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"Es wird ganz viel gedroht und gewarnt - nicht nur an dieser Front"

Barack Obama droht Syrien für den Fall, dass Chemiewaffen gegen Aufständische eingesetzt werden. Die Warnung sei klar, sagt Nahost-Experte Volker Perthes: Sollte es Chaos und Anarchie geben, seien die USA bereit, diese Waffen mit einer gezielten Militäraktion unter Kontrolle zu bringen.

Volker Perthes im Gespräch mit Mario Dobovisek | 21.08.2012
    Mario Dobovisek: Da rasseln sie wieder, die internationalen Säbel rund um den Syrien-Konflikt. Kaum haben die Vereinten Nationen ihre Beobachter abgezogen, baut US-Präsident Barack Obama erstmals auch eine militärische Drohkulisse auf – für den Fall nämlich, dass Assad Chemiewaffen einsetzen will.
    Barack Obama droht Syrien also mit einem militärischen Eingreifen. Prompt folgt aus Peking und Moskau die Warnung an den Westen vor einseitigen Schritten. – Am Telefon begrüße ich Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Perthes!

    Volker Perthes: Ja guten Tag!

    Dobovisek: Assad droht dem Ausland mit Chemiewaffen, sollte es eingreifen; die USA drohen nun ihrerseits, Moskau und Peking warnen; überhaupt droht und warnt es von allen Seiten dieser Tage, aber niemand tut etwas. Warum nicht?

    Perthes: Ja, es wird ganz viel gedroht und gewarnt – nicht nur an dieser Front, sondern auch zwischen Israel und Iran. Aber was wir jetzt gesehen haben ist, dass Präsident Obama gewissermaßen eine Linie in den Sand gezeichnet hat und gesagt hat, wenn die syrische Regierung diese eine Linie auch noch überschreitet – und sie hat ja im Bürgerkrieg schon eine ganze Reihe von Linien überschritten -, dann ist das der Punkt, wo die internationale Gemeinschaft und insbesondere die USA eingreifen müssen. Richtigerweise muss man dazu sagen, dass die syrische Regierung bisher immer wieder versichert hat, dass sie Chemiewaffen nicht gegen die eigene Bevölkerung einsetzen werde.

    Dobovisek: Da geht es aber auch um den Punkt, dass möglicherweise bei einem Zerfall des Regimes von Assad diese Waffen in fremde Hände gelangen könnten. Ist das dann nicht ein Teufelskreis, weil das könnte ja durchaus passieren?

    Perthes: Es ist nicht richtig wahrscheinlich, dass eine Rebellenarmee, die etwa Armeestützpunkte überrennt, Chemiewaffen, die sie dort vorfindet, auch benutzen A könnte und B würde. Aber die Warnung ist auch hier klar: wenn es Chaos und Anarchie in Syrien geben sollte, dann wären die USA – so muss man Barack Obama wohl verstehen – bereit, mit möglicherweise einer gezielten Anlandung von Truppen diese Waffen unter Kontrolle zu bringen.

    Dobovisek: Welche Rolle würde Deutschland dabei spielen?

    Perthes: Deutschland würde hier keine direkte Rolle spielen. Ich denke nicht, dass wir erwarten sollten, dass ein Kontingent der Bundeswehr zur Sicherung von Chemiewaffen in Syrien landen würde. Man kann sich, wenn man sehr weit in die Zukunft denkt und sagt, es gibt eine internationale Aufbaumission für Syrien nach einer Veränderung an der Regime-Spitze, es gibt möglicherweise eine Friedens- und Staatsbildungs-, Staatsaufbaumission der Vereinten Nationen, sicherlich vorstellen, dass deutsche Chemiewaffen-Experten dann beteiligt sind, um solche Bestände zu sichern und kontrolliert in Absprache mit der syrischen Regierung zu vernichten.

    Dobovisek: Inzwischen bestätigte die Bundesregierung in Berlin, dass ein deutsches Aufklärungsschiff im östlichen Mittelmeer kreuzt, dementierte aber, dass es sich um eine Spionagemission handele. Darüber gab es ja zuvor Gerüchte. Um was soll es sich denn sonst handeln bei einem mit Fernaufklärungs- und Spionagetechnik wie Personal bestückten Boot, Herr Perthes?

    Perthes: Na ja, Aufklärung und Spionage sind tatsächlich unterschiedliche Dinge. Insgesamt hören in der Welt alle möglichen Dienste alle möglichen Kommunikationen ab. Möglicherweise auch unser Telefongespräch hier ist in den elektronischen Systemen anderer Staaten enthalten, nur werden sie nicht furchtbar viel daraus machen. Was das Schiff, das Aufklärungsschiff der Bundesmarine vor der Küste Syriens offenbar tut, ist dabei zu helfen, ein Lagebild zu erstellen, also die Bundesregierung und die Verbündeten der Bundesregierung mit Informationen darüber zu versorgen, was in Syrien tatsächlich stattfindet.

    Dobovisek: Aber halten Sie es für möglich, dass die Bundesregierung mit ihren Diensten und mit ihren Erkenntnissen die syrische Opposition unterstützt?

    Perthes: Ich denke, dass das nicht der Fall ist.

    Dobovisek: Haben Sie Erkenntnisse darüber?

    Perthes: Nein. Ich sitze ja nicht in der Schaltzentrale des BND oder des Bundesverteidigungsministeriums. Aber nach allen Gesprächen, die wir führen mit Entscheidungsträgern in diesem Land, wird die Bundesregierung die Freie Syrische Armee nicht mit militärisch relevanten Informationen versorgen. Allenfalls – und das hat das Bundesverteidigungsministerium ja erklärt und ich glaube, es gibt auch keinen Grund, daran zu zweifeln – wird man Erkenntnisse, die für ein Lagebild wichtig sind, zum Beispiel über die Frage, wo Flüchtlingsbewegungen zu vermuten oder zu erkennen sind, oder wo Truppenbewegungen zu erkennen sind im Land, wird man solche Lageeinschätzungen oder Informationen, die zu solchen Lageeinschätzungen helfen, mit anderen Partnern in der NATO und in der Europäischen Union teilen.

    Dobovisek: Das Regime um Assad in Damaskus wurde ja schon öfter totgesagt. Wie lange wird sich Assad noch halten?

    Perthes: Ja die Frage kann ich Ihnen natürlich nicht beantworten. Ich hätte auch gerne die Antwort darauf. Was wir sehen ist, dass wir tatsächlich hier einen Abnutzungsaufstand in Zeitlupe haben in gewisser Weise, der nun seit eineinhalb Jahren anhält, der seit einem Jahr heftig militarisiert ist. Irgendwann wird dieses Regime fallen. Die Frage, wann, ist interessant. Für mich ist wichtiger die Frage, wie wird es fallen: Wird es fallen in einer Situation, wo Chaos und Anarchie schon im ganzen Lande ausgebrochen sind, oder gibt es einen halbwegs geordneten Regimewechsel, der dazu beiträgt, den Staat Syrien, das Land Syrien zusammenzuhalten und möglichst schnell einen politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau auf den Weg zu bringen.

    Dobovisek: Sehen Sie auch die Möglichkeit, Herr Perthes, dass die Opposition sich selbst abnutzen könnte, um das Wort weiter zu gebrauchen?

    Perthes: Theoretisch sehe ich die Möglichkeit. Praktisch sehe ich eher, dass die Opposition an Stärke gewinnt. Das Problem ist ja sicherlich – aber das kann man auch nicht anders erwarten -, dass die Opposition sich nicht einig darüber ist, wie das Regime zu Ende kommen sollte. Es gibt diejenigen, die weiterhin auf friedliche Demonstrationen, friedlichen Protest setzen, und es gibt diejenigen, die auf militärische Gewalt setzen und sich dabei wahrscheinlich überschätzen.

    Dobovisek: Und einen weiteren Konflikt gibt es im Nahen Osten, der sich zuspitzt: der Streit um das iranische Atomprogramm. Israel gibt sich fest entschlossen, den Iran anzugreifen. Ist Israels Angriff nur noch eine Frage der Zeit?

    Perthes: Ich sehe das nicht so. Ich sehe eher hier, dass die Trommel der Kriegshysterie ganz heftig geschlagen wird. Da sind der israelische Ministerpräsident dran beteiligt, da ist der iranische Präsident dran beteiligt, und noch sind wir hier in der Phase der Politik. Es geht darum, politische Ziele zu erreichen. Für Israel heißt das insbesondere, von den USA zu erreichen, dass sie mehr Druck auf Iran ausübt, um einen israelischen Militärschlag zu verhindern, auch – und da gibt es ja auch Indikatoren, dass das genau so geschehen wird -, um Israel mit besseren Waffen zu versorgen, mit mehr Waffen zu versorgen, um im Falle einer militärischen Auseinandersetzung, die die USA nicht haben wollen, besser gerüstet zu sein.

    Dobovisek: Hat die Politik denn überhaupt noch eine Chance, aus diesem Dilemma herauszukommen? Derlei Chancen gab es ja schon viele.

    Perthes: Ja, und ich glaube, die letzte Chance ist auch keineswegs vorbei. Es gibt noch, wenngleich derzeit auf niedriger Expertenebene, Gespräche zwischen den sechs, vom Sicherheitsrat dazu beauftragten Mächten, auch Deutschland dabei und die fünf permanenten Mächte im Sicherheitsrat auf der einen Seite und Iran auf der anderen Seite über das Atomprogramm, und es gibt sehr viele gute Ideen, die hier in der Diskussion sind. Es fehlt ein wenig der Wille auf der iranischen Seite, wohl auch auf der amerikanischen Seite, sich die letzten Meter zu bewegen, und man kann vermuten – ich denke, in den USA wird darüber nachgedacht -, dass es nach einer Wiederwahl von Barack Obama, die zwar nicht sicher ist, aber die möglich ist, dann relativ schnell mehr Bewegung geben könnte in eine Richtung, die Barack Obama, wenn er sie heute schon einschlagen würde, im Wahlkampf schaden könnte.

    Dobovisek: Was besorgt Sie, Herr Perthes, in der aktuellen Situation mehr: ein mögliches iranisches Atomprogramm, oder eine nervöse Regierung in Israel?

    Perthes: Na ja, wir wissen ja seit Langem, dass es ein iranisches Atomprogramm gibt, was bestimmte Schwellen eben bislang nicht überschritten hat, und es würde mich richtig beunruhigen, sehr viel mehr beunruhigen, wenn es diese Schwellen, also die Herstellung einer tatsächlichen Waffe, überschreiten würde. Was mich am meisten beunruhigt ist, dass wir nun mittlerweile seit mehr als einem Jahr ein ständiges Gerede vom Krieg haben und davon, dass der Krieg möglicherweise in ein paar Monaten käme und dass es darum geht, den Krieg um ein paar weitere Monate zu verzögern. Die Gefahr des Krieges wird ein Stück weit rhetorisch abgenutzt – dadurch, dass alle ständig davon reden und nur noch fragen, wann er stattfindet, anstatt über Lösungen nachzudenken, wie man tatsächlich eine militärische Austragung dieses im Grunde politischen Konflikts verhindern könnte.

    Dobovisek: Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen.

    Perthes: Sehr gern!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.