Dienstag, 14. Mai 2024

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EU-Gipfel in Bratislava
"Schritt in die richtige Richtung"

Der EU-Gipfel von Bratislava habe einen Prozess für eine vertrauensvollere Zusammenarbeit eingeleitet, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum, im DLF. Konflikte wurden vermieden. Bei den Beratungen im slowakischen Bratislava hätten deshalb Themen wie ein schnelleres Internet, Wachstum und Jobs im Vordergrund gestanden.

Gunther Krichbaum im Gespräch mit Sarah Zerback | 17.09.2016
    Krichbaum spricht und gestikuliert mit beiden Händen vor einer weißen Wand.
    Der Europapolitiker Gunther Krichbaum von der CDU. (picture alliance / dpa / Zipi)
    Das Brexit-Referendum der Briten zum EU-Austritt sei ein Weckruf gewesen, sagte Krichbaum im Deutschlandfunk. "Es gibt sehr viele europaskeptische Kräfte, nicht nur in Großbritannien, sondern ebenso in den Niederlanden Frankreich und Östereich", so der CDU-Politiker.
    Angesichts dieser Entwicklung müsse die EU sich deshalb wieder darauf besinnen, eine bürgerfreundlichere Politik zu machen. In der Flüchtlingspolitik gehe es darum, Trennendes wieder zusammenzuführen, betonte Krichbaum. In diesem Zusammenhang kritisierte er die öffentliche Forderung des luxemburgischen Außenministers Asselborn, Ungarn aus der EU auszuschließen. "Genau auf diesem Weg kann man nicht" weitergehen.
    Krichbaum räumte ein, es blieben erhebliche Differenzen mit den sogenannten Visegrad-Staaten. Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei lehnen verbindliche Quote für die Verteilung von Migranten innerhalb der EU ab. Der Vorsitzende des Europaausschusses äußerte die Hoffnung, dass es mit den anderen Mitgliedsstaaten in der Flüchtlingspolitik zu einem "Brückenschlag" komme. Vieles habe auch mit Gesichtswahrung zu tun. Deshalb sei der Prozess einer vertrauensvolleren Zusammenarbeit auch so wichtig.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Sarah Zerback: Mit Gunther Krichbaum, der CDU-Politiker ist der Vorsitzende des Europaausschusses im Deutschen Bundestag, guten Morgen, Herr Krichbaum!
    Gunther Krichbaum: Schönen guten Morgen, Frau Zerback!
    Zerback: War das nun wirklich ein Ruck durch Europa, was wir da gestern gesehen haben, oder doch eher ein Zucken?
    Krichbaum: Ich glaube, es ist ein Schritt in die richtige Richtung, denn Bratislava soll einen Prozess einleiten, in dem man wieder vertrauensvoller miteinander zusammenarbeitet. Und es gibt ja da auch gewisse Parallelen. Man darf nicht vergessen, damals stand in den Jahren 2006, 2007 Europa auch vor einem Scherbenhaufen, als die Verfassung abgelehnt wurde durch Referenda in Frankreich und in den Niederlanden. Und es war dann die deutsche Ratspräsidentschaft, die Europa wieder zusammenführte mit der Berliner Erklärung und dann den Vertrag von Lissabon vorbereitete in der eigenen Ratspräsidentschaft, aus dem dann eben in der portugiesischen dieser Vertrag wurde. Und dieser Prozess, der soll jetzt eben auch wieder initiiert werden. Denn wir feiern nächstes Jahr 60 Jahre Römische Verträge. Und dann muss man eben gucken, dass man auch diese Dinge, die uns bislang jetzt trennen, gerade auch in der Flüchtlingspolitik wieder zusammenführt.
    Zerback: Aber Sie sagen es, es sind ja alles keine neuen Themen. Warum sollte jetzt gelingen, worüber jahrelang gestritten wurde?
    Krichbaum: Austritt Großbritanniens war für viele ein Weckruf
    Krichbaum: Ich glaube, dass eben hier auch der Austritt Großbritanniens für viele ein Weckruf war. Denn wir haben sehr viele europaskeptische Kräfte, nicht nur eben in Großbritannien, sondern man kann die Niederlande hinzuzählen, Frankreich, Österreich, die Bundesrepublik Deutschland eben auch. Hier gibt es sehr viele rechtspopulistische Parteien. Und diese Liste, die ich gerade aufgezählt habe, ist ja keinesfalls abschließend. Das heißt, die EU muss wieder darauf sich besinnen, die Bürger mitzunehmen und eine bürgerfreundlichere Politik zu machen.
    Zerback: Ja, abschließend, das ist das richtige Wort. Die echten Konfliktthemen wurden ja gestern nicht gelöst, abschließend schon gar nicht. Allen voran eben die Verteilung von Flüchtlingen nach einer festen Quote. Ist das dann nicht Augenwischerei, von Erfolgen zu sprechen?
    Krichbaum: Noch einmal, ich glaube, es ist wichtig, dass dieser Prozess eingeleitet wurde, dass man jetzt wieder zusammenfinden muss, dass man sich darauf vergewissert, was uns eigentlich in der Vergangenheit stark gemacht hat und wie wir diese Konflikte gelöst haben. Denn es ist ja keinesfalls neu, dass man in der Europäischen Union kontrovers diskutiert, aber wir sind eben nicht mehr ein Klub der sechs oder zehn oder 15 Mitgliedsstaaten, sondern heute einer der 27. Das macht Kompromissfindungen per se schwieriger. Aber wie gesagt, die Europäische Union ist gerade, weil sie die Kompromisse immer gesucht hat, auch so groß geworden. Und diese Leistungen, die wir hervorgebracht haben, die darf man auch ruhig mal wieder etwas stärker nach vorne kehren.
    Zerback: Wie sollen denn Kompromisse gelingen zum Beispiel mit einem Partner wie Ungarn, der ja fordert und auch darüber abstimmen lassen will in zwei Wochen per Referendum, ob Flüchtlinge überhaupt aufgenommen werden sollen? Also, Jean Asselborn hat sich da in dieser Woche so geäußert, dass er die Ungarn am liebsten aus der EU ausschließen würde. Muss die EU da nicht auch in ihren eigenen Reihen mehr Härte zeigen?
    Krichbaum: Also, ich glaube, gerade die Reaktion von Asselborn zeigt, wie sehr die Dinge eskaliert sind. Das war vielleicht ein vorläufiger Höhepunkt. Und genau auf dem Weg kann man eben nicht weitermachen, wenn man dann öffentlich fordert, bestimmte Mitglieder auszuschließen, so kommen wir mit Sicherheit nicht voran. Was die Visegrád-Staaten angeht und die Flüchtlingspolitik, ja, da liegen eben unsere Ziele, die wir verfolgen, erheblich auseinander. Aber es war jetzt auch Orbán, der einmal mehr gesagt hatte, wir möchten dieses Prinzip der Freiwilligkeit. Es ist mein Eindruck, dass von den anderen Staaten das nicht mit der Skepsis der Vergangenheit aufgenommen wurde. Vielleicht kann das jetzt ein Brückenschlag sein, und genau diese Dinge muss man ausloten. Auch in der Europäischen Union hat am Ende des Tages sehr vieles mit Gesichtswahrung zu tun. Und ich glaube, deswegen ist dieser Prozess jetzt auch so wichtig.
    Zerback: Lassen wir uns mal übers Gesichtwahren sprechen: Es wurde ja sehr betont im Vorfeld und auch im Abschluss, dass in Bratislava offen und ehrlich miteinander über Probleme gesprochen werden soll. Da fragt man sich doch, wie wird denn sonst miteinander gesprochen dort?
    Krichbaum: Ich glaube, das, was Sie einleitend gesagt haben, offen und ehrlich über die Probleme sprechen, dass das in den Hintergrund geraten war und vielleicht auch bewusst treten sollte. Denn um ein Beispiel zu nehmen: Es war ja letztlich der Anlass für dieses informelle Treffen, der Austritt Großbritanniens. Man hat bis dato noch überhaupt nicht über die finanziellen Folgewirkungen gesprochen. Man kann es zum gegenwärtigen Zeitpunkt natürlich auch noch nicht tun, weil, Großbritannien hat ja noch nicht mal den Austrittsantrag gestellt. Und man ist noch nicht mal in die Verhandlungen eingetreten. Aber man kann sich ja heute schon auch darauf gefasst machen, dass hier schwierige Diskussionen ins Haus stehen. Wie gesagt, genau diese Dinge standen nicht im Vordergrund. Und sie hätten mit Sicherheit auch das Potenzial gehabt, den Gipfel zu sprengen.
    Zerback: Ein Prozess ist das Ganze, so beschreiben Sie das. Bislang fehlt es ja immer noch an den großen europäischen Projekten, also eine gemeinsame Linie da in der EU-Politik. Läuft da nicht alles auf ein Europa der zwei Geschwindigkeiten heraus? Oder wie viele Geschwindigkeiten bräuchte es da?
    Krichbaum: Es gibt ein Europa der mehreren Geschwindigkeiten
    Krichbaum: Zunächst haben wir sicherlich schon ein Europa der mehreren Geschwindigkeiten. Wir haben einen Euroraum, wir haben einen Schengenraum, wir haben hier verschiedene Prozesse, bei denen bestimmte Mitgliedsstaaten dabei sind und andere eben nicht. Wahr ist, dass sich das natürlich so, was wir als ein faktisches Europa der zwei Geschwindigkeiten längstens haben, möglicherweise verstetigen könnte. Aber es gibt eben dann noch die Länder wie Großbritannien, wie Island, wie die Schweiz, Norwegen, die bislang ja ... Großbritannien jetzt nicht, aber nur in der Vergangenheit, Mitglieder der EFTA-Zone waren, der Freihandelszone waren. Da könnte natürlich jetzt ein Kreis entstehen außerhalb der Europäischen Union, mit dem aber enge Zusammenarbeit gesucht werden wird. Das könnte sozusagen die dritte Dimension dann Europas sein.
    Zerback: Und das kann dann noch unter der Überschrift Europa fungieren?
    Krichbaum: Europa hat sicherlich viele Gesichter. Aber wir sind in Europa auch zur Zusammenarbeit gezwungen, um den Herausforderungen der Globalisierung zu begegnen. Und das darf man nie vergessen. Und die von Ihnen ja auch gestellte Frage nach den gemeinsamen Feldern, das genau sollte ja auch Bratislava mit unterstreichen, dass man dieses Europa den Bürgern wieder näherbringt durch Themen, die den Bürgern auch wirklich unter den Nägeln brennen, wie die äußere Sicherheit, der Schutz der Grenzen, aber eben auch schnelleres Internet, Digitalisierung, Wachstum, Jobs. Das stand im Vordergrund und das sind ja per se auch Themen, die man positiv besetzen kann, die jedenfalls das Potenzial dafür haben.
    Zerback: Und wenn die Briten nun bald gehen – Sie haben den Brexit angesprochen –, dann bekommt Deutschland ja auch eine neue Rolle. Darüber haben wir viel berichtet. Da will Merkel auch mehr Verantwortung übernehmen, gemeinsam mit Frankreich. Das war gestern noch mal ein Signal. Ist denn Ihrer Meinung nach ein noch stärkeres Deutschland in Europa gut?
    Krichbaum: Deutschland hat die Rolle schon längst. Die Frage ist nur, ob Deutschland auch bereit ist, diese Rolle voll anzunehmen, denn die Erwartungen sind groß. In den letzten Monaten in der Tat kam doch erheblich Skepsis zunächst zum Vorschein, was die deutsch-französische Zusammenarbeit angeht, aber man darf nicht ...
    Zerback: Und auch am Standing der Kanzlerin.
    Krichbaum: Bitte?
    Zerback: Und auch am Standing der Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage.
    Krichbaum: Zunächst, was die deutsch-französische Zusammenarbeit deswegen angeht, weil wir hier auch zwischen Deutschland und Frankreich doch große Diskrepanzen haben. Aber ich glaube, mittlerweile ist es sehr akzeptiert, dass eben niemand anders als Deutschland und Frankreich hier den Motor wieder übernehmen muss. Und ich glaube, das ist sehr, sehr wichtig, denn ohne diese Initialzündungen wird es nicht funktionieren. Und deswegen kommt auch Frankreich hier eine große Rolle zu. Denn wie gesagt, nur mit der deutsch-französischen Zusammenarbeit können wir letztlich auch dafür sorgen, dass wir hier die europäischen Themen setzen.
    Zerback: Sagt Gunther Krichbaum von der CDU, er ist der Vorsitzende des Europaausschusses im Deutschen Bundestag, besten Dank für das Gespräch heute Morgen!
    Krichbaum: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.