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Etikettenschwindel
Wien und sein Benimm

"Bei der Etikette zeigen die Österreicher all ihre Leidenschaften", konstatierte die englische Lady Wortley Montagu einst. Das war im 18. Jahrhundert, zu Hochzeiten der Donaumonarchie. Und heute? Ein "Küss die Hand, gnäd'ge Frau" gehört in Wien noch zum guten Ton, aber unter dem Regelkorsett brodelt es.

Von Markus Dichmann | 10.02.2018
    Walzer beim Wiener Opernball
    In der Woche des Wiener Opernballs ergründen die "Gesichter Europas", was "Etikette" in Wien heute eigentlich noch bedeutet (picture alliance/dpa/Foto: Votava)
    "Ihr könntet's ein bisschen weniger g'schissn sein", findet Autor Markus Lust mit Blick auf seine grantelnden österreichischen Landsleute. Und Roman Svabek, Zeremonienmeister des Wiener Opernballs, fürchtet gar: "Wir haben die Etikette verloren".
    Klar, auch heute nimmt der Kellner die Bestellung in der dritten Person entgegen, ein "Küss die Hand, gnäd'ge Frau" gehört in Wien zum guten Ton. Aber unter dem strengen Regelkorsett brodelt es: Rechtsradikale in Nadelstreifen, Feministinnen im Vollwichs, Punkrocker in Bundfaltenhose.
    Die "Gesichter Europas" machen sich auf die Suche nach der österreichischen Etikette und fragen, was das 2018 eigentlich noch sein soll.
    13. 02. 2011 Tanzlehrer Roman Svabek: Tanzunterricht für die Opernball
    Im Walzertakt Manieren lernen
    Wenn Apotheker, Juristen und Psychologen Walzer tanzen, ist Ballsaison in Wien. Höhepunkt: der Wiener Opernball. An der Zahl der Festlichkeiten kann es also nicht liegen, dass Tanzlehrer Roman E. Svabek den Verlust der Etikette befürchtet.
    "Küss die Hand" heißt "Du kannst mich mal"
    Das elitäre Gehabe, die Kleiderordnung, die verklausulierte Sprache in Österreich: Buchautor Markus Lust kann mit all dem wenig anfangen. Dieses Theatralische sei typisch für sein Land, glaubt er. Seit dem Ende der Monarchie habe Österreich einen Minderwertigkeitskomplex.
    Die Auslage des Café Demel in Wien - seit 1874 mit dem Etikett "k. und k. Hofzuckerbäckerei"
    Das Geschäft mit dem Glanz alter Zeiten
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    Die österreichische Journalistin und Moderatorin Corinna Milborn kennt sich gut aus im Wiener Politikbetrieb
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    "Nicht analysieren, bis man deppert wird"
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