Donnerstag, 25. April 2024

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Essay von Jan Werner Müller
Handbuch zum Umgang mit Populisten

Hängen Populisten immer rechtsextremen Ideen nach? Nein, sagt der Politikwissenschaftler Jan Werner Müller. In seinem Essay "Was ist Populismus?" analysiert er die Herrschaftstechniken von Populisten und die Gefahren, die von ihnen ausgehen - ermöglicht aber dennoch einen gelassenen Blick auf die populistischen Bewegungen unserer Zeit.

Von Tamara Tischendorf | 30.05.2016
    Pegida-Demonstranten halten ein Tranparent hoch, auf dem "Wir sind das Volk" steht.
    Populisten skandieren häufig "Wir sind das Volk" - was sie laut Jan Werner Müller meinen, ist aber "Wir - und nur wir - repräsentieren das Volk". (picture alliance / dpa/ Kay Nietfeld)
    Donald Trump, Marine Le Pen, Victor Orban - allesamt Populisten. Die AfD? Eine populistische Partei. Das Urteil ist schnell zur Hand - ein abwertendes Urteil. Ein Kampfbegriff, mit dem sich missliebige politische Heißsporne und deren Anhänger abkanzeln lassen. Bei näherem Hinsehen erweist sich das Label "Populist" aber als rhetorische Luftnummer mit unklarem Bedeutungsumfang. Jan Werner Müller, der in Princeton politische Theorie und Ideengeschichte lehrt, will den Begriff schärfen:
    "Dieser Essay soll dabei aber weder eine weltumspannende Geschichte des Populismus bieten noch tagespolitischen Aufgeregtheiten nachhecheln. Stattdessen will ich grundsätzlicher fragen, was Populismus eigentlich ist - oder, anders ausgedrückt: wer wirklich ein Populist ist - und worin das (...) so dringende "Problem" des Populismus denn eigentlich genau besteht."
    "Populismus ist kein Anliegen klar identifizierbarer Schichten"
    Die Essayform würde zwar auch assoziatives Schreiben erlauben - Jan-Werner Müller geht seinen Gegenstand aber eher systematisch an. Nach einem kurzen, einleitenden Problemaufriss folgen drei Kapitel: Das erste nähert sich dem Populismus auf theoretischer Ebene und legt dessen spezifische Logik frei. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Herrschaftspraktiken von Populisten und im dritten Kapitel gibt der Autor Empfehlungen, wie Demokraten mit den strukturell anti-demokratischen Populisten umgehen sollten. Am Ende bringt er die Essenz des Essays in zehn Thesen noch einmal auf den Punkt.
    Den Aufschlag macht Jan-Werner Müller in seinem leicht lesbaren Text damit, dass er erst einmal mit landläufigen Kriterien für Populismus aufräumt:
    "Populismus ist kein Anliegen klar identifizierbarer Schichten - oder Klassen -, keine Gefühlssache, und ob etwas populistisch ist, lässt sich auch nicht an der Qualität von Policy-Angeboten messen."
    Will heißen: Populismus ist eben nicht nur eine Sache von Modernisierungsverlierern, die den sozialen Abstieg fürchten und deshalb populistischen Führungsfiguren auf den Leim gehen. Und: Populismus lebt auch nicht notwendig von demagogischen Charismatikern, die rechtsextremen Ideen anhängen. Jan-Werner Müller wählt eine andere Definition:
    "Populismus, so meine These, ist eine ganz bestimmte Politikvorstellung, laut der einem moralisch reinen, homogenen Volk stets unmoralische, korrupte und parasitäre Eliten gegenüberstehen."
    Populisten vertreten immer auch eine antipluralistische Position
    Der Kernanspruch des Populisten, sagt Jan-Werner Müller, folge einer spezifischen inneren Logik:
    "Populisten behaupten: 'Wir sind das Volk!' Sie meinen jedoch - und dies ist stets eine moralische, keine empirische Aussage (...): 'Wir - und nur wir - repräsentieren das Volk.'"
    Jan-Werner Müller argumentiert stichhaltig, dass genau darin auch die Gefahr für die Demokratie liegt. Denn daraus folgt: Populisten vertreten nicht nur eine anti-elitäre, sondern immer auch eine antipluralistische Position. Deutlich wird das, wenn populistische Parteien an die Macht kommen. Ihr Anspruch, einen vermeintlich klar identifizierbaren Volkswillen in Form eines imperativen Mandats umzusetzen, hat Folgen. Wer inner- oder außerparteilich abweichende Meinungen vertritt, kann demnach gar nicht zum vermeintlich "wahren" Volk gehören. So erklärt sich auch, warum Populisten gerne ausländische Agenten am Werk sehen oder mit dem Stigma "Lügenpresse" hantieren:
    "Genauso wie Populisten einer komplizierten innerparteilichen Demokratie misstrauen, betrachten sie professionelle Journalisten mit Argwohn. In beiden Fällen wird der eine authentische Volkswille ‚mediatisiert‘ und damit, in ihrer Logik, höchstwahrscheinlich verfälscht."
    "Populisten versuchen die Funktion einer Verfassung auszuhebeln"
    Medien und Zivilgesellschaft zu unterdrücken ist eine von drei populistischen Herrschaftstechniken, die Jan-Werner Müller ausmacht. Außerdem platzieren Populisten gerne ihre Partei- und Gefolgsleute in wichtigen Positionen und vereinnahmen nach und nach den ganzen Staatsapparat. Der Vorwurf der Vetternwirtschaft und Korruption ficht sie dabei nicht an:
    "Die Besonderheit liegt darin, dass Populisten sich offensiv zu einer ansonsten eher anrüchigen Praxis bekennen können. Sie sind ja ihrem Selbstbild nach die einzigen legitimen Vertreter des Volkes - und warum sollte das Volk seinen Staat nicht in Besitz nehmen und die Vollstreckung seines authentischen Willens durch das richtige Personal sicherstellen?"
    Wie die populistische Regierungs-Partei "Recht und Gerechtigkeit" in Polen gerade erst wieder vorgeführt hat, steht am Ende der Griff nach der Verfassung. Damit soll die Macht auf Dauer sichergestellt werden:
    "Verfassungen dienen gewöhnlich dazu, den Pluralismus zu bewahren und Konflikte zwischen den Parteien sowohl zu ermöglichen als auch zu begrenzen. Populisten (...) versuchen diese Funktion einer Verfassung auszuhebeln. (...) Kurz gesagt: Die Verfassung wird vom Rahmen zum Inhalt, ja zum Spielball des politischen Kampfes."
    Ausgrenzung und linker Populismus helfen nicht als Gegengift
    Jan-Werner Müller arbeitet überzeugend heraus, dass populistische Parteien weit mehr sind als kurzatmige Protestbewegungen. Sie verfolgen konsequent ein ganz spezifisches Idealbild des guten Regierens. Haben die Populisten Erfolg, installieren sie in der Regel genau jenes korrupte Herrschaftssystem, dessen fiktives Abziehbild sie zuvor kritisiert haben. Angesichts dieser Bedrohung empfiehlt der Ideengeschichtler:
    "Statt moralisch zu diskreditieren, sollten liberale Demokraten (...) erst einmal diskutieren - und sei es, um Fakten gerade zu rücken. In Fällen, in denen Populisten Volksverhetzung betreiben oder gar zur Gewalt aufrufen, greift das Strafrecht. In allen anderen jedoch - so persönlich unangenehm oder politisch unappetitlich dies auch sein mag - muss man nun mal die Ansprüche, und nicht nur die vermeintlichen Ängste, der Bürger ernst nehmen."
    Jan-Werner Müller hegt die Hoffnung, dass Populisten in der politischen Diskussion manchmal doch noch von ihrem Alleinvertretungsanspruch abgebracht werden können. Von Ausgrenzung oder linkem Populismus als Gegengift hält der Autor dagegen nichts. Jan-Werner Müller hat ein hilfreiches "Handbuch" verfasst, das seinem eigenen Anspruch gerecht wird, Unterscheidungen zu treffen. Seine Übung in Gedankenordnung liefert zwar keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse. Sein Essay ermöglicht aber einen gelassenen Blick auf die populistischen Bewegungen unserer Zeit.
    Jan-Werner Müller: Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin, Suhrkamp 2016. 160 Seiten, 15,00 Euro. ISBN 978-3518-07522-7