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EU-Fälschungsrichtlinie
Mehr Schutz gegen Medikamentenfälschungen

Wenn in vermeintlich wirksamen Medikamenten keine Wirkstoffe oder vielleicht sogar schädliche Substanzen enthalten sind, kann das gefährlich sein. Um Patienten besser zu schützen, bekommen verschreibungspflichtige Medikamente ab morgen zusätzliche Sicherheitsmerkmale.

Von Daniela Siebert | 08.02.2019
    Tramadol-Tabletten
    Bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten ist die Gefahr von Fälschungen größer (dpa/ picture alliance/ Photoshot)
    In der Apotheke von Christian Belgardt in Berlin. Das unscheinbare Piep des brandneuen Scanners markiert das letzte Glied in der künftigen Sicherungskette, die Medikamentenfälschern das Leben schwerer machen soll. Mit dem Scanner können die Apotheker direkt vor der Übergabe der Medikamentenverpackung überprüfen, ob die Verpackung, die sie in Händen halten, wirklich vom Hersteller kommt. Sehr begeistert ist Christian Belgardt, seines Zeichens auch Präsident der Berliner Apothekerkammer, nicht.
    "Alles, was Sicherheit schafft ist gut, ich habe nur ein kleines weinendes Auge, weil ich sage: früher war es auch ohne so ein System gut, weil die Vertriebswege sicherer waren, aber dank Globalisierung und dem Wunsch, irgendwie vermeintlich Kosten zu sparen, zum Beispiel durch Re-Importe, hat sich eine Kultur entwickelt, dass es eben für Kriminelle möglich ist, solche Packungen in den Warenkreislauf einzuschleusen. Früher war das eben nicht möglich." Sämtliche deutschen Apotheken mussten für das ab morgen gültige System in neue Geräte bzw. Software investieren, damit sie als letzte Kontrollinstanz fungieren können, bevor ein verschreibungspflichtiges Medikament an den Patienten abgegeben wird.
    Jede Medikamentenverpackung kann zukünftig einzeln identifiziert werden
    Die wichtigsten Veränderungen betreffen aber die Medikamentenverpackungen selbst. Die müssen jetzt eine Sicherung haben, die durch das erstmalige Öffnen irreversibel zerstört wird, etwa durch besonderes Verkleben oder eine zusätzliche Folie drum herum. Jede Verpackung kann künftig einzeln identifiziert werden durch vier maschinenlesbare Produktdaten, darunter eine individuelle Nummer, jeweils in Klarschrift und codiert aufgedruckt. Diese Daten würden von den Herstellern auch in zentralen Datenbanken hinterlegt, erklärt Thomas Brückner vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie BPI. Der Vorteil: "Der Patient kann sicher sein, dass das Präparat, das er ab dem 9. Februar in der Apotheke gescannt bekommt, tatsächlich vom Hersteller mit diesen Daten in die Datenbank hochgeladen worden ist und zum ersten und zum letzten Mal durch diese Systeme frei gegeben wird. Und wenn ein Fälscher zum Beispiel diese Nummer kopieren würde, dann kann er exakt eine einzige Packung nachmachen, nicht Tausende, Abertausende."
    Pharma-Industrie begrüßt die neuen Sicherheitsvorschriften
    Organisatorisch wird die Neuregelung in Deutschland von dem Verein "securPharm" realisiert, in dem sich Industrie und Großhandel zusammengeschlossen haben. Wichtig dabei: Diese aufwändige Sicherung schreibt die EU nur für neu in den Warenverkehr gebrachte Medikamente vor. Was schon in den Fabriken, Apotheken und beim Großhandel lagert, darf weiter verkauft werden wie bisher.
    Der Verband der Pharmazeutischen Industrie begrüßt die neuen Sicherheitsvorschriften, sagt Brückner: "Weil der Lieferweg zwischen Hersteller, Großhändler und Apotheke für uns essentiell ist. Solange der abgesichert ist, hat der Patient auch ein Maximum an Sicherheit." Wieviel die deutschen Pharma-Unternehmen in diese Neuerung investieren mussten, verrät er nicht, wohl aber, dass das Ganze eine immense IT- und Drucktechnische Herausforderung war. Laut Ärzteblatt geht es um Kosten von über einer Milliarde Euro.
    2017: Medikamentenfälschungen im Umfang von 4,3 Mio. Euro
    Wie groß das Problem mit den Medikamentenfälschungen in Deutschland wirklich ist, ist schwer zu sagen. Als Hausnummer kann man die Funde der General-Zolldirektion nehmen. Die meldet für 2017 671 Funde im Gesamtwert von rund 4,3 Millionen Euro. Allerdings schlägt hier auch eine einzige Luftfrachtlieferung aus Indien mit über 3 Millionen Euro Wert zu Buche, und es können auch nicht verschreibungspflichtige Mittel darunter sein.
    Die neuen Schutz-Maßnahmen hätten eher vorbeugenden Charakter sagt Thomas Brückner.
    "Wir haben in der EU keine grassierenden Fälschungsfälle gehabt, bei denen Leute zu Tode gekommen wären, aber wir haben weltweit eine Entwicklung hin, dass die organisierte Kriminalität wegen dieser immensen Gewinnspannen in dem Bereich versucht, alles zu tun, um auch damit Geld zu verdienen."
    Fälschungen von verschreibungspflichtigen Medikamenten selten
    Apotheker Christian Belgardt sagt, er habe noch keine Medikamentenfälschungen in seinen Händen gehabt. Der Bestellweg Internet an jeglichen Apotheken vorbei mache das neue System für Verbraucher nicht sicherer: "Wenn ich schon ins Internet gehe und meine, ich bestelle da was ganz schlau, weil ich nicht zum Arzt gehen will oder mir das peinlich ist oder ich Geld sparen will, dann ist natürlich klar: Im Internet kann man nichts kontrollieren. Da kann man verschicken, was man will." Einen konkreten Skandal, der vor wenigen Monaten Hunderte Krebspatienten betraf, hätte das neue System aber gewiss verhindert, so der Apotheker. "Letztes Jahr, Lunapharm-Skandal, da wurden Arzneimittel nach Deutschland verbracht, die nicht mehr in Ordnung waren, die möglicherweise auch gefälscht waren, und das würde mit "securPharm" nicht passiert sein können."
    Die Patientenbeauftragte der Bundesregierung Claudia Schmidtke betont auf Deutschlandfunk-Anfrage, Fälschungen von verschreibungspflichtigen Medikamenten kämen in Deutschland nur selten vor. Trotzdem begrüßt sie die Neuregelung. Für Patienten gebe es einen noch effektiveren Schutz. Allerdings schließt sie Anlaufschwierigkeiten nicht aus. Zu Lieferengpässen werde es durch die Umstellung jedoch nicht kommen versichern sowohl der Pharmaverband BPI als auch Apotheker Christian Belgardt.