag und bei jeder Mehrheitsentscheidung im Kabinett mit. Ohne sie ging also nichts. Insofern zu sagen, es hätte einen Co-Ministerpräsidenten gegeben, das ist geradezu absurd.

    Meurer: Wie sehen Sie Ihre künftige Rolle denn in Ihrem Heimatland, im Saarland, Herr Lafontaine?

    Lafontaine: Ich muss jetzt mit meinen Freunden besprechen, welche Schlüsse wir daraus ziehen. Es ist klar, dass die Situation sich jetzt verändert hat. Wir warten jetzt einmal die Regierungsbildung ab und dann werde ich endgültig entscheiden, wie es weitergeht.

    Meurer: Aber es war schon so: Am Freitag oder für Ihre Entscheidung letzte Woche spielte eine Rolle, Sie wollen sich stärker um das Saarland wieder kümmern?

    Lafontaine: Das ist richtig. Das hatten die Grünen ja von mir verlangt. Sie hatten von mir verlangt sicherzustellen, dass die Fraktion einheitlich operiert, und ich habe ihnen das natürlich zugesagt in den Verhandlungen. So erklärt sich diese Aussage.

    Meurer: Wann werden Sie entscheiden, ob Sie Fraktionsvorsitzender in Saarbrücken bleiben?

    Lafontaine: Da habe ich Zeit und ich werde das in Ruhe entscheiden. Ein wichtiger Zeitpunkt wird sein, wenn die Saarregierung gebildet ist.

    Meurer: Wollten Sie mit Ihrem Verzicht, Herr Lafontaine, auf den Fraktionsvorsitzenden in Berlin sozusagen etwas zur Seite treten, um grundsätzlich das Verhältnis zwischen SPD und der Linken zu entkrampfen?

    Lafontaine: Das hat damit zu tun, dass wir längerfristig überlegen müssen, wie die Partei Die Linke sich weiter behauptet. Sie hat ja einen phänomenalen Aufstieg genommen, indem sie jetzt eben mit fast 12 Prozent im Bundestag vertreten ist. Aber es muss ja eben auch daran gedacht werden, was in vier, fünf oder zehn Jahren sein wird. Insofern hielt ich es für richtig, die Führung zu verbreitern, und habe vorgeschlagen, dass wir sowohl in der Bundestagsfraktion als auch in der Partei mit Doppelspitzen weiterarbeiten. Das hat mit regionalen Dingen an der Saar null zu tun.

    Meurer: Wollten Sie sich selbst sozusagen als Koalitionsblockade aus dem Spiel bringen, weil Sie ja wissen, die Animositäten sind groß aufseiten der SPD gerade gegen Ihre Person?

    Lafontaine: Es ist bedauerlich, dass jetzt im Zuge der Boulevardisierung der Politik nur noch über Befindlichkeiten diskutiert wird. Ich arbeite ganz anders. Für mich ist beispielsweise die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ganz, ganz wichtig und dafür würde ich viele Opfer bringen. Oder für mich ist ganz, ganz wichtig, die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne - das hatte ich auch in die Koalitionsverhandlungen hier an der Saar eingebracht – wieder rückgängig zu machen, denn sie ist eine Einladung an die Heuschrecken, Betriebe zu kaufen, weiter zu verkaufen, was für viele Belegschaften ein großes Problem ist. Hier an der Saar beispielsweise sind mittelständische Betriebe, die in zehn Jahren vier bis fünf Anteilseigner haben. Das darf so nicht weitergehen. Solche Fragen interessieren mich, nicht so sehr persönliche Befindlichkeiten.

    Meurer: Die SPD will in ihrem Programm auf dem kommenden Parteitag im November Änderungen an der Agenda 2010 aufnehmen. Änderungen! Wollen Sie, dass die Sozialdemokraten die Agenda komplett über Bord kippt?

    Lafontaine: Das müssen die Sozialdemokraten selbst sagen und auf die Frage, was wir dazu zu sagen haben, habe ich immer geraten, die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sollen auf ihre Wählerinnen und Wähler hören. Ich glaube, das ist der beste Ratschlag, den man Parteien geben kann. Und dass die Wählerinnen und Wähler in Scharen davongelaufen sind, kann ja niemand bestreiten.

    Meurer: Wäre es aber erst recht selbstmörderisch, jetzt die zentrale Politik der letzten sieben Jahre zu verleugnen?

    Lafontaine: Es war selbstmörderisch, diese Politik zu machen, wie wir gesehen haben. Die SPD hat die Hälfte ihrer Mitglieder und die Hälfte ihrer Wähler verloren. Insofern wäre es selbstmörderisch, diese Politik fortzusetzen. Das andere Argument, das Sie in Ihrer Frage vorgetragen haben, wird von der konservativen Presse jeden Tag vorgebracht, aber man muss natürlich, wenn man Politik macht, analysieren, auf wessen Seite man steht.

    Meurer: Ist denn Die Linke umgekehrt auch bereit, auf die SPD zuzugehen?

    Lafontaine: Wir orientieren uns an der Sache. Das ist wirklich so, dass wir uns nicht fragen, gehen wir auf die SPD, die CDU, die FDP oder wen auch immer zu. Wir orientieren uns an der Sache. Ich will das deutlich machen etwa am Afghanistan-Krieg. Wir sind die Antikriegspartei Deutschlands und daran wird sich nichts ändern. Jeder Tag in Afghanistan zeigt, dass Krieg kein Mittel der Politik ist, und diese Position Willy Brandts werden wir nicht aufgeben.

    Meurer: Oskar Lafontaine, der Parteichef der Linken, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Lafontaine, besten Dank und auf Wiederhören.

    Lafontaine: Auf Wiederhören!