Mittwoch, 08. Mai 2024

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EU als Vermittler im Katalonien-Konflikt
"Wir sind nicht neutral"

Im Katalonien-Konflikt könne die Europäische Union nur zum Dialog aufrufen, und zwar alle spanischen Parteien, nicht nur die Minderheitsregierung, sagte der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler im Dlf. Eine Vermittlung verbiete sich, da sonst verfassungsmäßig und verfassungswidrig Handelnde auf eine Stufe gestellt würden.

Michael Gahler im Gespräch mit Jonas Reese | 27.10.2017
    Der Europaabgeordnete Michael Gahler bei einer Abstimmung im Parlament in Straßburg
    Der Europaabgeordnete Michael Gahler bei einer Abstimmung im Parlament in Straßburg (AFP/Frederick Florin)
    Jonas Reese: Die Reaktionen auf die Unabhängigkeitserklärung des katalanischen Parlaments ist weltweit auf Ablehnung gestoßen. Die Bundesregierung nannte es erneut Verfassungsbruch, die USA haben der spanischen Regierung ihre Unterstützung angeboten, und EU-Ratspräsident Donald Tusk, er hat getwittert, für die EU ändere sich nichts, der Konflikt bleibe eine innerspanische Angelegenheit. Das möchte ich nun besprechen mit Michael Gahler. Er ist Europa-Abgeordneter von der CDU, er sitzt in Straßburg auch im Auswärtigen Ausschuss. Guten Abend, Herr Gahler!
    Michael Gahler: Guten Abend, Herr Reese!
    "Grenzen überflüssig machen"
    Reese: Herr Gahler, für die EU habe sich nichts geändert, sagt Donald Tusk. Stimmt das, müsste die EU nicht spätestens jetzt eingreifen und vermitteln?
    Gahler: Also für die EU hat sich in der Tat nichts geändert, das hat auch der Kommissionspräsident gesagt. Er hat das so formuliert, er möchte eigentlich nicht in relativ kurzer Zeit Vorsitzender von 95 Regionen sein, und damit hat er in dieser Form natürlich recht. Ziel der EU ist von jeher gewesen, seit ihrer Gründung, Grenzen überflüssig zu machen und ihnen Bedeutung zu nehmen, und Ziel der EU ist es eben nicht, neue Grenzen aufzurichten.
    Madrid muss den Katalanen Angebote machen
    Reese: Nur wenn man das jetzt heute sich anschaut, eine Region in Europa steht unter Zwangsverwaltung, ein Regionalparlament wurde abgesetzt, aufgelöst, es droht möglicherweise auch Gewalt, und die EU guckt da zu?
    Gahler: Wir sehen das weiterhin als einen innerspanischen Konflikt, und wenn wir die Lage rechtlich bewerten, ist es ganz eindeutig, dass die spanische Regierung sich verfassungsgemäß verhält und die katalanische, die bisherige katalanische Regionalregierung sich verfassungswidrig verhält. Natürlich ist jetzt die Frage, nachdem beide sozusagen alle ihre Register gezogen haben, wie geht es jetzt weiter, und da ist ein wichtiges Datum diese Neuwahlen für den 21. Dezember, und natürlich muss aus meiner Sicht auf dem Weg dorthin ein Dialog in Gang kommen, auch von Madrid, und zwar würde ich sagen, nicht nur der Regierung, sondern von allen staatstragenden Parteien in Madrid gemeinsam in der Form befördert werden sollte, dass man auch Angebote auf diesem Weg macht. Das Angebot könnte zum Beispiel sein, dass man sagt, diese Autonomie, die in Spanien ja je nach Region unterschiedlich ausgestaltet ist, dass man den Katalanen in der Beziehung entgegenkommt, indem man ihnen mehr Rechte anbietet, zum Beispiel auch, was die Finanzen betrifft, dass zum Beispiel eine Gleichbehandlung mit dem Baskenland diskutiert werden könnte. Das ist kein ganz neuer Vorschlag, den gab es schon mal, das ist auch schon mal in der Vergangenheit nicht dazu gekommen.
    "Wir sind auf der Seite der spanischen Regierung"
    Reese: Aber, Herr Gahler, wenn ich da kurz einhaken darf: Das sind ja alles Ideen und Vorschläge, die längst auf dem Tisch liegen. Müsste da jetzt nicht ein neutraler Beobachter vermitteln, wie es die EU sein könnte, muss es da nicht eine rote Linie geben, wenn jetzt auch in den kommenden Tagen vielleicht die Gewalt dann doch eskaliert?
    Gahler: Wir sind nicht neutral. Wir sind auf dem Boden der Verfassung unserer Mitgliedsstaaten. Das heißt, wir sind auf der Seite der spanischen Regierung und rufen die natürlich auf, jetzt ihren Beitrag, und ich sagte, nicht nur auf die Regierung beschränkt, die ja auch eine Minderheitsregierung ist, sondern möglichst breit mit einem breiten politischen Madrider Konsens auf die Bevölkerung zuzugehen. Auf die Regierung, die ist abgesetzt, auf die kann man nicht zugehen. Ich glaube, man sollte die Gelegenheit jetzt nutzen, die Tatsache – und davon gehe ich persönlich auch aus –, dass eine Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung weiterhin für einen Verbleib bei Spanien ist. Diese Tatsache muss man nutzen, und dieser verfassungstreuen Mehrheit die Gelegenheit geben, sich auch in diesem Sinne äußern zu können. Das könnte jetzt diese Wahl sein. Man könnte auch, aber das ist noch nicht diskutiert worden, aus meiner Sicht durchaus ein legales Referendum dadurch ermöglichen, dass man die Verfassung für diesen Zweck ändert, die spanische Verfassung, und es dann ermöglicht, aber natürlich mit der Kautele zu sagen, es muss eine Mehrheit der wahlberechtigten Menschen dieses wollen und nicht nur 90 Prozent von 42 Prozent. Das ist nämlich deutlich keine Mehrheit. Ich bin überzeugt, wenn jetzt die spanischen Parteien aus Madrid weise und klug vorgehen, dann werden sie diese Mehrheit, die potenziell da ist, auch für einen zum Beispiel 21. Dezember für sich instrumentalisieren können und auf diese Art ein legales Votum der Mehrheit herbeiführen, mit Spanien gemeinsam zu bleiben.
    "Wir können uns nicht äquidistant zwischen beide Parteien stellen"
    Reese: Nur was lässt Sie da so hoffnungsvoll sein, wenn man jetzt sich die letzten Monate anschaut, dann ist ja alles andere von Kompromiss und aufeinander zugehen festzustellen. Es ist ja eigentlich jetzt der Höhepunkt der Eskalation und die Fronten so verhärtet wie noch nie. Ist dieses Bild nicht eigentlich noch viel verheerender für die Europäische Union, dass sie sowas sozusagen in ihrem Inneren zulässt, Recht hin oder her – das mag auf der Seite der EU sein –, aber ist die Angst vor so einer Sezessionsbestrebung auch in anderen Ländern da nicht viel zu groß? Müsste man da nicht schon längst eingeschritten sein?
    Gahler: Gerade weil diese Befürchtung groß ist, hat man sich ja zunächst mal bisher auf den … Auf was soll man sich beziehen anders als eine demokratische Verfassung? Spanien ist ja kein zentralistischer, autoritär regierter Staat. Wenn Sie sich in Katalonien umschauen, dann sehen Sie überall zweisprachige Schilder. Es gab die Autonomie bis zum heutigen Tage, so wie sie praktiziert wurde. Es haben sich ja sogar eher kastilianisch sprechende Spanier, also die Sprache der Hauptstadt sprechende Spanier, darüber in den vergangenen Jahren beschwert, sie könnten eigentlich nicht mehr Spanisch sprechen, sondern müssten Katalanisch lernen. Also da ist jetzt nicht eine unterdrückte Minderheit, die jetzt hier um ihre Rechte kämpft, sondern es befindet sich in einem demokratischen Staat, eine demokratische, autonome Region, die ihre Rechte bisher hatte, und da gibt es einige, die, wie der bisherige Ministerpräsident dort, der Regionalpräsident, die das aus meiner Sicht in unverantwortlicher Weise ausnutzen und dabei nicht die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich haben. Wenn wir jetzt den Eindruck erwecken würden, wir stehen äquidistant, also in gleichem Abstand zu den verfassungsmäßigen und zu den verfassungswidrig Handelnden, diese Äquidistanz kann es nicht geben. Was es geben kann ist die Ermunterung zum Dialog. Es sind Vorschläge, wie man jetzt auf einem Weg zum 21. Dezember zu Lösungen möglichst kommen könnte. Da könnten wir vielleicht auch kreative Hinweise geben, aber wir können hier nicht eine Situation herbeiführen, wo wir uns äquidistant zwischen beide Parteien stellen.
    Reese: Sagt Michael Gahler, Mitglied des Europäischen Parlaments und Mitglied in der CDU, heute Abend hier im Deutschlandfunk. Herr Gahler, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.