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EU-Einsatz gegen Schlepper
"Den Menschen verpflichtet"

Der ehemalige General der Bundeswehr, Harald Kujat, verteidigte im Deutschlandfunk den geplanten EU-Einsatz gegen Schlepper: "Das ist eine humanitäre Aktion", sagte Kujat. Man müsse die Fluchtbewegung nach Europa stoppen - und die Menschen davor bewahren, ihr Leben zu riskieren.

Harald Kujat im Gespräch mit Martin Zagatta | 16.05.2015
    Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr am 08.10.2014 in der ARD-Talkshow Anne Will.
    Der ehemalige General der Bundeswehr, Harald Kujat. (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Seit Jahren kämen Menschen nach Europa, um hier besser leben zu können, sagte der ehemalige General der Bundeswehr, Harald Kujat, im Deutschlandfunk: "Seit Jahren diskutieren wir diese Problematik - und unternehmen nichts." Der geplante EU-Einsatz gegen Schlepper sei sinnvoll, denn er bewahre die Flüchtlinge vor dem Tod. Die Schlepperbanden seien nur am Geschäft interessiert - und ob die Menschen sicher in Europa landen, sei ihnen egal.
    Schlepperboote an Land zu zerstören, werde allerdings sehr schwer werden. Zum einen müssten die Soldaten entscheiden, welches Boot ein reguläres Fischerboot sei - und welches Schiff von den Schleppern genutzt werde. Zum anderen könnte die Zerstörung der Schiffe Gegenreaktionen seitens der libyischen Regierung hervorrufen. Die habe ihren Widerstand bereits angekündigt.

    Lesen Sie hier das vollständige Interview:
    Martin Zagatta: Schiffe versenken, so nennen böse Zungen das, was die EU-Außen- und -Verteidigungsminister auf den Weg bringen sollen. Und die militärische Aktion, mit der die EU dem Flüchtlingsproblem im Mittelmeer zu Leibe rücken will, ist alles andere als ein harmloses Spiel mit Bleistift und Papier. Nach dem, was bisher öffentlich geworden ist, sollen EU-Soldaten Flüchtlingsboote an der libyschen Küste möglichst schon zerstören, bevor die überhaupt in See stechen können, Schleuser festnehmen, und das nicht nur in libyschen Gewässern, sondern zur Not auch auf libyschem Territorium. Der deutsche Außenminister Steinmeier soll dieses Vorhaben der EU-Außenbeauftragten Mogherini im Grundsatz, also grundsätzlich, so heißt es, schon gebilligt haben. Harald Kujat ist am Telefon, der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, guten Morgen, Herr Kujat!
    Harald Kujat: Guten Morgen, ich grüße Sie!
    Zagatta: Herr Kujat, rein militärisch gesehen: Ist das eine schwierige Aufgabe, die Schiffe der Schleuser da vor und an den Küsten Libyens zu zerstören, noch bevor sie in See stechen?
    Kujat: Ja, das ist schon eine schwierige Aufgabe, aber ich würde es in erster Linie als eine Polizeiaktion betrachten, als Polizeiaktion mit militärischen Mitteln.
    Zagatta: Eine Polizeiaktion, die von Soldaten ausgeführt wird?
    Kujat: Die von Soldaten ausgeführt wird. Wobei ich persönlich den Akzent darauf legen würde, den Seeraum zu überwachen, und zwar aus der Luft großräumig zu überwachen, und dann mit den Schiffen diese Boote aufzubringen. Und dabei geht es eben nicht nur darum, diese Boote zu zerstören, sondern es geht auch darum, die Flüchtlinge zu retten, aus Seenot zu retten - denn wir wissen ja, dass das völlig unsichere Kähne sind, die da losgeschickt werden - und natürlich die Schleuser dingfest zu machen. Und ich würde erst in einer zweiten Stufe Aktionen an Land sehen.
    Zagatta: Aber wenn wir uns auf den militärischen Aspekt noch konzentrieren: Wie zerstört man eigentlich - das ist ja vorgesehen - solche Schiffe? Also, mit Polizei, mit Blaulicht eher nicht?
    Kujat: Nein, ich glaube nicht. Also, auf See ist das natürlich relativ einfach, man holt die Menschen von Bord und dann wird das Schiff geflutet und versinkt dann irgendwo. Aber an Land ist das etwas anderes, da kommen im Grunde genommen nur wirkliche Kommandoaktionen in Betracht und das ist auch schwierig, muss man wirklich sagen, in diesem Land, in dem ja nun sehr schwierige politische Verhältnisse und Sicherheitsverhältnisse herrschen. Aber da werden diese Boote eben zerstört, das kann man auf vielfältige Weise machen.
    Zagatta: Die Briten sollen da schon von Kampfhubschraubern sprechen, möglicherweise von Raketen. Sie meinen, das müssten so Spezialkommandos machen.
    Kujat: Also, man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Es gibt durchaus Möglichkeiten, das, wie ich schon sagte, in Form einer Polizeiaktion zu machen, wenn auch mit militärischen Kräften, das muss man immer dazu sagen, und es ist sicherlich auch eine heikle Angelegenheit. Denn man muss natürlich wissen, was ist ein normales Fischerboot, das nicht für diese Zwecke eingesetzt wird, und welche Boote werden von Schleuserbanden eingesetzt?
    Zagatta: Wie kann man das unterscheiden?
    Sorgfältige Abstimmung nötig
    Kujat: Das ist die schwierige Frage dabei. Dazu muss man natürlich die Hilfe der örtlichen Sicherheitskräfte in Anspruch nehmen. Das heißt, man muss sich mit denen auch vorher sorgfältig abstimmen.
    Zagatta: Aber das scheint ja überhaupt nicht zu funktionieren, Libyen hat zwei Regierungen, eine offizielle, eine andere von Rebellen, beide sollen solche Pläne schon strikt abgelehnt haben. Und Terrororganisationen wie der Islamische Staat, die drohen der EU auch schon.
    Kujat: Ja, natürlich, das ist immer die ganz normale Reaktion. Deshalb argumentiere ich ja auch zunächst einmal in einem ersten Schritt, diese Schiffe auf See abzufangen. Was natürlich voraussetzt, dass man eine lückenlose, großräumige Luftüberwachung durchführt und dass man das Netz mit Schiffen so eng wie möglich um die libysche Küste spannt. Libyen ist in jeder Beziehung ein heikles Pflaster und der Westen hat dort mit den Aktionen, die vor einigen Jahren durchgeführt werden, natürlich zu dieser Instabilität beigetraten, das muss man immer vor Augen halten. Also, ich würde bei Aktionen auf dem Territorium Libyens zunächst einmal jedenfalls zur Zurückhaltung mahnen.
    Zagatta: Herr Kujat, wenn das eine Art Polizeiaktion werden soll, wie Sie das jetzt vorschlagen, von Soldaten dann nur ausgeführt, dann müssten doch diese Schleuser oder diese Schiffe eigentlich nur noch losfahren, die stoßen dann auf diese EU-Schiffe, die sie dann aufnehmen, direkt vor der Küste. Das würde doch jetzt dann noch mehr Anreize schaffen! Würde diese ganze Aktion dann nicht völlig nach hinten losgehen?
    Kujat: Nein, ich glaube, das ist nicht der Fall. Wir müssen eben sehen, dass diese Aktion natürlich auch auf die Schleuser zumindest einen gewissen Abschreckungseffekt hätte. Natürlich sieht das aus der Sicht der Flüchtlinge etwas anders aus, aber das ist eine humanitäre Aktion, das müssen wir uns immer wieder vor Augen halten. Wir können doch nicht zusehen, dass dort Tausende Menschen den Tod finden. Und ich muss auch darauf hinweisen, diese Probleme der Migration werden von Sicherheitspolitikern seit Jahren diskutiert, seit vielen Jahren. Es ist einfach ein Faktum, dass die Unruhen, die kriegerischen Auseinandersetzungen, Bürgerkriege in diesen Ländern, die Terrororganisationen, aber auch die Zerstörung der Lebensgrundlagen dieser Menschen dazu führen, dass sie dorthin gehen, wo sie glauben, ein besseres Leben zu finden. Das wissen wir seit vielen, vielen Jahren und wir haben sehr wenig, wenn gar nichts, ich würde vielleicht sogar sagen, gar nichts unternommen, um diese Fluchtbewegung in eine bessere Welt zu verhindern.
    Zagatta: Aber Herr Kujat, darf ich da noch mal nachfragen: Wieso würde diese Aktion, die Sie jetzt da ins Gespräch gebracht haben, wieso würde das Schleuser abschrecken sollen? Die müssen ja dann nur Boote losschicken, was Sie heute schon machen, dass die Flüchtlinge die teilweise selbst lenken müssen, die würden dann vor der Küste von deutschen oder anderen Kriegsschiffen aufgenommen. Also, das würde ja dann perfekt funktionieren und die Schleuser könnten ihr Geschäft weitermachen!
    Kujat: Der Vorrat an Schiffen bei den Schleusern ist ja nicht unendlich. Und wenn sie damit rechnen müssen, dass ihre Schiffe zerstört werden, dass sie nicht zurückkommen, dann verlieren sie zunächst einmal ihre Transportmittel.
    Zagatta: Aber auf deutsche Schiffe oder andere Schiffe zu kommen, da würden ja schon Schlauchboote reichen!
    Kujat: Aber Sie haben natürlich recht, es muss primär um zwei Dinge gehen: Es muss darum gehen, den Schleusern das Handwerk zu legen, und es muss darum gehen, diese Flüchtlinge vor diesem schrecklichen Tod zu bewahren. Das sind die beiden Ziele, um die es gehen muss. Und wenn es tatsächlich so ist, dass die Schleuser die Flüchtlinge einfach losschicken mit diesen Kähnen, dann wird wahrscheinlich auch nichts anderes übrig bleiben als tatsächlich Aktionen an Land durchzuführen. Aber das ist schwierig und das kann dazu führen, dass tatsächlich auch dieser Konflikt sich ausweitet, weil es eben Gegenreaktionen geben wird. Das muss man immer vor Augen halten.
    Zagatta: Das wäre höchst gefährlich, weil diese Schleuser nicht nur als besonders skrupellos gelten, sondern weil sie auch - so heißt es zumindest - über sehr viel Geld verfügen und hochmodern ausgerüstet seien mit Waffen.
    Bundeswehr muss mitziehen
    Kujat: So ist es. Aber vor allen Dingen auch, weil die potenzielle Möglichkeit besteht, dass in dieser Situation andere eingreifen, Terrororganisationen die Gelegenheit nutzen, um Aktionen gegen den Westen durchzuführen. Das muss man eben auch im Hinterkopf haben. Also, das ist ja der Grund dafür, weshalb ich für ein abgestuftes Vorgehen bin. Aber natürlich würde ich solche Aktionen an Land nicht ausschließen, das hängt ganz davon ab, wie erfolgreich wir auf See sind.
    Zagatta: Würden Sie sagen, angesichts dieser Gefahr, die Bundeswehr sollte sich da heraushalten? Oder ist das gar nicht möglich? Müsste man da mitziehen, wenn unsere Verbündeten das vorhaben, wenn die EU das beschließt?
    Kujat: Nein, man muss mitziehen, weil wir ein Eigeninteresse daran haben, ein eigenes Interesse, sowohl aus Sicht der Zahlen von Flüchtlingen, die in unser Land kommen, aber auch weil wir aus humanitären Gründen sagen müssen, wir haben eine Verpflichtung, dort mitzuhelfen, diese Risiken abzuwenden für diese Menschen. Aber ich würde erst in zweiter Linie das Argument sehen, das Sie eben gebracht haben, dass wir gemeinsam mit unseren Verbündeten handeln müssen. Denn Deutschland ist eben als größtes und wirtschaftlich stärkstes Land der Europäischen Union eine der Führungsnationen und kann in einem solchen Fall nicht abseits stehen, das ist völlig außen vor.
    Zagatta: Ich habe das ganz bewusst gefragt, weil im letzten Militäreinsatz da in Libyen, als Gaddafi gestürzt wurde, da waren ja Briten, waren Amerikaner beteiligt, die Deutschen haben sich da zurückgehalten.
    Kujat: Ich habe es für falsch gehalten, sich aus den Aktionen, die bereits liefen wie beispielsweise die Seeblockade und die Luftraumüberwachung dort, das war falsch, das war eine Überreaktion. Aber an der eigentlichen Aktion in Libyen selbst hat sich Deutschland aus guten Gründen herausgehalten. Und wir sehen ja, was aus dieser Aktion geworden ist inzwischen.
    Zagatta: Herr Kujat, zum Schluss noch: Die EU hofft bei dieser Aktion auf ein UNO-Mandat, will aber - so jedenfalls wird berichtet - eine solche Militäraktion notfalls auch ohne Zustimmung der UNO durchführen. Würde das aus Sicht der Soldaten, aus Sicht deutscher Soldaten irgendetwas ändern oder muss man dann ohnehin das machen, was die Bundesregierung vorgibt, also UNO-Mandat hin oder her?
    Kujat: Ein UNO-Mandat wäre schon eine gute Grundlage für eine solche Aktion. Und im Augenblick sieht es ja auch danach aus, als könnten wir so ein UNO-Mandat bekommen. Fraglich ist allerdings, ob in dieses UNO-Mandat Aktionen an Land mit eingeschlossen wären. Da gibt es offensichtlich nach wie vor Vorbehalte. Für die Soldaten der Bundeswehr ist entscheidend, dass sie einen Auftrag des deutschen Parlaments erhalten. Und die Bundesregierung ist dann dafür verantwortlich und das Parlament ist dafür verantwortlich, dass dieses Mandat auf einer rechtlich, auch nach internationalem Recht sicheren Grundlage erfolgt. Das ist nicht Sorge der Soldaten, sondern das ist die Verantwortung der Bundesregierung und des Parlaments. Und die müssen sich darauf verlassen, dass beide dieser Verantwortung gerecht werden.
    Zagatta: Harald Kujat, der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr. Herr Kujat, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Kujat: Ich danke Ihnen, alles Gute!
    Zagatta: Ja, schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.