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Wiener Etikette (5/5)
"Nicht immer so lange analysieren, bis man deppert wird"

Lotte Tobisch gilt als Inbegriff der "Wiener Salondame". Auf den Fotos in ihrer Wohnung sind sie alle zu sehen: Prinz Philipp, Theodor Adorno, der Papst. 15 Jahre hat die Schauspielerin den Wiener Opernball organisiert. Heute sagt die über 90-Jährige: Haben Sie mich gern mit Ihrer Etikette.

Von Markus Dichmann |
    Die österreichische Theaterschauspielerin Lotte Tobisch hat 15 Jahre lang den Wiener Opernball organisiert
    Die österreichische Theaterschauspielerin Lotte Tobisch hat 15 Jahre lang den Wiener Opernball organisiert (Imago)
    Altbau, Hinterhaus, 5. Stock., direkt am Wiener Ring. Oper, Hofburg, Café Landtmann, von hier oben praktisch alles in Sichtweite.
    - "Hallo!"
    - "Hallo Frau Tobisch!"
    Eine geräumige, gemütliche Dachgeschoss-Wohnung. Der Name der Mieterin steht unten aber nicht an der Haustür, schließlich soll nicht jeder klingeln dürfen. Denn wir haben es hier mit Wiener Prominenz zu tun.
    "Hängen Sie sich auf! Bitte, ja."
    Lotte Tobisch. Die Grande Dame empfängt im eleganten, dunkelblauen Hosenanzug.
    Früher war sie Schauspielerin, unter anderem auf der Bühne des großen Burgtheaters, Szenelady und 15 Jahre lang die Organisatorin des Wiener Opernballs. Mit über 90 hat sie aber nochmal eine neue Beschäftigung gefunden: als Kolumnistin.
    "Das ist meine politische Ecke dort." Im schmalen Flur zum Wohnzimmer kommen wir an einem Regal mit vielen eingerahmten Fotos vorbei. "Das ist mit Kreisky, das ist mit Prinz Philipp, das ist Adorno." Mit dem sie sich jahrelang Briefe schrieb und den sie nur Teddy nannte.
    "Und daneben ist der Papst. So ist es. Die Schwarzen denken ich bin rot, die Roten denken ich bin schwarz und beide haben Recht. Und das ist der Herzog von Edinburgh. Bitte, in bester Gesellschaft."
    In bester Gesellschaft weiß sich Lotte Tobisch als Tochter aus bestem Hause schon ein Leben lang und ist dementsprechend eine ausgezeichnete Gastgeberin.
    "Das ist für Sie." Frischer Kaffee. "Nehmen Sie`s! Wunderbar! Ist nicht sehr elegant serviert." Und feine Kekse. "Das ist a bisserl Bäckerei." Formvollendet. "Serviettchen gibt’s auch. Bitte!"
    "Haben Sie mich gern mit der Etikette"
    Lotte Tobisch ist unsere letzte Anlaufstelle um zu klären, wie es die Wiener mit der Etikette halten.
    - "Ach Gott ja, haben Sie mich gern mit der Etikette. Was wollen Sie von mir von Etikette wissen?"
    - "Was ist das?"
    - "Ich weiß es nicht. Schauen Sie, Etikette hat den Beigeschmack von blödsinnigem, sinnlosem Getue. Das ist es natürlich nicht. Nein, gemeint ist einfach ein halbwegs ordentliches Benehmen. Denn wenn jeder, wie es jetzt vielfach üblich ist, pardon, wenn ich das sage, dem andern mit dem nackten Arsch ins Gesicht fährt, das ist ja kein Umgang. Also dann schaut die Welt so aus, wie sie beim Trump ausschaut. Und das wollen wir doch nicht."
    Die zierliche Dame sitzt in einem kleinen Sessel in ihrer gemütlichen Dachstube voller Bücher und Bilder aus vergangenen Tagen und will nicht sagen, dass früher alles besser war. Aber ein bisschen Anstand sei schon verloren gegangen: "Wissen Sie, es ist immer mit dem Benimm so eine Sache. Na, es ist eine andere Welt, nicht?"
    Eine schnelllebige Welt, mit dem Umgangston des digitalen Zeitalters. "Jeder sagt, was er will da hinein, man beschimpft Leute, ruiniert Existenzen, weil es einem Spaß macht." Auch in Demokratie und Politik. "Schlechte Beispiele verderben gute Sitten. So ein Wahlkampf wie der jetzige, der letzte, was wollen Sie da? Ein ordentliches Verhalten von jungen Leuten gegeneinander? Warum? Das ist zum Speien, nicht?"
    Der Opernball als märchenhafte Gesellschaft
    Der letzte Wahlkampf war geprägt von einer Schmutzkampagne im Netz, für die die Sozialdemokraten eine halbe Million Euro hingelegt haben sollen. Geprägt von gegenseitigen Beschuldigungen, den anderen bespitzelt und manipuliert zu haben.
    "Und natürlich ist das für die jungen Leute das denkbar schlechteste Beispiel. Aber sicher."
    Die gleichen schlechten Beispiele, die Lotte Tobisch dann in schwarzem Frack und weißer Fliege auf dem Opernball wiederentdeckt.
    "Aber das Ganze hat den Anschein einer geschlossenen, märchenhaften, imperialen Gesellschaft. Und dann kommt der rote Bundespräsident oder ein grüner oder ein gelber und ist verkleidet im Frack und kommt als Nachgeburt von Franz Josef heraus. Nimmt es doch als das, was es ist. Es ist hübsch!"
    Sekunde bitte.
    "Sie haben noch gar nicht von meiner Bäckerei probiert?"
    Kurze Denkpause.
    "Bitte nehmen Sie! Soviel sie wollen, wollen sie noch Kaffee haben? Sie können haben, es ist noch genug da!"
    Die nächste Runde Kaffee.
    Wie kann es Lotte Tobisch plötzlich egal sein, dass die gleiche Politik, die sie eben noch zum Speien fand, sich jetzt ein hinter Sissi und Franz verstecken darf?
    "Warum nicht? Schauen Sie, da kann ich nur den großen Lessing zitieren: Nicht die Kinder bloß speist man mit Märchen ab. Und der Opernball, mit seinen komischen Debütantinnen, die Jungfern, dass ich nicht lache, die da tanzen also, das hat etwas von Märchen. Na so what? Wem tut's weh?"
    Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen auf dem Wiener Opernball 2017
    Alexander van der Bellen (2. v. r.) auf dem Wiener Opernball 2017: Die österreichischen Bundespräsidenten treten dort laut Lotte Tobisch gern als "Nachgeburt von Franz Josef" auf (Imago)
    "Dieses ewige Habsburg-Bashing halt ich nicht mehr aus"
    Naja, zum Beispiel der politischen Kultur im Land. Dem Selbstverständnis als moderner Republik und dem kritischen, unverklärten Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Das finden zumindest die Opernballkritiker.
    "Ihr habt's leicht reden! Wann seid ihr denn was geworden? Ihr seid's noch wie die Affen auf den Bäumen gesessen, da waren wir schon ein paar Hundert Jahre Monarchie. Wir haben eine ganz andere Geschichte, ne? Und wir waren ja immerhin 700 oder 650 Jahre allerweil! Und ich meine, dieses ewige Habsburg-Bashing halt ich auch nicht mehr aus. Denn was wir hier haben, von Ringstraße auf und ab, das verdanken wir dem alten Franz Josef. Dass der kein Kerzenlicht war, wissen wir längst. Also sie sollen sich alleweil nix antun, nicht?"
    Die Grande Dame winkt ab, legt die Hände übereinander und neigt den Kopf etwas zur Seite. "Ich würde nur die Sache nicht immer so lange analysieren, bis man deppert wird. Es ist im Grunde einfacher. Der Opernball ist der Opernball und Schluss"
    Sie hat da ein Motto, schon häufig zitiert, mit dem sie schon einige Jahrzehnte in Wiens Belle Etage ganz gut zurechtgekommen ist: "Wissen Sie. Ich hab immer gesagt: ernsthaft machen, aber nicht ernst nehmen bitte."